Am 26. April will die Europäische Kommission ihren Entwurf für eine neue Arzneimittelgesetzgebung veröffentlichen. Dabei scheinen die Verantwortlichen etwas Wichtiges vergessen zu haben. Foto: ©iStock.com/ijeab
Am 26. April will die Europäische Kommission ihren Entwurf für eine neue Arzneimittelgesetzgebung veröffentlichen. Dabei scheinen die Verantwortlichen etwas Wichtiges vergessen zu haben. Foto: ©iStock.com/ijeab

EU-Pharma-Paket: Wettbewerbsfähigkeit Europas in Gefahr?

Am 26. April will die Europäische Kommission ihren Entwurf für ein EU-Pharma-Paket veröffentlichen. Es geht um eine „grundlegende Überarbeitung des Rechtsrahmens für die Pharmaindustrie“, erklärt der deutsche Pharmaverband vfa. Die neue Arzneimittelgesetzgebung wird die Bereiche „Gesundheit, Wissenschaft, Arbeitsplätze und Wachstum für die nächsten 20 bis 30 Jahre prägen“, so der europäische Pharmaverband EFPIA. Daher sei es „äußerst beunruhigend“, dass bislang nicht untersucht wurde, welche Auswirkungen die geplanten Regelungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas haben werden.

Rund 42 Milliarden Euro pro Jahr investiert die pharmazeutische Industrie in die Forschung und Entwicklung (F&E) in Europa. 840.000 Menschen sind bei den Unternehmen direkt beschäftigt. Die Branche trägt „mehr zur EU-Handelsbilanz bei als jeder andere Sektor“, unterstreicht EFPIA-Generaldirektorin Nathalie Moll. Der Fußabdruck der Pharmaindustrie in Europa ist gewaltig: Sie strahlt weit in die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Gesundheit hinein (s. The Pharmaceutical Industry in Figures).

Europa: Im Wettbewerb mit den USA und China

Europa: Im Wettbewerb mit den USA und China
Europa: Im Wettbewerb um Innovation. Foto: ©iStock.com/Zerbor

Doch Europa befindet sich in einem globalen Standortwettbewerb – um die klügsten Köpfe, die innovativsten Unternehmen, die neuesten Technologien. Gerade gegenüber den USA und China verliert Europa an Boden. Moll schreibt: „Trotz zunehmender Investitionen von forschenden Pharmafirmen weltweit nahmen die F&E-Investitionen in Europa in den vergangenen 20 Jahren um 25 Prozent ab.“ 

Dabei sind die Voraussetzungen gut: „Europa publiziert mehr wissenschaftliche Arbeiten zu Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMPs) […] als die Konkurrenz“, führt Moll an. Aber aufgrund der politischen und finanziellen Rahmenbedingungen werden „zweimal weniger klinische Studien zu ATMPs als in den USA und dreimal weniger als in China durchgeführt“. Für die Patient:innen heißt das: Sie verpassen die Chance an solchen Studien teilzunehmen und werden erst verspätet Zeuge des wissenschaftlich-medizinischen Fortschritts. Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), ergänzt: „In den 1990er-Jahren stammten 50 Prozent aller innovativen Therapien aus Europa; aktuell sind es nur noch 20 Prozent.“

EU-Pharma-Paket: Standortschwächung statt -stärkung?

EU-Pharma-Paket: Standortschwächung statt -stärkung?
EU-Pharma-Paket: Standortschwächung statt -stärkung? Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

Mit Spannung wird der Entwurf der EU-Kommission für die neue Gesetzgebung erwartet. Man werde „einen ausgewogenen und patientenorientierten Vorschlag vorlegen und gleichzeitig eine innovative und wettbewerbsfähige Industrie voll unterstützen”, so eine Kommissionssprecherin. Bereits durchgesickerte Pläne verheißen bislang allerdings nicht viel Gutes – etwa zur Verkürzung des Unterlagenschutzes für neue Arzneimittel. 

„In einem historischen Moment, in dem sowohl die USA als auch China die Pharmaindustrie als Leitbranchen definieren und Investitionsanreize mit einem klaren Regulierungsrahmen setzen, schickt sich Europa an, eine Vielzahl von Einzelproblemen zu regulieren. Einige davon sind durchaus wichtig und enthalten gute Signale: Etwa auf dem Feld der Antibiotika. Was aber fehlt, ist ein konzeptionelles Gesamtkonzept, das im internationalen Standortwettbewerb als Signal an Investoren verstanden werden kann“, findet Steutel.

In jüngster Zeit hatten immer wieder Chefs führender Firmen in Europa auf die Schwierigkeiten hingewiesen, vor denen sie in Sachen innovativer Forschung und Entwicklung stehen. Manche kündigten bereits an, sich verstärkt auf die USA oder Asien fokussieren zu wollen. „Das sind keine reflexartigen Reaktionen“, betont Moll. „Sie reflektieren die wachsende Sorge, dass die Vorhaben der Kommission der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie massiv schaden werden.“ Sie verweist auf neueste Datenmodellierungen, die zeigen: Das EU-Pharma-Paket könnte bis 2030 dazu führen, dass sich die Zahl der Menschen, die in pharmazeutischer F&E in Europa tätig sind, halbiert – und dass die Unternehmen ihre jährlichen F&E-Investitionen um rund 15 Milliarden Euro reduzieren.

EU-Pharma-Paket: Umfassende Überprüfung notwendig

EU-Pharma-Paket: Umfassende Überprüfung notwendig
Forderung: Regulatorischer Rahmen, der auf Innovationen ausgerichtet ist. Foto: ©iStock.com/ijeab

Laut Moll ist es „äußerst beunruhigend“, dass das EU-Pharma-Paket bislang keiner umfassenden Überprüfung unterzogen wurde, welche seine „tatsächlichen Auswirkungen“ auf den Zugang der Patient:innen zu neuesten Therapien, auf „Arbeitsplätze, F&E-Investitionen, akademische Welt, Produktion und Wachstum in ganz Europa“ untersucht. 

Es brauche einen regulatorischen Rahmen, der auf Innovationen ausgerichtet ist, fordert die EFPIA-Generaldirektorin. „Jetzt ist die Zeit, um zu entscheiden, in was für einem Europa wir leben möchten“: In einem Europa, das weltweit als „Zentrum für die Forschung, Entwicklung und Produktion der neuesten Impfstoffe und Arzneimittel“ gilt – oder in einem Europa, das nur konsumiert und „abhängig von den medizinischen Innovationen anderer Regionen“ ist. Diese Frage, diese Entscheidung geht nicht nur Politiker:innen und Industrie etwas an: Denn sollten immer mehr innovative Unternehmen in die USA oder China abwandern, hat das Folgen für alle Bürger:innen. 

Weiterführende Links:

“Pharmaceutical Legislation: Two things that need to happen now” (efpia.eu)

“EU Competitiveness: Mind the gap between rhetoric and reality” (efpia.eu)

EU long-term competitiveness strategy has to apply to the EU Pharma legislation (efpia.eu)

Das Pharma-Paket der EU (vfa.de)

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