Eine Krebspatientin, die auch Fachjournalistin ist, erzählt im Interview, wie sich Datenschutz und Heilmittelwerbegesetz auf das Leben von Patient:innen auswirken.
Eine Krebspatientin, die auch Fachjournalistin ist, erzählt im Interview, wie sich Datenschutz und Heilmittelwerbegesetz auf das Leben von Patient:innen auswirken.

Datenschutz und Heilmittelwerbegesetz: „Es ist eine Anmaßung“

Welche Folgen haben Datenschutz und Heilmittelwerbegesetz für die Patient:innen? Darüber haben wir mit Eva Schumacher-Wulf gesprochen, medizinische Fachjournalistin und Krebspatientin.

Sie haben seit 20 Jahren Brustkrebs und leben seit sechseinhalb Jahren mit metastasiertem Brustkrebs. Wie geht es Ihnen?

Eva Schumacher-Wulf: Es ist eine Achterbahn. Wenn eine Therapie wirkt, ist es gut, solange die Nebenwirkungen erträglich sind. Ich bin mittlerweile in der achten Therapielinie – von daher habe ich schon einige Höhen und Tiefen hinter mir, bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Im Moment kann ich sagen: Mir geht es gut.

Was bedeutet das, die achte Therapielinie?

Eva Schumacher-Wulf, medizinische Fachjournalistin und Krebspatientin
Eva Schumacher-Wulf, medizinische Fachjournalistin und Krebspatientin. Foto: Jonas Ratermann

Schumacher-Wulf: Es ist im Prinzip die achte Therapie. Krebspatienten bekommen immer eine Therapie, solange sie wirkt. Wenn aber der Tumor weiterwächst oder sich Metastasen ausbreiten, bekommt man eine neue Therapie. Ich habe in den letzten sechs Jahren acht unterschiedliche Therapien erhalten, meistens Chemotherapien, aber auch zielgerichtete Therapien oder eine Kombination. Die Krankheit ist ja in meinem Fall nicht mehr heilbar. Meine jetzige Therapie wirkt, aber irgendwann ist der Tumor auch gegen diese Therapie resistent. Dann müssen meine Ärzte wieder etwas Neues finden. Dabei gibt es leider ein Problem.

Welches?

Schumacher-Wulf: Es gibt nichts mehr, was zugelassen ist. Das heißt, ich bin immer darauf angewiesen, dass auch die Krankenkasse, die medizinischen Dienste und das so genannte Kompetenzzentrum Onkologie in Düsseldorf mitmachen, damit ich ein noch nicht zugelassenes Arzneimittel erhalten kann – dort wird letztlich entschieden, ob das, was das molekulare Tumorboard am Deutschen Krebsforschungszentrum ermittelt, Aussicht auf Erfolg hat. Eine völlig absurde Situation.

Warum?

Schumacher-Wulf: Weil dort Leute sitzen aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die teilweise nichts mit Onkologie zu tun haben oder seit 20 Jahren amtieren, und nun darüber urteilen, ob diese Therapie bei einer bestimmten, seltenen Mutation erfolgversprechend ist. Völlig absurd.

Bleiben wir bei den Absurditäten. Von Ihnen stammt die Aussage: „Weder der Datenschutz in seiner jetzigen Form noch das Heilmittelwerbegesetz schützen Patienten. Sie entmündigen sie, schaffen Abhängigkeiten und Intransparenz.“ Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Schumacher-Wulf: Ich spreche von Entmündigung, weil wir Patienten nicht selbst entscheiden dürfen, was mit unseren Daten geschieht. Und wir können auch nicht entscheiden, wie wir uns über mögliche Therapien informieren wollen – denn das Heilmittelwerbegesetz erlaubt es nicht.

Welche konkreten Erfahrungen haben sie mit dem Heilmittelwerbegesetz, kurz HWG, gemacht?

Schumacher-Wulf: Mein erster Kontakt war mit Anfang 30, als ich Informationen zu meiner Ersterkrankung brauchte. Alle Berichte, die etwas mehr in die Tiefe gingen, waren passwortgeschützt und es hieß: „Nur für Fachkreise zugänglich.“ Aber alle Infos, die ich als Patientin bekommen habe, waren so oberflächlich, dass sie mir nicht geholfen haben, Entscheidungen zu treffen. Ich habe mich damals gefragt: Warum ist das Fachkreisen vorbehalten – es geht doch um mein Leben.

Nicht alle Patient:innen verstehen die medizinische Fachsprache oder können Studiendaten interpretieren.

„Weder der Datenschutz in seiner jetzigen Form noch das Heilmittelwerbegesetz schützen Patienten. Sie entmündigen sie, schaffen Abhängigkeiten und Intransparenz.“
Heilmittelwerbegesetz: Schafft es Abhängigkeiten und Intransparenz? Foto: ©iStock.com/yavdat

Schumacher-Wulf: Mag sein. Aber wenn ich etwas nicht verstehe, was uns Patienten ja gerne unterstellt wird, dann kann ich ja meinen Arzt dazu befragen. Aber man kann doch nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass wir alle zu doof sind, das zu verstehen. Mit dieser Haltung sorgt das HWG auch für Intransparenz.

Wie das?

Schumacher-Wulf: Wenn Audi mir sagt, sie haben die besten Autos, dann weiß ich, das behauptet Audi – mal schauen, ob Mercedes das auch so sieht. Beim HWG bekomme ich Informationen ja doch irgendwie mit, aber nur bruchstückhaft – und ich habe überhaupt keine Ahnung, woher sie kommen. Transparenz ist, wenn ich genau weiß: Wer hat welche Studie und welche Information finanziert, was kommt woher – dann kann ich das für mich einordnen und entscheiden, ob ich da nachhaken und hören will, was andere sagen. Diese Möglichkeit habe ich gar nicht, weil völlig intransparent ist, welche Informationen woher stammen.

Ich möchte allerdings auch betonen: Ich bin absolut gegen heilsversprechende Imagewerbung, wie wir sie etwa aus den USA kennen. Aber es gibt ja einen Unterschied zwischen Information und Werbung.

Sie haben 2006 das Magazin „Mamma Mia“ gegründet, um für mehr Transparenz zu sorgen?

Schumacher-Wulf: Das war der Grund – ich habe gesagt, wir brauchen tiefgründige und umfassende Informationen, um Therapieentscheidungen zu treffen. Deswegen will ich Kongressberichte und aktuelle Studiendaten in einer patientenfreundlichen Sprache veröffentlichen.

Sie sind dann kürzlich als Fachjournalistin zu einem Krebskongress gereist, haben dort aber keinen Zugang bekommen. Weshalb?

Schumacher-Wulf: Weil ich auch Patientin bin. Das ist Diskriminierung, wenn Fachjournalisten, die krebskrank sind, anders behandelt werden als solche, die nicht krebskrank sind oder es verschweigen. Ich will aber dazu stehen, dass ich Patientin bin. Es ist mir schon öfter passiert, dass ich einen Vortrag für Fachkreise halten durfte und danach den Raum verlassen musste und die anderen Vorträge nicht anhören durfte – weil ich ja Patientin bin.

Wo liegen die Grenzen und Risiken des HWG?

Schumacher-Wulf: Was meinen Sie mit Grenzen?

Nun ja, schadet es mehr als es nützt?

Schumacher-Wulf: Ich überlege gerade, wo es überhaupt nützt.

Medizin: Wenn Datenschutz schadet
Schadet falsch verstandener Datenschutz den Patient:innen? Foto: ©iStock.com/metamorworks

Anders gefragt: Brauchen wir ein HWG?

Schumacher-Wulf: Das glaube ich nicht, denn andere Länder haben es auch nicht. Das gibt es nur in Deutschland. Ich finde, es ist eine Anmaßung, Informationen nur Fachkreisen zugänglich zu machen und so zu tun, als könnten Patienten das nicht verstehen. Wir haben auf Kongressen noch nicht mal Zugang in die Industrieausstellung, weil dort für Medikamente geworben wird. Glaubt der Gesetzgeber wirklich, dass wir dann losziehen und sagen: „Ich hätte gern ein Päckchen Chemotherapie, die Werbung war so schön.“

Welche Erfahrungen haben Sie als Krebspatientin mit dem Datenschutz gemacht?

Schumacher-Wulf: Er verhindert zum Beispiel, dass ich einen direkten Zugang zu meinen Laborwerten und Bildgebungen bekomme. Es wird alles nur zwischen Ärzten und Kliniken hin- und hergeschickt. Wenn überhaupt. Ich selbst habe keinen automatischen Zugriff auf meine Daten, sondern muss mir alles erkämpfen. Ich kann also in der Klinik sagen, ich hätte gerne eine CD mit meinen Bildern. Mit einer solchen CD musste ich dann schon von Frankfurt nach Heidelberg fahren, weil die Inhalte nicht digital übertragen werden konnten oder durften. Es gibt Länder, in denen die Patienten einen Code erhalten, mit dem sie Zugang zu allen Laborwerten und anderen Daten haben. Bei uns hat das während der Corona-Pandemie auch funktioniert. Da bekamen wir einen QR-Code und konnten sehen, wie das Testergebnis ausgefallen ist. Das ginge auch bei Blutwerten. Der Datenschutz schadet uns Patienten aber auch in einem anderen Bereich.

In welchem?

Schumacher-Wulf: Bei den klinischen Studien. Der Datenschutz erschwert sie ungemein, was dazu führt, dass wir in Deutschland gegenüber anderen Ländern abgehängt werden. Wenn es aber bei uns kaum noch klinische Studien gibt, dann haben unsere Ärzte auch keine Erfahrung mit neuen Wirkstoffen – und das fällt am Ende uns Patienten auf die Füße.

Erwarten Sie sich von der ePA Verbesserungen, von der elektronischen Patientenakte? Sie sieht ja Zugriff auf alle medizinischen Unterlagen vor, auch auf die Laborwerte.

Schumacher-Wulf: Ich bin mittlerweile etwas pessimistisch. Ich erhoffe mir nicht, dass ich mit dem Bereitstellen der elektronischen Patientenakte Zugang zu allen meinen Daten habe.

elektronische Patientenakte
ePA: Digitaler Zugriff auf alle medizinischen Unterlagen? Foto: ©iStock.com/metamorworks

Warum nicht?

Schumacher-Wulf: Weil ich nicht glaube, dass etwa die Labore meine Daten tatsächlich in der Patientenakte speichern – das dürfte weder technisch noch vom Datenschutz her funktionieren. Die Labore dürfen mir meine Ergebnisse noch nicht mal per E-Mail schicken, sondern nur per Fax – und auch dazu müssen sie vorher von mir aufgefordert werden. Ich vermute mal, dass auch künftig meine Laborwerte nur an den Arzt gehen und dieser sie dann in der ePA speichern darf.

Wird er oder sie das auch tun?

Schumacher-Wulf: Nach allem, was ich von den Ärzten höre, können sie das überhaupt nicht leisten, schon aus Zeitgründen.

Sie haben zum Thema Datenschutz einmal gesagt: „Hat uns schon mal jemand gefragt, ob wir überhaupt geschützt werden möchten? Und von wem?“ Diese Frage stellen wir hiermit.

Schumacher-Wulf: Wenn überhaupt, dann würde ich am liebsten nur von meinen Ärzten geschützt werden, die sich ganz gewissenhaft damit auseinandersetzen, welche Therapien sie in meinem speziellen Fall für gut befinden – wobei ich das eher als Beratung in einem Shared-Decision-Prozess verstehe, also in einem Prozess gemeinsamer Entscheidungsfindung.

Welche konkreten politischen Schritte müssten unternommen werden im Hinblick auf HWG und Datenschutz?

Schumacher-Wulf: Es sollten alle Restriktionen auf den Prüfstand gestellt werden, die Patienten betreffen – und man sollte sehen, ob und wie man uns mehr Kompetenz zubilligen und Eigenverantwortung übertragen kann.

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