„Ohne Impfungen […] stünden wir nicht da, wo wir heute sind“, so der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München, PD Dr. Christoph Spinner. Rückblickend auf US-amerikanische Daten aus Dezember 2020 bis September 2021 erklärt er: „Die Impfstoffe schützen vor symptomatischer COVID-19-Erkrankung – und besonders gut vor Hospitalisierung und Tod, also den schwereren Verläufen.“ Er ergänzt allerdings: „Man konnte schon damals sehen, dass sechs Monate nach Doppelimpfung die Schutzwirkung vor symptomatischer Infektion zurückgeht“. Zusätzlich zeigten vor rund einem Jahr Daten bei ab 50-Jährigen aus Israel, dass der „erste Booster, die sogenannte dritte Impfung, das Risiko eines tödlichen Verlaufs um den Faktor 10 reduziert“ – eine „ordentliche Ansage“. Schnell war klar: „Jawohl, die dritte Impfung braucht es altersunabhängig für alle.“
Vermehrt kam im Laufe der Zeit „das Varianten-Problem“ auf – da war zum Beispiel „Delta“. Inzwischen dominiert hierzulande „Omikron“: Schützen die aktuellen Vakzine davor? Aus Zellkulturexperimenten sowie Real World Daten zieht Spinner folgende Erkenntnisse: „Die Doppelt-mRNA-Geimpften sind zwar gut vor Delta geschützt“; aber „Doppeltgeimpfte haben keinerlei Schutz vor Omikron-Infektionen“. Boostern ist daher wichtiger denn je: Durch eine dritte Impfung steigt „der Antikörper-Titer, die Neutralisationskapazität, erheblich an“. Und dennoch gilt: „Die aktuellen Impfstoffe schützen uns gut vor schwerem Verlauf“, aber eben weniger gut und anhaltend vor symptomatischer Infektion. Kein Wunder, dass die Inzidenzen momentan relativ hoch sind. Immerhin: Daten aus Katar deuten darauf hin, dass „Hybrid-Immune“, also geimpft Genesene, einen besonders robusten Schutz gegenüber symptomatischer Infektion entwickeln. Bis zu 12 Monate könnte die Wirkung womöglich anhalten.
Ob Infektion oder Impfung: Drei „Ereignisse“ bieten guten Schutz
Übrigens sagt die Wissenschaft (siehe auch STIKO, Tab. 7): „Jedes Ereignis – sei es Impfung oder Infektion – ist ein Ereignis im Sinne eines Immunkontakts mit dem Virus“. Die Regel lautet: Es braucht mindestens drei „Ereignisse“ für einen guten Schutz in der Allgemeinbevölkerung. Theoretisch lässt sich also auch durch drei Infektionen „eine gute immunologische Trainierung […] erreichen“. Spinner unterstreicht dennoch: „Impfungen sind der beste Schutz. Denn die verhinderte schwere COVID-Erkrankung ist allemal besser als die COVID-bedingte Hospitalisierung, Intensivaufnahme oder Tod.“ Davon ausgehen, dass man gar nicht an COVID-19 erkrankt, sollte man besser nicht. „Ich habe in den vergangenen zwei Jahren häufig gehört: Ich muss immun sein, ich hatte das Virus noch nicht, bekomme es auch nicht. In praktisch allen Fällen hat sich diese Hypothese […] als nichtzutreffend herausgestellt. Noch hat es fast jeden irgendwann erwischt.“
Wie nun auf den kommenden Herbst und Winter vorbereiten? Spinner verweist auf einen Artikel in der britischen Tageszeitung Financial Times, der darstellt: „Im Juli 2020 war COVID-19 noch 20-mal so tödlich wie die echte Virusgrippe.“ Durch Impfungen – vor allem Älterer sowie chronisch Kranker – ist es gelungen, die Sterblichkeitsrate „merklich auf unter das fünffache der Virusgrippe zu reduzieren.“ Mit der Booster-Kampagne verfestigte sich dieser Trend. „Und jetzt durch die nachweislich geringere Fallschwere von Omikron“ ist die Mortalität unter die Influenza-Mortalität gefallen. „Machen Sie sich das bitte bewusst: Die Dramatik von COVID-19 hat sich im Laufe der Pandemie verändert.“ Das liegt sowohl am Virus als auch am Wirt – der Mensch – der eine höhere „Immunkompetenz“ gebildet hat. „Deshalb können wir nicht mehr mit den gleichen Werkzeugen wie zu Beginn der Pandemie operieren.“ Er verweist auf Maßnahmen wie Lockdowns, die „beim allerersten Mal“ durchaus „hocherfolgreich“ waren, inzwischen aber an Akzeptanz in der Bevölkerung eingebüßt haben.
COVID-19: Infektionsschutz auf Risikogruppen fokussieren
Von politischen Strategien, die auf eine vollständige Virus-Eradikation abzielen, rät der Mediziner ab. „Auch in China ist die Zero-COVID-Policy trotz maximaler Anstrengungen nicht erfolgreich.“ SARS-CoV-2 wird wohl auch künftig neue Varianten bilden: „Das Virus ist gekommen, um zu bleiben“ – die Situation bleibt dynamisch. „Ich glaube, wir sind alle gut beraten, wenn wir nicht nur Virologinnen und Virologen, Infektiologinnen und Infektiologen, sondern verschiedene Meinungsbildner aus der Gesellschaft auch außerhalb der Medizin hören. Denn […] die Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“ Gemeinsam müsse man immer wieder je nach Situation über Kosten und Nutzen von diversen Maßnahmen wie etwa Schulschließungen diskutieren. „Auch wenn diese Maßnahme effektiv ist, ist sie vielleicht dennoch nicht akzeptabel.“
Spinner wirbt daher dafür, beim Erkrankungsschutz nun „vor allem auf Risikogruppen zu fokussieren – so wie wir das mit der Influenza und anderen Atemwegserkrankungen auch machen“. Also „regelmäßige Boosterkampagnen, vielleicht auch Masken und weitere nicht-pharmakologische Interventionen in den Einrichtungen, wo man sie braucht“. An besonders gefährdete Menschen appelliert er, nicht auf einen angepassten Omikron-Impfstoff zu warten, sondern entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) „sofort“ zu boostern. Die STIKO rät unter anderem Personen ab 70 Jahren frühestens drei Monate nach der ersten Auffrischung zu einer zweiten Auffrischung, also zu insgesamt vier Impfungen. Für einzelne Hochrisikogruppen – etwa bei Immundefizienz und reduzierter Impfantwort – sind sogar fünf und ggf. mehr Dosen angedacht (s. STIKO). Mit Blick auf Australien, wo bereits Winter und von einer „Super-Grippe“ die Rede ist, verweist Spinner zusätzlich auf die Influenza-Vakzine und ergänzt: „Masken schützen nicht nur vor SARS-CoV-2“.
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