Wie in unserem nördlichen Nachbarland mit Gesundheitsdaten umgegangen wird, das skizzierte Lisbeth Nielsen, Direktorin der „Danish Health Data Authority“ – einer Behörde, die digitale Lösungen für das dortige Gesundheitswesen entwickelt und zugleich die Cyber- und Informationssicherheit koordiniert. Sie sagt: „Daten schaffen Werte“. Und weil das so sei, würden in Dänemark digitale Gesundheitsdaten „von der Wiege bis zur Bahre“ erhoben und bei Bedarf für Forschungszwecke verwendet: Das beginnt mit den Ergebnissen der Untersuchungen des Nabelschnurblutes, reicht über Impfungen, Medikamentengaben, Laborergebnisse und viele weitere Informationen – und endet mit einer genauen Angabe der Todesursache. Wichtig dabei: Der rechtliche Rahmen sieht in Dänemark vor, dass Daten primär verwendet werden, um die Behandlung der Patient:innen zu verbessern. Die jeweiligen Behandelnden sind vernetzt und können alle wichtigen Informationen austauschen. Selbstverständlich haben Patient:innen das Recht, den Zugang zu ihren Daten zu verweigern – allerdings macht davon kaum jemand Gebrauch.
„In zweiter Linie werden Daten für die Forschung verwendet“, so Nielsen, „dafür ist jedoch eine Genehmigung durch unsere Datenbehörde notwendig.“ Genutzt werden die Daten dann in einer zentralen „Secure Research Platform“. Dafür gibt es drei Voraussetzungen:
- Nur Forschende erhalten Zugang
- Eine sichere Daten-Umgebung ist gewährleistet
- Die Forschenden erhalten nur Zugang zu Daten, die für die jeweiligen Forschungszwecke notwendig sind
Deutsches Forschungsdatenzentrum im Aufbau
„Das dänische Gesundheitssystem ist voll digitalisiert“, fasste Lisbeth Nielsen zusammen. Und Deutschland? Hier gibt es immerhin ein „Forschungsdatenzentrum Gesundheit“, das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt ist. Dort kümmert sich seit Juni 2021 die Ärztin und Wissenschaftlerin Dr. Katharina Schneider mit ihren derzeit 12 Kolleg:innen unter anderem darum, Gesundheitsdaten für Forschende leichter zugänglich zu machen. Dazu werden pseudonymisierte Abrechnungsdaten der gesetzlich Krankenversicherten erschlossen und bereitgestellt. „Das betrifft Daten aus dem ambulanten und stationären Sektor, aber auch solche zur Verwendung von Arzneimitteln, von Heil- und Hilfsmitteln oder von Gesundheits-Apps“, erklärte Schneider. Klingt gut, aber Schneider fügte auch hinzu: „Wir sind noch im Aufbau – aber wir wachsen stark, es kommen monatlich neue Mitarbeitende hinzu, Mediziner, Daten-Analysts, Scientists.“ Neu hinzugekommen ist kürzlich überdies ein Pilotprojekt zum Aufbau des „European Health Data Space“ (EHDS)*, an dem insgesamt 16 Partner aus 10 europäischen Ländern beteiligt sind.
Pläne im Koalitionsvertrag
Alles gut also? Keineswegs, findet der Rechtsanwalt und Gesundheitsexperte Prof. Christian Dierks. Er stellte in der Diskussionsrunde klar: „Wir sind in Deutschland weit hinten, wir sind abgehängt.“ Und weiter: „In den Entwurf zum EHDS wurde explizit reingeschrieben: Es reicht, wir übernehmen, weil sich in Deutschland nichts tut.“ Dierks Sorge ist nun, dass es in Deutschland demnächst nicht etwa nur eine Datenzugangsstelle geben könnte, sondern eine in jedem Bundesland.
Thomas Renner, Leiter der Unterabteilung Digitalisierung und Innovation im Bundesministerium für Gesundheit, sah es positiver: „Natürlich brauchen wir perspektivisch eine bessere Datenverfügbarkeit in Deutschland – aber wir haben bereits viele Prozesse angestoßen, um diesen Weg zu beschleunigen.“ Dazu zähle etwa ein Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz, das im Koalitionsvertrag vorgesehen sei.
Dr. Sabine Nikolaus, Landesleiterin Deutschland bei Boehringer Ingelheim, ergänzte: „Im Koalitionsvertrag wurde zudem vereinbart, dass auch die private Forschung Zugriff auf Gesundheitsdaten haben soll“ – dies sei schon deswegen wichtig, weil die pharmazeutische Industrie zuständig sei „für die Übersetzung von Grundlagendaten in die Nutzeranwendung.“
Wettbewerbsfähig bleiben
„Aber Sie sind mit Ihrem Unternehmen doch international unterwegs“, warf Moderator Prof. Jörg Debatin ein, „brauchen Sie denn da überhaupt Daten aus Deutschland?“ Allerdings. Dies zeige sich, so Sabine Nikolaus, zum Beispiel bei Klinischen Studien. „Die werden inzwischen größtenteils in den USA und China gemacht“, erklärte die stellvertretende Präsidentin des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), „mir liegt aber am Herzen, dass wir in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben. Wir forschen, entwickeln und produzieren in Deutschland – und deshalb möchten wir hier auch Klinische Studien haben.“ Und weiter: „Wir brauchen die Forschung der Pharmazeutischen Industrie in Deutschland – sie bringt Gesundheit und Wohlstand.“ Das Beispiel aus Dänemark zeige ja, „dass es geht in Europa.“ Wichtigste Voraussetzung dafür sei allerdings „Lösungsorientierung – nicht Verhinderungspolitik.“
Auch Thomas Renner zeigte sich lösungsorientiert, verwies aber zugleich auf „Umfragen, die zeigen: Es gibt ein gewisses Misstrauen gegenüber der Forschung der Industrie.“ Deshalb müsse mehr als bisher deutlich gemacht werden: „Mit Daten können wir Menschen heilen. Und bei der Forschung geht es um Nutzungszwecke, nicht darum, wer forscht.“ Die Umfrage-Ergebnisse sähen vermutlich anders aus, wenn den Befragten klar wäre, wie und wo Daten verwendet werden, nämlich anonymisiert und an einem zentralen Zugangspunkt. Christian Dierks ergänzte: „Es macht einen Unterschied, ob man Daten auf einen Stick zieht und sie jemandem gibt – oder ob sie anonymisiert in einer sicheren Umgebung bereitliegen.“
Sabine Nikolaus stellte abschließend fest: „Wir wollen im Prinzip alle in die gleiche Richtung – ich wünsche mir, dass wir miteinander reden. Nicht übereinander, sondern miteinander.“ Denn das könnte längerfristig dazu beitragen, dass Gesundheitsdaten zum Wohle aller verwendet werden und im besten Falle Menschenleben retten. Gesundheitsdaten wären dann nicht mehr „Privatsache oder öffentliches Gut“, sondern sie wären „Privatsache und öffentliches Gut.“
* Ein Experten-Interview zu den Inhalten und Hintergründen des European Health Data Space (EHDS) folgt in Kürze.
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