Weshalb und wie genau macht uns die Klimakrise krank?
Dr. Robin T. Maitra: Die Klimakrise verändert unsere gesamte Lebenswelt. Konkret merken wir alle: Es wird heißer, wir haben mehr Extremwetter. Das führt dazu, dass sich viele bestehende Erkrankungen verschlechtern. Menschen mit Herz- oder Nierenschwäche, aber auch mit anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, kommen mit dem veränderten Klima überhaupt nicht gut zurecht. Es entstehen auch neue Krankheiten. Der Klimawandel macht die Menschen aber nicht nur in Europa krank. Im globalen Süden werden ganze Landstriche unbewohnbar – es entstehen riesige Trockengebiete, die Wüsten dehnen sich aus. Lebensgrundlagen werden vernichtet, die Wasserversorgung verschlechtert sich – auch das macht krank. Menschen fliehen, es kommt zu Kriegen – das sind soziale Folgen, die ebenfalls krank machen. Das Klima ist weltumfassend, es betrifft den ganzen Planeten.
Welche Krankheiten werden durch die Klimakrise verstärkt und welche entstehen neu?
Maitra: Akute Hitzefolgen gab es schon immer, aber infolge des Extremwetters haben sie deutlich zugenommen – also Hitzschläge, Hitzekrämpfe, Austrocknung. Das tritt vermehrt auf, weil es einfach heißer ist. Aber diese akuten Erkrankungen sind gar nicht das Hauptproblem.
Sondern?
Maitra: Die chronischen Erkrankungen verschlechtern sich – vor allem Allergien und chronische Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD. Das lässt sich gut nachweisen. Wobei auch noch Faktoren wie die Feinstaubbelastung durch fossile Verbrennung hinzukommen. Auch Menschen mit Herz- Kreislauferkrankungen oder einer chronischen Nierenerkrankung können die Hitzebelastung schlechter kompensieren als gesunde Menschen. Ich sehe als Hausarzt regelmäßig, dass in den Sommermonaten die Nierenwerte schlechter werden. Auch die psychische Labilität nimmt zu, viele Menschen sind aggressiver. Nicht zuletzt lassen sich Wundinfekte schwerer behandeln, weil bei Hitze andere Keime auftreten. Viele Erkrankungen verschlechtern sich also, aber es gibt auch neue Erkrankungen.
Welche?
Maitra: Die Tigermücke, die sich jetzt auch bei uns ausbreitet, überträgt in anderen Ländern sehr häufig Dengue-Fieber, Zika-Virus, Westnilvirus und ähnliches mehr. Damit müssen wir uns in naher Zukunft auch hier auseinandersetzen. Aber man kann den Bogen noch weiter schlagen.
Inwiefern?
Maitra: Es gibt Theorien und Diskussionen, wonach Corona deswegen von chinesischen Fledermäusen übertragen wurde, weil sich durch klimatische Veränderungen die Habitate und Lebensräume dieser Tiere verändert haben. Das ist bislang nur eine Theorie, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Klimawandel durch die Veränderung von Lebensbedingungen für Erreger und Zwischenwirte auch zum Entstehen von Pandemien beitragen kann.
Was können wir als Einzelne tun, um die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise so gering wie möglich zu halten?
Maitra: Wir können, wenn möglich, an heißen Tagen die Hitzeeinstrahlung meiden, die Wohnung quer lüften und körperlich anstrengende Tätigkeiten morgens und abends erledigen, nicht in der Mittagshitze. Außerdem sollten wir genug trinken. Das sind Schutzmaßnahmen, mit denen wir die Kompensationsmöglichkeiten des Körpers unterstützen können.
Das klingt banal.
Maitra: Ja, aber es ist nicht sehr verbreitet. Ich sehe immer noch viele Ältere, die in der Mittagshitze zum Supermarkt gehen und in der glühenden Hitze einkaufen. Da muss auch ein Bewusstseinswandel stattfinden. Da sind wir als Ärztinnen und Ärzte gefordert, weil wir das ja unterstützen können. Neben solchen unmittelbaren Schutzmaßnahmen gibt es noch einen zweiten wichtigen Punkt.
Welchen?
Maitra: Wir alle tragen ja unseren Teil zum Klimawandel bei. Das können wir reduzieren, indem wir uns gut verhalten und zum Beispiel fossile Fortbewegung einschränken und uns fleischarm ernähren. Wir können auch in unserer direkten Umgebung vieles machen – das fängt bei der Heizungsanlage und Dämmung an und hört bei der Solaranlage noch lange nicht auf. Und wir haben als Bürgerinnen und Bürger auch die Möglichkeit, politischen Einfluss zu nehmen.
Was müsste sich denn gesellschaftlich und politisch tun?
Maitra: Die Regierenden müssten viel mehr Überzeugungsarbeit leisten, die Menschen mit ins Boot holen. Es geht nicht um Verbote, sondern darum, klimafreundliches Verhalten zu fördern und zu unterstützen. Etwa dadurch, dass wir Elektromobilität fördern, ebenso die nicht motorisierte Mobilität. Ich fände es auch gut, den öffentlichen Nahverkehr und möglicherweise auch den Fernverkehr kostenlos anzubieten. Auf den Straßen muss hingegen ein Tempolimit her – das könnte schnell durchgezogen werden, aber es wird nicht gemacht.
Als Arzt finde ich es außerdem wichtig, einen Blick auf die Gesundheit zu werfen. Auch da müssen wir als Gesellschaft noch viel tun. Wir müssen vor allem Gruppen schützen, die durch Hitze besonders gefährdet sind – alte, schwache, kranke Menschen, aber auch Kinder und Kleinkinder, die noch nicht über einen thermischen Schutz verfügen. Es müsste zum Beispiel Sonnensegel an Kitas geben oder Trinkbrunnen an Schulen und öffentlichen Plätzen. Und wir brauchen flächendeckende Hitzeschutzpläne. Ich hatte kürzlich einen Patienten, der im Bauhof arbeitet – er erzählte mir, dass die Gemeinde ihm einen Strohhut stellt. Das ist gut, aber es reicht nicht als Klimaschutzmaßnahme. Man muss wegkommen von der Symbolik hin zu wirklichen Arbeitsschutzmaßnahmen. Das muss neu gedacht werden.
Umfragen zeigen, dass Klimaschutz in letzter Zeit für viele Menschen an Bedeutung verloren hat.
Maitra: In letzter Zeit kommen auch vermehrt Leute in die Öffentlichkeit, die den Klimawandel als normale Abweichung betrachten. Das ist absurd. Wer angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse den Klimawandel leugnet, der stellt sich komplett ins wissenschaftliche Abseits. Ich diskutiere viel und gerne – aber da diskutiere ich einfach nicht mehr, das ist sinnlos.
Weshalb braucht die Landesärztekammer in Baden-Württemberg eigentlich einen Klimaschutzbeauftragten?
Maitra: Wir haben das als erste Landesärztekammer in Deutschland eingerichtet, weil wir erkannt haben: Der ärztliche Alltag, also die Behandlung von Krankheit und die Förderung von Gesundheit, wird sich in den nächsten Jahren durch den Klimawandel deutlich ändern. Das betrifft die Kliniken, die Praxen, die Verwaltung. Unsere ärztliche Realität wird sich ändern, ebenso die medizinischen Bedarfe der Gesellschaft. Darauf sollten wir uns einstellen. Wir bieten den Kolleg*innen deshalb Fortbildungen an, bei denen wir zum Beispiel darauf eingehen, wie sich CO2 einsparen lässt. Wir sind als Gesundheitswesen global gesehen zu 4,7 Prozent für den Ausstoß von Treibhausgasen verantwortlich. Dafür wollen wir die Ärzt*innen sensibilisieren. Nur ein Beispiel: Wenn Asthmasprays nicht mit Hilfe von Dosieraerosolen, sondern mit Pulverinhalatoren angewendet werden, dann ist das viel CO2-freundlicher. Das wollen wir unseren Kolleg*innen vermitteln. Und natürlich wollen wir sie auch dabei unterstützen, ihre Patient*innen gut zu beraten, etwa, wenn es um die Medikamenteneinnahme geht. Manche wirken bei Hitze stärker, andere schwächer als sonst. Das ist besonders wichtig für Menschen, die mehrere verschiedene Medikamente einnehmen, weil sich auch die Wechselwirkung von Medikamenten bei Hitze verändert. Hier hat übrigens auch die pharmazeutische Industrie eine wichtige Aufgabe.
Welche?
Maitra: Sie kann bei der Entwicklung von Medikamenten helfen, die einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck haben. Das betrifft beispielsweise auch die Produktion, die Transportwege und die Distribution von Pharmaka. Wissen aus der Pharmakologie trägt zum Kenntnisstand der Heidelberger Hitzetabelle bei. Das ist eine Tabelle, die Wechselwirkungen bei Hitze auflistet und immer weiterentwickelt wird – mit Unterstützung der Wissenschaft und auch der der pharmazeutischen Industrie.
Gibt es außer Ihnen noch weitere Klimaschutzbeauftragte in den Landesärztekammern?
Maitra: Nicht in dieser Struktur. Aber es gibt inzwischen in vielen Landesärztekammern eigene Arbeitskreise, die sich damit befassen. Auch bei der Bundesärztekammer gibt es einen Ausschuss Klimawandel und Gesundheit, dem ich auch angehöre. Wir haben vor zwei Jahren einen deutschen Ärztetag unter dem Thema „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ gemacht. Da ist also viel in Bewegung.
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