Die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geplanten Maßnahmen sind ein Frontalangriff gegen Arzneimittelinnovationen. Ein Kommentar von Florian Martius. Foto: iStock.com / gorodenkoff
Die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geplanten Maßnahmen sind ein Frontalangriff gegen Arzneimittelinnovationen. Ein Kommentar von Florian Martius. Foto: iStock.com / gorodenkoff

GKV-Spargesetz: Frontalangriff auf die Medizin von morgen

In der Summe sind die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geplanten Maßnahmen gegen die Pharmaindustrie ein Frontalangriff auf innovative Arzneimitteltherapien. Wer glaubt, hier ginge es lediglich um die Bilanzen großer Konzerne, irrt. Die Botschaft, die die Regierung sendet, lautet: Forschende Spitzenmedizin „Made in Germany“ ist nicht gewollt. Ein Kommentar von Florian Martius.
Pharma Fakten-Redakteur Florian Martius
Pharma Fakten-Redakteur Florian Martius

Als hätte es die Pandemie nie gegeben: Die Millionen durch schnell verfügbare Impfstoffe und Arzneimitteltherapien geretteten Leben auf der ganzen Welt, die Milliarden durch eine besser geschützte Bevölkerung eingesparten Euro, weil die Gesellschaften früher auf die Beine kamen. Die Erkenntnis, dass globale Gesundheitskrisen am besten durch Spitzenforschung eingedämmt werden. Die Überzeugung, dass die biopharmazeutische Branche die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist, die Wissenschaft fördert, Wohlstand und Gesundheit schafft. Die feierlichen Schwüre, aus der Pandemie Lehren zu ziehen:  Alles vergessen.

Das, was das Gesundheitsministerium in seiner Finanznot allein den pharmazeutischen Unternehmen aufbürden will, übersteigt alles, was sich Pharmamanager:innen in ihren kühnsten Alpträumen ausgemalt hatten. Der Entwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz?

Total pandemievergessen. 

GKV-Spargesetz: Ein beispielloser Katalog

Gerade noch als Problemlöser gefeiert, wird die pharmazeutische Industrie mit einem beispiellosen Katalog an finanziellen Daumenschrauben konfrontiert: Herstellerrabatt erhöht, Preismoratorium verlängert und ein Abschlag von 20 Prozent auf Kombinationstherapien, nachdem ein Präparat bereits die Preisregulation der frühen Nutzenbewertung („AMNOG-Verfahren“) durchlaufen hat. Hinzu kommt eine Pervertierung des AMNOG-Gedankens, nach dem Besseres mehr und gleich Gutes genauso viel kosten darf. Auch die Förderung der Orphan Drugs wird zusammengestrichen. Und schließlich sollen Schrittinnovationen benachteiligt werden – als sei eine Verbesserung von Therapien in kleinen Schritten etwas Minderwertiges. Dabei sind sie der Motor, der unsere Gesundheitsversorgung Schritt für Schritt besser macht.

Die medizinischen Fachgesellschaften warnen

Alarmiert ist nicht nur die Industrie. Die Dachorganisation der medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) warnt, dass das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zu eingeschränkter Verfügbarkeit wirksamer neuer Arzneimittel führen könnte. Denn die Pläne, dass künftig nur noch dann ein höherer Preis gegenüber der im AMNOG-Verfahren herangezogenen patentgeschützten Vergleichstherapie gelten darf, wenn der Zusatznutzen „beträchtlich“ oder „erheblich“ ist, ist aus Sicht der AWMF problematisch. Denn bei vielen Neueinführungen wäre trotz Zusatznutzen kein höherer Preis durchsetzbar. Damit würde ein wesentlicher Anreiz zur Verfügbarkeit neuer Arzneimittel in Deutschland wegfallen. Sagen die Mediziner:innen. Auch die ACHSE, der Patient:innen-Verband für Menschen mit seltenen Erkrankungen, warnt vor den Folgen des Lauterbachschen Gesetzentwurfes. Das Einsparpotenzial im Bereich Orphan Drugs stehe nicht „im Verhältnis zu dem Risiko einer schlechteren Verfügbarkeit innovativer Arzneimittel für seltene Erkrankungen.“

Ein pharmakologischer Innovationsboom ist im Gange.
Pharmakologischer Innovationsboom. Foto: iStock.com / gorodenkoff

Der Entwurf des Gesetzes fällt mitten rein in eine Phase eines pharmakologischen Innovationsbooms. Noch nie haben pharmazeutische Unternehmen so hohe Summen in die Forschung investiert, noch nie waren die Pipelines so prall gefüllt. Bereits 37 neu eingeführte Medikamente meldet der Pharmaverband vfa in diesem Jahr. Unter dem Strich sind es 36, weil ein Unternehmen ein Krebsmedikament wieder vom Markt genommen hat. Denn das oberste Organ der Selbstverwaltung – der Gemeinsame Bundesausschuss – sieht keinen ausreichenden Patient:innen-Nutzen; eine Meinung, die die entsprechende Fachgesellschaft nicht teilt. Das Beispiel zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Da die in Deutschland ausgehandelten Erstattungspreise Referenzrahmen für rund 40 Länder weltweit sind, würde ein sinkendes Preisniveau eine internationale Preisspirale nach unten auslösen. 

Für die forschende Industrie wäre das ein verheerendes Signal. Denn in einem Geschäftsmodell, in dem es darum geht, Forschung und Entwicklung (F&E) neuer Wirkstoffe über lange Zeithorizonte zu finanzieren, sind die Einnahmen von heute der Treibstoff für die Investitionen ihrer Pipelines – und damit für die Innovationen von morgen. In dieser Branche gilt: Nur wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen können auch wissenschaftlich erfolgreich sein. Dass Kostendämpfungsmaßnahmen dazu führen, dass Investitionen zurückgefahren werden, ist empirisch bewiesen.

Ein Gesetz, bei dem alle verlieren

Medizinische Versorgung der Patient:innen in Gefahr.
Medizinische Versorgung in Gefahr. Foto: ©iStock.com/monkeybusinessimages (Catherine Yeulet)

Am Ende verlieren alle: Die Industrie, weil sie ihre F&E-Budgets anpassen muss. Der Wissenschaftsstandort, weil die Forschung in anderen Ländern einen höheren Stellenwert besitzt und das Land wissenschaftlich verarmt. Die Ärzt:innen, weil sie ihre Patient:innen nicht oder nur verspätet nach dem neuesten Stand der Medizin behandeln können. Und natürlich sind es die Patient:innen und ihre Angehörigen, weil ihre Versorgung hinter dem was möglich wäre, hinterherlaufen wird. Dass es innovative Arzneimittel in Deutschland im europäischen Vergleich am schnellsten ans Krankenbett schaffen – auch diese Errungenschaft ist in Gefahr. Gewinner sind mitnichten die Gesetzlichen Krankenkassen. Denn strukturelle Reformen, um ihre Finanzierung auf ein stabiles Fundament zu stellen, sucht man vergebens. Und das Geld, was das Bundesgesundheitsministerium mit dem Entwurf einsammeln will, wird wohl nicht mal reichen, um die Löcher zu stopfen.

Einen Lichtblick gibt es. Der Bundesrat sieht den Entwurf kritisch. Die Änderungen im AMNOG-Verfahren hätten das Potenzial „den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland nachhaltig“ zu beschädigen. Und ergänzt: „Der Bundesrat stellt fest, dass die prozentualen Anteile der Arzneimittelkosten an den Gesamtkosten der gesetzlichen Krankenkassen in den letzten Jahren nahezu gleichgeblieben sind. Die vorgelegten Maßnahmen zur Stabilisierung der Arzneimittelausgaben der GKV entziehen der pharmazeutischen Industrie Mittel in Milliardenhöhe für Forschung und Produktion. Dies gefährdet die Innovationskraft und die Leistungsfähigkeit der Pharmaindustrie in Deutschland.“ 

Schöner hätten wir das auf Pharma Fakten auch nicht schreiben können.

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