Die intelligente Nutzung von Gesundheitsdaten hat das Potenzial, die Medizin besser zu machen. Das zeigt ein Projekt, das AstraZeneca gestartet hat. Foto: ©iStock.com/ipopba
Die intelligente Nutzung von Gesundheitsdaten hat das Potenzial, die Medizin besser zu machen. Das zeigt ein Projekt, das AstraZeneca gestartet hat. Foto: ©iStock.com/ipopba

Aus Gesundheitsdaten medizinischen Fortschritt machen

Die intelligente Nutzung von Gesundheitsdaten hat das Potenzial, die Medizin besser zu machen. Doch solche Daten werden in Deutschland zu wenig genutzt. AstraZeneca Deutschland hat deshalb zusammen mit der GWQ ServicePlus AG ein Projekt gestartet, um zu beweisen, dass gemeinsam entwickelte Analyse- und KI-Modelle eine bessere Versorgung von Menschen mit Asthma oder Leukämie möglich machen können.

„From Data to Value“ – oder wie aus Gesundheitsdaten Nutzen entsteht, von dem Patient:innen unmittelbar profitieren können: Das war die Idee hinter dem #HealthDataDive – einem „Tauchgang“ von rund 50 Mitarbeiter:innen des forschenden Pharmaunternehmens AstraZeneca und der Gesellschaft für Wirtschaftlichkeit und Qualität bei Krankenkassen (GWQ ServicePlus AG), bei dem  Studien- und Krankenkassen-Daten mit Hilfe von Data Science, Machine Learning und Künstlicher Intelligenz (KI) bearbeitet wurden. Die auf dem Event generierten Ansätze sollen nun auf Übertragbarkeit geprüft werden, um mit zielgerichteten und individuellen Lösungen die Versorgungsqualität für Patient:innen zu verbessern.

Es war in vieler Hinsicht eine Premiere, wie Dr. Alexander Unger, Director Data Insights & Business Intelligence, und Tessa Wolf, Senior Director Governmental Affairs, Patient Affairs und Payer Affairs, beide AstraZeneca Deutschland, berichten.

Dr. Alexander Unger, Director Data Insights & Business Intelligence
Dr. Alexander Unger, Director Data Insights & Business Intelligence. Foto: ©Felix Matthies

Welche Chancen verbergen sich hinter einer datengetriebenen Medizin?

Dr. Alexander Unger: Das ist ein weites Feld. Das Potential ist sehr groß. Aus der Sicht eines forschenden Arzneimittelunternehmens besteht die Hoffnung, dass wir Daten besser für die Forschung nutzen und damit unsere Arzneimittel schneller und noch passender entwickelt werden können.

Das wäre ein echter Nutzen für Patient:innen…

Unger: Auf jeden Fall. Aber wir haben da im deutschen Gesundheitswesen einiges an Aufholbedarf, nicht nur in forschungsnahen Bereichen, sondern auch in der Basis-Gesundheitsversorgung. Persönlich finde ich es bedenklich, dass ich in anderen Bereichen meines Lebens, z.B. bei meiner Bank, alle Anliegen digital erledigen kann, aber im Gesundheitswesen bei so kleinen Dingen wie dem Impfpass aufpassen muss, dass ich ihn nicht verliere, weil er nicht digital vorliegt. Oder dass ich meinen Entlassbrief ausgedruckt mitbringen muss, wenn ich zum Beispiel aus einem Krankenhaus kommend zu meinem Hausarzt gehe. Insbesondere für chronisch erkrankte und multimorbide Patient:innen ist das nicht nur eine Unannehmlichkeit, sondern kann auch eine Gefahr bedeuten: Niemand hat die volle Übersicht über das Krankheitsgeschehen. Und das kann zu Doppeluntersuchungen und Komplikationen führen, etwa, bei multimorbiden Patient:innen, die unwissentlich mehrere Medikamente mit Interaktionen verschrieben bekommen.

Da dürften schnell Milliardensummen zusammenkommen…

Unger: Definitiv. Wobei wir hier sogar einen doppelt positiven Effekt haben. Ein praktisches Beispiel: Wir wissen, dass eine Gewichtszunahme ein Hinweis ist, dass Herzinsuffizienzpatient:innen auf eine Dekompensation zulaufen. Werden die Gesundheitsdaten, wie z.B. das Gewicht, gut gemonitort und genutzt, können einerseits bessere medizinische Ergebnisse durch Prävention von Komplikationen erzielt werden und andererseits Kosten für teure Notfall-Krankenhausaufenthalte reduziert werden. 

Tessa Wolf: Das gleiche gilt für Diagnosen. Schauen wir uns die chronische Niereninsuffizienz an, die sich fast unbemerkt zu einer Volkskrankheit mit sehr hoher Dunkelziffer entwickelt hat: Hier kennen wir die wichtigsten Risikofaktoren;  mit den entsprechenden Gesundheitsdaten können wir diejenigen identifizieren, die das größte Risiko einer solchen Erkrankung haben. Wir können mit intelligenter Verknüpfung von Daten die Frage beantworten: Wer hat ein Risiko auf eine unentdeckte Niereninsuffizienz? Und dann entsprechend handeln. Ganz nebenbei: Sie gilt als eine der teuersten chronischen Erkrankungen. 

Tessa Wolf, Senior Director Governmental Affairs, Patient Affairs und Payer Affairs
Tessa Wolf, Senior Director Governmental Affairs, Patient Affairs und Payer Affairs. Foto: ©CARINAKIRCHER.DE

Was hält uns in Deutschland davon ab, solche Daten besser zu nutzen?

Wolf: Ich sehe 3 Faktoren. Da ist das, was ich „gefühlte“ Datenschutzthemen nenne. Wir wissen aus Umfragen, dass eine Mehrheit keine Probleme damit hat, anonymisierte Gesundheitsdaten zu teilen. Aber wenn es hart auf hart kommt, sieht die Welt schon anders aus – etwa, weil die Menschen befürchten, dass andere von möglichen Krankheitsrisiken erfahren und dann zum Beispiel Versicherungen teurer werden. Das zweite ist der echte Datenschutz, der sich ja in Europa von Land zu Land eigentlich nicht unterscheidet, der aber in Deutschland strenger ausgelegt wird. Und schließlich drittens: Es wären enorme Investitionen nötig, um die Daten zu strukturieren und nutzbar zu machen.

Unger: Es gibt Schätzungen, dass die Gesundheitsdaten in Deutschland überhaupt erst zu 25 Prozent so aufgearbeitet sind, dass sie digital genutzt werden können – manche sprechen sogar noch von niedrigeren Werten. Im Gegensatz dazu geht dieser Wert in Großbritannien oder den nordischen Ländern auf bis zu 90 Prozent hoch. Das zeigt, wieviel wir hier noch nachzuholen haben.

Was muss passieren?

Unger: Diejenigen, die von einer datengetriebenen Gesundheitsversorgung am meisten profitieren würden, sind die Patient:innen. Die Voraussetzung für eine intelligente Nutzung der Daten wäre aber auch eine gute Vernetzung über Sektorengrenzen hinweg – ein Raus aus den Datensilos. Davon sind wir aber weit entfernt, auch wegen desintegrierten und nicht am Nutzen orientierten Vergütungssystemen. Das Krankenhaus wird für die Versorgung im Krankenhaus vergütet, die Arztpraxis für die in der Arztpraxis.  Das sollte sich ändern.

Wie kam es zu der Idee, diesen #HealthDataDive zu machen?

Wolf: Eigentlich ging es darum, es einfach mal auszuprobieren. Wir wollten sehen, welche medizinischen Erkenntnisse sich aus der Verknüpfung unserer klinischen Studiendaten mit den Versorgungsdaten, wie sie zum Beispiel bei Krankenkassen vorhanden sind, ergeben. Wir wollten wissen, wo die – auch technischen – Hürden sind, die uns an der Datennutzung hindern. Und es ging auch darum, ein Zeichen zu setzen: Wir als Pharmaunternehmen fordern Zugang zu anonymisierten Gesundheitsdaten, weil wir uns davon eine bessere Forschung und Entwicklung versprechen. Wir wollten damit zeigen, dass wir bereit sind, unsere klinischen Daten zu teilen.

Die Vorbereitungen haben länger gedauert, fast zweieinhalb Jahre. Woran lag´s?

Aus Gesundheitsdaten medizinischen Fortschritt machen
Digitale Gesundheitsversorgung: Profiteure sind die Patient:innen. Foto: ©iStock.com/ipopba

Wolf: Skepsis. Total viel Skepsis: Ein forschendes Pharmaunternehmen trifft auf eine Krankenkasse – das sind erst einmal sehr unterschiedliche Welten. Plötzlich war Datentransparenz gefragt, die bisher auf beiden Seiten so nicht üblich ist. Aber auch technische Fragen dahingehend, wie die Informationen aus unseren klinischen Studien mit denen aus der Krankenkassenwelt sinnvoll verknüpft werden können. Natürlich haben wir Aspekte des Datenschutzes intensiv diskutiert. Das waren große Herausforderungen, die erstmal gelöst werden mussten. Schließlich hat auch die Pandemie eine Rolle gespielt, dass sich die Vorbereitungszeit in die Länge gezogen hat.

Was kam heraus aus den zweieinhalb Tagen?

Wolf: Erstmal konnten wir zeigen: Es ist machbar. Damit haben wir eines unserer wichtigsten Ziele erreicht. Wenn der Wille da ist, kann man aus dem, was uns an unterschiedlichsten Gesundheitsdaten zur Verfügung steht, sehr viel lernen, um Menschen besser behandeln zu können.

Unger: Nach intensiven Diskussionen haben wir uns auf zwei Themenbereiche konzentriert. Das war einmal die Frage, ob es möglich ist, Asthma-Patient:innen mit einem erhöhten Risiko für Exazerbationen – also von  Atemnotattacken bis hin zu stationärer Behandlung mit Beatmung – zu identifizieren. Ließe sich das aus den Daten herauslesen, dann könnte man präventive Angebote entwickeln, damit diese Fälle nicht oder seltener auftreten. Das andere Thema kam aus der Onkologie. Wir sind der Frage nachgegangen, was prognostische Marker und Kennzeichen für einen frühen Rückfall nach einer Therapie bei chronisch lymphatischer Leukämie sind.

Und?

Vernetzung von Gesundheitsdaten
Das Nicht-Verknüpfen von Gesundheitsinformationen kostet Menschenleben. Foto: CC0 (Stencil)

Unger: Was wir gemeinsam aus den Daten haben herauslesen können, war sehr ermutigend. Nun muss es im nächsten Schritt darum gehen, die Erkenntnisse aus unserem #HealthDataDive zu vertiefen. Es waren ja nur zweieinhalb Tage. Es ist noch viel Arbeit nötig, denn am Ende sollen ja nicht nur klare Hinweise, sondern evidenzbasierte Entscheidungen stehen.

Wie geht es weiter?

Wolf: Wir würden den Ansatz gerne weiterverfolgen – zum Beispiel in dem man den Kreis der Partner:innen ausweitet. Kann man einen Krankenhausanbieter dazu holen? Oder einen anderen Player, um auf mehr Versorgungsdaten zurückgreifen zu können.

Was passiert, wenn es uns nicht gelingt, diese intelligente Datennutzung umzusetzen? Was verlieren wir?

Unger: Da ist die ökonomische Dimension. Die Unternehmensberatung McKinsey hat in einer Studie das Potenzial eines digitalen Gesundheitswesens auf 42 Milliarden Euro taxiert – pro Jahr. Und auch das muss uns klar sein: Das Nicht-Verknüpfen solcher Gesundheitsinformationen, das Nicht-Nutzen, kostet Menschenleben.

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Der Einsatz digitaler Gesundheitstechnologien birgt großes Potenzial  zeigt eine McKinsey-Studie. Etwa ein Mehr an Versorgungsqualität und Kosteneffizienz. Foto: ©iStock.com/ipopba

Gesundheitswesen digitalisieren: „42-Milliarden-Euro-Chance“

Die Nutzung einer elektronischen Patientenakte, mehr Online-Sprechstunden, Fernunterstützung chronisch kranker Menschen: Eine konsequente Digitalisierung birgt große Potenziale für das Gesundheitssystem – und verspricht ein Plus in Sachen Versorgungsqualität und Kosteneffizienz. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Profitieren würden alle Akteure im Gesundheitswesen, darunter Ärzteschaft, Krankenkassen, Patient:innen.

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72 3 Milliarden Euro: Auf diesen Betrag summieren sich die Rabatte und andere Kostendämpfungsmaßnahmen  die die Pharmaindustrie zugunsten der Krankenkassen zwischen 2010 und 2020 gezahlt hat. Foto: ©iStock.com/ipopba

Daten: „Das Öl des 21. Jahrhunderts“

Bei der nach den Worten von Kongresspräsident Prof. Karl Max Einhäupl „wichtigsten Sitzung“ des 20. Europäischen Gesundheitskongresses in München ging es um die Frage, wie sich mit der Nutzung von Gesundheitsdaten möglichst viele Menschenleben retten lassen. Und darum, was geschehen muss, damit Digitalisierung und die Verwendung von Daten eine Einheit bilden, die dem Wohle aller dient.

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