Gesundheitspolitik ist nicht gerade ein Thema, bei dem die Bürger:innen in Massen in Begeisterung geraten; sie wird meist in Runden diskutiert, in denen Expert:innen unter sich bleiben. Aber Begeisterung hin oder her: Hier wird entschieden, wie die medizinische Versorgung im Land gestaltet wird. Es ist Politik, bei der es um unsere Gesundheit geht. Der Tagesspiegel in Berlin setzt Gesundheit wohl auch deshalb immer wieder ganz oben auf die Agenda und fragte bei SPD, FDP und CDU nach, wie sie die vergangenen 2 Jahre Gesundheitspolitik bewerten. Unterstützt wurde die Veranstaltung vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen, vfa.
GKV-FinStG: Für die Pharmaindustrie „eine Katastrophe“
Es dauerte nicht lange bis GKV-FinStG zur Sprache kam, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor etwas über einem Jahr durchgesetzt hatte. „Ein Paukenschlag“, wie Moderator und Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt es bezeichnete; vfa-Präsident Han Steutel benutzt lieber das Wort „Katastrophe“. „Wir haben mittlerweile 5 neue Arzneimittel, die in Deutschland nicht mehr zur Verfügung stehen – das ist eine völlig neue Situation.“ Das seien 15 Prozent der in dem Jahr neu eingeführten Medikamente, rechnet er vor. „2 davon sind in den USA so genannte ´breakthrough designations` gewesen.“ So bezeichnet die dortige Zulassungsbehörde FDA Therapien, die aufgrund ihrer Studiendaten bei schweren und lebensbedrohlichen Krankheiten für die Betroffenen „substanzielle Therapieverbesserungen“ darstellen können –medizinische Durchbrüche eben. Patient:innen in Deutschland stehen sie nun nicht zur Verfügung. Steutel: „Ich glaube nicht, dass es hier im Raum Menschen gibt, die finden, dass die Amerikaner im Sinne ihrer Arzneimittelbewertung doof sind.“ Aber die globale Pharmaindustrie habe aufgrund des Gesetzes das Vertrauen verloren, dass in Deutschland Innovationen noch sinnvoll erstattet werden.
Sein Fazit: Zwischen GKV-FinStG und Nationaler Pharmastrategie – für die forschende Pharmaindustrie war das vergangene Jahr eine „höllische Achterbahnfahrt.“ Das Papier hatte die Bundesregierung im Dezember vorgelegt.
Dr. Herbert Wollmann, SPD-Gesundheitspolitiker und selbst Arzt: „Es kann nicht sein, dass Medikamente auf dem deutschen Markt nicht verfügbar sind, die woanders zu bekommen sind.“ Er und seine Ampelkollegin Kristine Lütke, FDP, erklärten zu dem Gesetz: Man habe unter starkem Druck gestanden. Die sich auftuenden Milliardenlöcher in der GKV hätten zum Handeln gezwungen.
Das GKV-FinStG: Ein Gesetz mit „maximalem Webfehler“
Das weiß auch die politische Konkurrenz. CDU-Politiker Dr. Georg Kippels (das Pharma Fakten-Interview lesen Sie hier) ließ trotzdem kein gutes Haar am GKV-FinStG. Mit Blick auf den von der Bundesregierung kürzlich vorgelegten Evaluationsbericht – eine Folgeabschätzung ist Teil des Gesetzes – sprach Kippels von einem „maximalen Webfehler“. In der Tat: Von den insgesamt 7 Maßnahmen zur Kostendämpfung hat nur die Erhöhung des Herstellerrabatts von 7 auf 12 Prozent etwas gebracht (rund 1,3 Mrd. Euro; rund 95 Prozent der durch das Gesetz erlangten Einsparungen). Andere Instrumente wie der zusätzliche Rabatt auf Kombinationspräparate brachten exakt null Einsparungen: Die Regelung ist so kompliziert, dass es bis heute nicht gelungen ist, sie umzusetzen. Wiederum andere verfehlten die geplanten Sparbeiträge um viele Millionen Euro. „Mit einer einzigen Maßnahme hat das Gesetz sein Ziel mehr oder weniger erreicht.“
Anders ausgedrückt: Die von der Industrie und auch Teilen der Wissenschaft als innovationsfeindlich kritisierten Paragrafen des Gesetzes hätten gar nicht sein müssen. Stattdessen hätte der CDU-Politiker die GKV lieber von den so genannten versicherungsfremden Leistungen befreit. Kippels: „Da spielt die Musik, das sind rund 11 Milliarden Euro.“ Eine innovationsfeindliche Politik, so der Rheinländer, findet er falsch: „Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, dass wir Schrittinnovationen nicht mehr honorieren, dass wir neue Therapien nicht mehr honorieren.“
Aber nicht alles ist schlecht: Ampelpolitiker Wollmann verwies auf die rund 13 Gesetze, die man bereits auf den Weg gebracht hatte. Kristine Lütke betonte die Verabschiedung der Digitalgesetze noch im Dezember 2023: „Damit haben wir einen richtig großen Schritt in Richtung Zukunft gemacht, holen hier fast 20 Jahre Rückstand auf: Endlich wird es eine richtige elektronische Patientenakte geben, der elektronische Medikamentenplan wird kommen.“ Auf „Reformstau“ angesprochen, setzte sie auch „eine kleine Spitze Richtung Opposition“ ab: „Manches geht nicht voran, weil wir in den Bundesländern sehr große Widerstände haben, etwa bei der Krankenhausstrukturreform.“
Nationale Pharmastrategie: „Wir sind innovativer denn je“
Aber auch für die forschende Pharmaindustrie endete das vergangene Jahr besser als es begonnen hatte: Im Dezember hatte die Bundesregierung die „Nationale Pharmastrategie“ beschlossen. Moderator Maroldt: „Schöne neue Welt: Unbürokratischere Zulassungen von Arzneimittelinnovationen, leichterer Zugang zu Gesundheitsdaten für die Forschung, Anreize, um Produktionsstätten nach Deutschland zu holen – da müssen ihre Augen doch leuchten, Herr Steutel?“ Die Antwort des vfa-Chefs: „Ich weiß nicht, ob Sie das sehen können, aber das tun sie.“ Er habe extrem viel Vertrauen, dass sie auch umgesetzt werde. Endlich habe die Politik die Pharmaindustrie als Wirtschaftsfaktor entdeckt. „Wir haben in Deutschland 4 Kernindustriebranchen: Auto, Maschinenbau, Chemie, Pharma. 3 von diesen 4 haben große Probleme. Bei Pharma ist es genau umgekehrt: Wir sind innovativer denn je.“ Es sei das Interesse der Politik, dass „es Pharma hier gut geht, denn das bietet uns Chancen auf Erhalt des Wohlstandes.“
Aber Pharma ist mehr als nur Wirtschaft. „Wenn innerhalb des vergangenen Jahres 5 Arzneimittelinnovationen nicht mehr zur Verfügung stehen, dann haben wir – anders als von der Politik behauptet – Leistungskürzungen. Wir aber wollen für die Menschen die bestmögliche Versorgung sicherstellen.“
Es gibt jetzt viel zu tun; Gesetze seien ja erstmal nur „Ankündigungen“, so Chefredakteur Maroldt. Aber die Weichen sind gestellt. Zeit wurde es: Die Ampel hatte den Bürger:innen in ihrem Koalitionsvertrag eine „zukunftsgerichtete, moderne Gesundheitspolitik“ versprochen.
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