Die Fußballprofis Sébastien Haller, 28, und Timo Baumgartl, 26, sorgten im vergangenen Jahr dafür, dass eine Krankheit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet, über die bis dahin nur urologische Fachkreise Bescheid wussten: Hodenkrebs. Haller und Baumgartl sind 2 von insgesamt 4.200 Männern, die nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts in Deutschland jedes Jahr neu an einem solchen Tumor erkranken. „Damit ist Hodenkrebs die häufigste bösartige Tumorerkrankung bei Männern im Alter von 20 bis 44 Jahren“, erklärte Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Münchner Universitätsklinikum rechts der Isar. Jede 4. Krebserkrankung in dieser Altersgruppe betreffe die Hoden. „Alleine in München treten 200 Hodentumore pro Jahr neu auf“, so Gschwend.
Hodenkrebs: Sehr hohe Überlebenswahrscheinlichkeit
Doch der Urologe konnte auch mit guten Nachrichten aufwarten: „Bei einem früh erkannten Hodenkrebs liegt die 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei über 99 Prozent – man kann ihn also vollständig heilen.“ Gschwend rät deswegen insbesondere jungen Männern zu einer regelmäßigen Selbstuntersuchung der Hoden. Konkret bedeutet das: „Jeder junge Mann ab etwa 15 Jahren sollte alle vier bis sechs Wochen seine Hoden untersuchen. Das geht ganz einfach: Er muss nur die Hoden in die Hand nehmen und sie einmal vorsichtig durchpalpieren“. Gemeint ist damit, sie nach Veränderungen abzutasten. Am besten funktioniert das im Stehen während oder nach einer warmen Dusche. Sollten dabei verhärtete Stellen ertastet werden, die sich „wie ein Stein oder ein Stück Holz anfühlen können“, dann sollte das möglichst bald ärztlich abgeklärt werden. Auch bei Vergrößerungen des Hodens sollte ärztlicher Rat eingeholt werden.
Solche Veränderungen können auch harmlos sein. Falls aber doch eine Krebserkrankung vorliegt, wird der erkrankte Hoden entfernt. In bestimmten fortgeschrittenen Stadien können Chemo- und/oder Strahlentherapien hinzukommen, die dazu führen, „dass die Heilungsquote auch in metastasiertem Stadium über 95 Prozent beträgt“, so Gschwend. Vor Beginn der Behandlung empfiehlt er den Betroffenen eine so genannte Kryokonservierung, also das Einfrieren von Spermien, da ein solcher Tumor die Zeugungsfähigkeit deutlich einschränkt. Die Potenz bleibt allerdings vollständig erhalten, solange nur ein Hoden betroffen ist.
Risikofaktoren für Hodenkrebs
Gschwend ging auch auf Risikofaktoren für diese Erkrankung ein: Ein Hodenhochstand als Kind erhöht das Risiko um das 4- bis 8-fache, ein Hodentumor in der Familie um das 11-fache – und ein vorangegangener Hodentumor bringt eine 30-fach höhere Wahrscheinlichkeit mit sich, dass auch der zweite Hoden von einem Tumor befallen wird. Auch eine Hodenatrophie, also ein stark verkleinerter Hoden, kann das Erkrankungsrisiko erhöhen.
Die Bayerische Krebsgesellschaft (BKG) hat jetzt eine Kampagne nach Bayern geholt, die zuvor schon in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg erfolgreich gestartet ist: „Check dich selbst – gib Hodenkrebs keine Chance“. Im Zentrum der Aktion steht eine eigene Internetseite mit Infos, einem Erklärvideo zur Selbstvorsorge und einem „Urologenfinder“. Da die Kampagne sich vorwiegend an jüngere Männer richtet, wird sie „ganz bewusst in Jugendsprache gehalten“, so BKG-Geschäftsführerin Gabriele Brückner. Neben „Let`s talk about eggs“ lauten die Slogans „All for the balls“ und „Hands in the pants“.
Männer sind Vorsorgemuffel
Brückner hofft damit in den kommenden Monaten ein Problem anzugehen, das mit zunehmendem Alter immer schwieriger zu lösen ist: „Männer sind Vorsorgemuffel – insgesamt nahmen im Jahr 2019 nur 10,3 Prozent von ihnen die Möglichkeiten der Krebsvorsorge in Anspruch.“ Brückner ist überzeugt: „Wenn ich als Mann lerne, eine Hodenkrebs-Vorsorge zu machen, dann fällt es mir später wahrscheinlich leichter, zur Hautkrebs-Vorsorge zu gehen und zur Darmspiegelung.“ Derzeit hält die BKG nach Partnern für die Kampagne Ausschau: „Wir wollen Vereine zur Kooperation gewinnen“, erklärt Brückner, „Fitness-Studios, Unternehmen, aber auch Bundeswehr und Polizei“. In Baden-Württemberg beteiligt sich zum Beispiel Fußball-Bundesligist VfB Stuttgart an der Kampagne, in Schleswig-Holstein unter anderen die Handball-Bundesligisten THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt.
Sébastien Haller von Borussia Dortmund und Timo Baumgartl von Union Berlin stehen inzwischen übrigens wieder auf dem Rasen. Beide kämpfen jetzt nicht mehr gegen den Hodenkrebs, sondern darum, mit ihren Teams Deutscher Fußballmeister zu werden.
Die Digitalveranstaltung „Darüber spricht Man(n)! Früherkennung und Versorgung von Hodenkrebs“ (21. Februar 2023) wurde von Health Care Bayern e.V. in Kooperation mit der Bayerischen Krebsgesellschaft e.V. veranstaltet.
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Krebsbekämpfung in Deutschland: Besser als der EU-Durchschnitt
Die Überlebenschancen bei Krebs haben sich in Deutschland verbessert. Das geht aus dem „Länderprofil Krebs 2023“ hervor, den die EU-Kommission zusammen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) herausgegeben hat. Die hiesige Fünf-Jahres-Nettoüberlebensrate liegt bei den meisten bösartigen Tumoren über dem EU-Durchschnitt. Sie gilt als Hinweis für die Qualität der Versorgung und ist hierzulande zwischen 2004 und 2014 bei fast allen häufigen Krebsarten gestiegen oder gleichgeblieben.
Krebssterblichkeit sinkt weiter – wegen Therapiefortschritten
Das Risiko, an einer Krebserkrankung zu sterben, ist in den USA zwischen 1991 und 2020 um 33 Prozent zurückgegangen. Insgesamt konnten dadurch geschätzte 3,8 Millionen Todesfälle verhindert werden. Das geht aus Daten der „American Cancer Society“ hervor. „Dieser Fortschritt spiegelt zunehmend die Fortschritte in der Behandlung wider“, so die Expert:innen. Das gelte insbesondere für Leukämie, schwarzen Haut-, Nieren- und Lungenkrebs.
Welt-Krebs-Tag: „Wir können noch viel mehr tun.“
„Versorgungslücken schließen“ – das ist in diesem Jahr das Motto des Welt-Krebs-Tages, der jedes Jahr am 4. Februar begangen wird. Der Onkologe Professor Dr. Christof von Kalle von der Charité in Berlin und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats von der Initiative Vision Zero fordert im Pharma Fakten-Interview, die Potenziale in der Krebsmedizin besser auszuschöpfen. Denn 40 Prozent aller Krebsfälle müssten gar nicht sein.