Die Europäische Kommission will mit ihrem EU-Pharma-Paket das Arzneimittelrecht reformieren. Die Pharma Fakten-Redaktion hat darüber mit einer Anwältin gesprochen. Foto: ©iStock.com/LIgorko
Die Europäische Kommission will mit ihrem EU-Pharma-Paket das Arzneimittelrecht reformieren. Die Pharma Fakten-Redaktion hat darüber mit einer Anwältin gesprochen. Foto: ©iStock.com/LIgorko

EU-Pharma-Paket: Große Reformen?

Mit ihrem EU-Pharma-Paket will die Europäische Kommission dafür sorgen, dass alle Patient:innen „Zugang zu innovativen und erschwinglichen Arzneimitteln“ haben. Zudem möchte sie „die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sowie die Nachhaltigkeit der EU-Arzneimittelindustrie“ unterstützen. Die Pharmabranche fürchtet jedoch, dass das Gesetz mehr schaden als nützen könnte – denn der garantierte Schutz des geistigen Eigentums für Medikamente soll verkürzt werden. Mit Caroline von Nussbaum, Rechtsanwältin bei der Kanzlei Simmons & Simmons, haben wir über den Gesetzentwurf gesprochen.

Die Europäische Kommission plant mit dem EU-Pharma-Paket enorme Veränderungen beim sogenannten Unterlagenschutz von Arzneimitteln. Wie sehen sie aus?

Caroline von Nussbaum: Bislang betrug der Unterlagenschutz 8 Jahre, anschließend galten 2 Jahre Marktexklusivität und für die Entwicklung einer neuen Indikation während der Laufzeit wurde ein weiteres Jahr Schutz gewährt. Die beiden letzten Aspekte bleiben unverändert. Die Standardschutzzeit soll hingegen von 8 auf 6 Jahre verkürzt werden. Im Gegenzug werden neue Anreize gesetzt, doch längeren Unterlagenschutz zu erhalten.

Zum Beispiel?

Von Nussbaum: 6 zusätzliche Monate sind möglich, wenn das Arzneimittel eine medizinische Versorgungslücke schließt. 6 zusätzliche Monate gibt es auch, wenn das Arzneimittel einen neuen Wirkstoff enthält und vergleichende klinische Studien durchgeführt werden. Außerdem können Firmen 2 zusätzliche Jahre Unterlagenschutz für Arzneimittel erhalten, die innerhalb von 2 Jahren in allen EU-Mitgliedstaaten, in denen die Zulassung gilt, auf den Markt gebracht und in hinreichender Menge angeboten werden. Für viele Arzneimittel sind dies alle Mitgliedstaaten. Auch im Bereich der Arzneimittel für seltene Leiden soll es neue Schutzregelungen mit stärkeren Anreizsystemen geben.

Wie schätzen Sie diese geplanten Regelungen ein?

Caroline von Nussbaum, Rechtsanwältin bei der Kanzlei Simmons & Simmons
Caroline von Nussbaum, Rechtsanwältin bei der Kanzlei Simmons & Simmons. Foto: Simmons & Simmons

Von Nussbaum: Obwohl mit dem neuen System grundsätzlich sogar ein längerer Schutz erreicht werden kann als bisher, sind die Regelungen deutlich komplexer. Pharmaunternehmen stehen vor der Frage, in welchem Verhältnis der zusätzliche Aufwand zu den potenziellen Mehreinnahmen steht. Von besonderem Interesse sind natürlich die zusätzlichen 2 Jahre, wenn ein Arzneimittel innerhalb von 2 Jahren ab Zulassung (KMU: 3 Jahre) in allen Zulassungsstaaten der EU in hinreichender Menge vermarktet wird. Dieser Prozess entzieht sich allerdings teilweise der eigenen Kontrolle. Und ob mit der Abfrage der Erfüllung dieser Kriterien das Ziel eines verringerten Verwaltungsaufwands erreicht werden kann, halte ich für fraglich. Es bietet sich an, sich bereits jetzt mit den anstehenden Änderungen zu befassen, auch wenn sicherlich noch manche Anpassungen erfolgen werden. Der Aufbau einer Vertriebsstruktur in allen relevanten Ländern lässt sich aber zum Beispiel nicht von jetzt auf gleich umsetzen. Insofern sollte der Gesetzgebungsprozess genau beobachtet werden.

Laut einer Untersuchung des Pharmaverbands EFPIA warten Menschen in Deutschland im Schnitt 128 Tage bis ein neu zugelassenes Arzneimittel für sie verfügbar wird. Doch in Rumänien zum Beispiel sind es 918 Tage, in Malta sogar 1.351 Tage, fast 4 Jahre. Die Ursachen liegen meist nicht in den Händen der Unternehmen. Da ist es doch ziemlich unrealistisch, diese 2 zusätzlichen Jahre Unterlagenschutz erreichen zu können, oder?

Von Nussbaum: Das ist richtig – in manchen EU-Ländern stehen langwierige Preisfestsetzungs- und Erstattungsverfahren einer zügigen Einführung im Weg. In solchen Fällen könnten die betreffenden Mitgliedstaaten allerdings eine Freistellung von der Erfüllung dieser Bedingung erteilen. Oder die Zulassung wird gleich nur für einzelne Mitgliedstaaten beantragt. Das ist aber gar nicht für alle Arzneimittel möglich, einige müssen zwingend für die gesamte EU zugelassen werden.

Ein besonderes Augenmerk will die EU künftig außerdem auf den Kampf gegen zunehmende Arzneimittelresistenzen legen. Im Gespräch sind „Voucher-Lösungen“ zur Schaffung von Anreizen für die Forschung und zur Entwicklung neuer Antibiotika. Was ist damit gemeint – und was halten Sie davon?

Von Nussbaum: Damit ist gemeint, dass die Entwicklung eines antimikrobiellen Mittels, das einen erheblichen klinischen Nutzen aufweist und Innovationskriterien erfüllt („priority antimicrobials“), mit einem Gutschein (= Voucher) für 1 Jahr Unterlagenschutz belohnt wird. Dieses Konzept ist völlig neu – der Voucher kann nämlich für ein beliebiges Arzneimittel eingesetzt und sogar veräußert werden. Wenn man sich vor Augen führt, dass der Umsatz mit sogenannten „Blockbustermedikamenten“, die noch keinem Wettbewerb ausgesetzt sind, im Milliardenbereich liegen kann, wird der Wert eines solchen Vouchers deutlich. Die Idee finde ich auch deswegen interessant, weil mit dem priority antimicrobial wahrscheinlich gerade kein erheblicher Umsatz erzielt werden kann – typischerweise wird es sich um sogenannte Reserveantibiotika handeln, die zur Vermeidung von Resistenzen nur sehr sparsam eingesetzt werden.

Was sind nun die nächsten Schritte beim EU-Pharma-Paket – wann könnte das Gesetz in Kraft treten?

Von Nussbaum: Der Vorschlag der Kommission wird zunächst von Parlament und Rat erörtert. Wann dies abgeschlossen ist und das umfangreiche Gesetzesvorhaben verabschiedet wird, lässt sich noch nicht absehen. Nach derzeitigem Stand soll die neue Verordnung 18 Monate nach Inkrafttreten anwendbar sein. Der Teil des Gesetzesvorhabens, der als Richtlinie verabschiedet werden soll, soll innerhalb von 18 Monaten durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.

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