Sie haben vor vier Jahren den Verein „KlimaDocs“ ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Dr. Susanne Filfil: Auslöser war ein einschneidendes Ereignis in unserer Familie: Wir sind damals in die Berge gefahren, wollten ein paar Tage im Schnee verbringen. Meine Tochter war damals 16 und sie liebte verschneite Landschaften. Doch als wir ankamen, war der Schnee geschmolzen, mitten im Februar. Meine Tochter war wirklich schockiert und sagte: „Mama, weil ihr die Erde zu warm gemacht habt, liegt jetzt kein Schnee mehr in den Alpen.“ Das war ein sehr berührender und intensiver Moment für mich. Ich habe mir schon vorher Gedanken zu Klima- und Umweltschutz gemacht, aber das war der Moment, wo ich gedacht habe: Wir müssen was tun, und zwar aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Ich habe dann eine E-Mail geschrieben an alle meine Freunde und Verwandten. Erst gab es viele positive Rückmeldungen, dann ein Treffen, bei dem viele Menschen aus der Gesundheitsbranche dabei waren. Dabei haben wir festgestellt: Wir als Ärztinnen und Ärzte haben wunderbare Möglichkeiten, aufzuklären – denn es geht ja beim Klimawandel auch und vor allem um unsere Gesundheit.
Wie sieht diese Aufklärung aus und welche Ziele verfolgen Sie damit?
Filfil: Wir haben uns dafür entschieden Informationsmaterial zu erstellen, das wir im Wartezimmer auslegen und unseren Patient:innen in die Hand drücken können. Unser Ziel dabei ist es, den Menschen klarzumachen, dass klimafreundliches Verhalten gleichzeitig gut für ihre eigene Gesundheit ist. So arbeiten wir doppelt präventiv – für den Planeten und für unsere Patient:innen. Wir geben den Menschen Mittel an die Hand, durch die sie spüren: Jede und jeder kann etwas bewirken.
Welche Infomaterialien sind das, die Sie erstellen?
Filfil: Da gibt es verschiedene Varianten. Angefangen haben wir mit einem allgemeinen Flyer zu klimafreundlicher Ernährung, Mobilität und Energie. Später haben wir dann auch spezifische Informationen herausgebracht, etwa für Kinder- und Lungenfachärzt:innen. Voriges Jahr folgte dann eine Gynäkologie-Broschüre. Zuletzt haben wir in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unsere allgemeine Broschüre überarbeitet und Erkenntnisse eingefügt, die wir in den letzten Jahren dazugewonnen haben.
Gibt es bei diesen Broschüren welche, die besonders stark nachgefragt werden?
Filfil: Grundsätzlich kommen alle Broschüren sehr gut an, aber besonders nachgefragt wird die Pädiatrie-Broschüre – auch, weil wir darin über konkrete Maßnahmen bei Hitze aufklären, was gerade bei Kindern sehr wichtig ist. Am universellsten einsetzbar ist der allgemeine Flyer, den wir jetzt neu aufgelegt haben. Das ist keine umfangreiche Broschüre, sondern nur ein Faltblatt, das wenig Papier benötigt und die wichtigsten und grundlegendsten Tipps enthält.

Welche sind das?
Filfil: Der wichtigste Hebel, den wir für unsere eigene Gesundheit und auch für den Planeten haben, ist die Ernährung. Sie ist in Deutschland immer noch zu fleischlastig, auch wenn es langsam besser wird. Grundsätzlich ist ein hoher Fleischkonsum wirklich schlecht für die Gesundheit – er erhöht das Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte, Darmkrebs. Wir können viel erreichen, wenn wir auf pflanzenbasierte Kost umsteigen, die möglichst noch regional und biologisch angebaut ist. Auch die Mobilität ist ein wichtiger Faktor, denn viele Volkskrankheiten sind auch darauf zurückzuführen, dass wir uns zu wenig bewegen. Wir sollten also nicht den Fahrstuhl nehmen, sondern die Treppe und, wenn möglich, mit dem Rad zur Arbeit oder zur Schule fahren. Bei Kindern ist das wirklich ein Problem, wenn sie im Auto zur Schule gebracht werden. Bewegung ist für die Entwicklung von Kindern extrem wichtig. Der dritte Punkt ist saubere Luft, zu der wir alle nach unseren Möglichkeiten beitragen können – etwa durch Solarzellen auf dem Dach oder dem Balkon.
Weshalb stehen Ärzt:innen beim Thema „Klimakrise“ in der Verantwortung?
Filfil: Wir sind Personen, die großes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Auch beim Thema Klimawandel gelten wir als besonders glaubwürdig, zusammen mit den Meteorologen. Die Menschen kommen zu uns und möchten tatsächlich über den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit aufgeklärt werden – es gibt Studien, die zeigen, dass über 50 Prozent der Patient:innen sich das wünschen. Und es gibt auch Studien, die belegen, dass dieser Wartezimmer-Ansatz akzeptiert wird und die Menschen froh sind, wenn sie zuhause alles nochmal nachlesen können. Was viele nicht wissen: Es steht sogar in der Berufsordnung von uns Ärzt:innen, dass wir uns um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen kümmern sollten. Und wir haben ja auch viele Möglichkeiten, das Thema in der Praxis oder Klinik anzusprechen – etwa im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen, bei denen es ohnehin um gesundes Verhalten geht. Da können wir zum Beispiel deutlich machen, dass eine Ernährung, die gut für den Planeten ist, eben auch für uns selbst am besten ist.

Wie viel kosten Ihre Infomaterialien eigentlich?
Filfil: Sie sind kostenfrei. Das war uns von Anfang an sehr wichtig, damit wir das Angebot sehr niedrigschwellig halten können.
Gibt es neben den Infomaterialien noch andere Schwerpunkte in Ihrer Arbeit als KlimaDocs?
Filfil: Wir legen bei unserer Arbeit auch Wert auf Aufklärung durch Vorträge. Wir geben also Einladungen dazu weiter und versuchen auch selbst, Sessions zu organisieren. Wir haben zum Beispiel letztes Jahr das Hitze-Manual Kinderheilkunde entwickelt – zusammen mit der deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), dem Berufsverband für Kinder- und Jugendärzte und dem Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit. Wir haben dazu ein einstündiges Webinar veranstaltet, bei dem wir über die Inhalte des Manuals gesprochen haben. Und: Wir kooperieren mit den öffentlichen Gesundheitsdiensten – so bieten wir den dort beschäftigten Ärzt:innen Schulungen an, die zu einer fruchtbaren Klimakommunikation befähigen sollen. Nicht zuletzt bringen wir einen Newsletter mit nützlichen Tipps für den medizinischen Alltag heraus – dort zeigen wir zum Beispiel nachhaltige Alternativen zur Praxisdesinfektion auf oder gehen auf die Problematik von Dosieraerosolen und deren Entsorgung ein.
Wie finanziert sich Ihr Verein?
Filfil: In den letzten Jahren wurden wir von der Stiftung Mercator unterstützt. Aber diese Finanzierung war zeitlich befristet und läuft demnächst aus. Wir müssen also sehen, wie wir uns finanziell neu aufstellen. Ein wichtiger Punkt dabei ist eine Mitgliedschaft, die man eingehen kann. Bisher konnten alle Angehörigen von Gesundheitsberufen bei uns bestellen – damit waren sie KlimaDocs, hatten aber keinerlei Verpflichtungen. Jetzt stellen wir gerade um, bieten allen Interessierten an, Mitglied zu werden, vielleicht auch Fördermitglied. Wir hoffen, dass wir uns darüber langfristig finanzieren können. Zudem spielen natürlich auch Spenden für uns eine wichtige Rolle – da wir ein gemeinnütziger Verein sind, können alle Spenden steuerlich abgesetzt werden.

Was haben Ärzt:innen davon, KlimaDocs zu sein?
Filfil: Zum einen können sie viele Ressourcen und damit auch Geld sparen, wenn sie und ihr Team sich mit dem Thema „nachhaltige Arztpraxis“ auseinandersetzen. Das betrifft unter anderem die Stromkosten und den Verbrauch von Praxismaterialien. Zudem wächst dadurch die Zufriedenheit im Team, zumal ein nachhaltiger Arbeitsplatz für viele junge Menschen mittlerweile ein wichtiger Faktor ist. Zum anderen kann man als Klimadoc etwas wirklich Positives bewirken und merkt das auch. Jeder Arzt sieht ja im Quartal rund 1.000 Patient:innen. Wir sind jetzt fast 1.300 Klimadocs, die locker eine Million Menschen pro Quartal erreichen. Und jeder einzelne dieser Klimadocs, zu denen übrigens auch Physio- und Psychotherapeut:innen sowie Heilpraktiker:innen zählen, hat das gute Gefühl, etwas zu tun – und damit am Ende vielleicht sogar die Welt zu verändern.
Weiterführende Links:
https://klimadocs.de/
Hitze-Manual
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