Der Gesundheitsminister höchstpersönlich wartete gleich zu Beginn der Veranstaltung mit einer medizinischen Sensation auf. Es gebe, so Karl Lauterbach, ein nahezu nebenwirkungsfreies Medikament, „mit dem wir gleichzeitig das Risiko senken könnten, Diabetes zu entwickeln, Schlaganfälle zu bekommen, Herzinfarkte.“ Zudem könne dieses Mittel „das Risiko der Demenz reduzieren und auch noch Krebskrankheiten verhindern.“ Und weiter: „Wir haben dieses Medikament – es ist der Sport, es ist die Bewegung.“ Es folgten beeindruckende Zahlen: Regelmäßiger Sport senkt nach Lauterbachs Worten das Risiko für Blasenkrebs um 15 Prozent, für Brustkrebs um 12 bis 20 Prozent, für Darm- und Magenkrebs um 20 Prozent, für Nierenkrebs um 12 Prozent. Aber wahr sei leider auch: „Wir stehen in Deutschland besonders schlecht da, was die Bewegung der Bevölkerung betrifft. Wir haben in der Coronazeit deutlich an Bewegung eingebüßt, danach ist es nicht wieder besser geworden.“ Kombiniert mit weiteren Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol, ungesunder Ernährung führe dies dazu, dass wir unter „den 16 westeuropäischen Ländern bei Männern die niedrigste Lebenserwartung haben und bei Frauen die zweitniedrigste.“
Es fehlen in den nächsten Jahren 50.000 Ärzt:innen
Es deutet wenig darauf hin, dass sich die Situation in den kommenden Jahren bessern könnte. Im Gegenteil. Denn Lauterbach nannte noch ganz andere Zahlen, die ebenfalls dafür sprechen, dass es gut wäre, möglichst viele Krankheiten von vornherein zu vermeiden: „Uns werden in den nächsten 15 Jahren etwa 50.000 Ärztinnen und Ärzte fehlen. Das ist leider der Befund.“ Er selbst habe schon vor mehr als 10 Jahren „immer wieder dekliniert“, dass wir 5.000 zusätzliche Medizin-Studienplätze brauchen. Passiert sei nichts, außer, „dass wir systematisch Ärztinnen und Ärzte aus anderen Ländern abwerben“ – früher vor allem aus Osteuropa, heute vor allem aus Nordafrika. „Es gibt viele Kliniken“, so Lauterbach, „wo über Jahre hinweg kein einziger Arzt neu rekrutiert werden konnte, der in Deutschland studiert hat.“
Und es gebe noch einen weiteren Grund, der für Krebsprävention spricht: Vorbeugung vermeidet nicht nur viel Leid, sondern auch Kosten, die bei einer Behandlung anfallen.
Lauterbach versprach, alle Herausforderungen im Gesundheitssektor anzugehen. Dann zählte er auf, welche Gesetze sein Haus in Arbeit habe: Angefangen vom Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG), das „die Vorbeugeforschung auf eine neue Ebene bringen kann“, bis hin zum Krankenhausgesetz, das unter anderem sicherstellen soll, dass Krebspatienten dort behandelt werden, „wo der fachliche Stand sehr gut ist.“ Zudem sei es ihm ein Anliegen, auch junge Menschen für Prävention zu erreichen. „Dazu müssen wir mit unserer Information auf dem Smartphone sein. Die jungen Leute spricht man nur auf dem Smartphone an, selbst wenn man neben ihnen sitzt.“ Derzeit baue sein Haus ein eigenes Präventionsinstitut auf, BIPAM genannt, wo Prävention und Aufklärung gefördert werden sollen. Dieses Institut werde auch mit dem Nationalen Krebspräventionszentrum zusammenarbeiten, das seit 2018 gemeinsam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe aufgebaut wird.
Die „Trägheit“ der Patient:innen?
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte: „Ich bin nicht so euphorisch, wenn der Minister das GDNG als großen Wurf darstellt.“ Er forderte: „Da muss man viel mutiger werden, viel stärker, nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich kommunizieren, dass dieser Schwachsinn mit übertriebenem, vorgeschobenem Datenschutz Menschen tötet. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass Industrie, dass Forschung tatsächlich Innovationen erzeugen kann.“ Was Prävention angeht, empfahl Sorge: „Wir müssen die Trägheit und die Faulheit der Patientinnen und Patienten mit einplanen. Viele Menschen wissen ja, was man machen könnte. Wir müssen die Leute animieren, ohne bevormundend zu wirken.“ Sorge plädierte etwa für „Boni“, die dazu animieren, sich gesundheitsbewusst zu verhalten.
Die Versorgungsforscherin Prof. Nicole Ernstmann wehrte sich gegen Begriffe wie „Trägheit“ und „Faulheit“, denn: „Ich kann mich nur in dem Maße kompetent verhalten, wie es mir das System ermöglicht.“ Nur Menschen mit entsprechendem Bildungshintergrund seien in der Lage „informierte Entscheidungen zu treffen.“ Hinzu komme: Auch bei 40 Prozent vermeidbaren Krebsfällen gebe es noch viele Krebserkrankungen, „die einfach nur Pech sind. Jeder kann betroffen sein.“
Konkrete Angebote machen
Der Gesundheitsökonom Dr. Julian Witte empfahl, Prävention „zielgruppenspezifisch“ anzugehen. Flyer und Aushänge in Arztpraxen würden wenig bringen, sinnvoller sei es da, „die Menschen niedrigschwellig abzuholen – nicht mit Informationen, sondern mit Angeboten.“ So könnten Krankenkassen zum Beispiel gleich die Termine zur Vorsorge vereinbaren und die Patient:innen dann dazu einladen – in Schweden werde das so gemacht. Wer nicht zur Vorsorge wolle, müsse dort aktiv absagen. Über ein solches Modell könne man auch in Deutschland nachdenken.
Prof. Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des DKFZ, machte deutlich: „Durch Früherkennung und Prävention gemeinsam könnten wir in Deutschland ungefähr 60 Prozent aller Krebstodesfälle vermeiden“ – das sind noch einmal deutlich mehr als die 40 Prozent vermeidbarer Neuerkrankungen. Doch damit das gelingt, dürfen wir nach Baumanns Überzeugung „nicht nur Reparaturmedizin betreiben“, sondern es müssten viele verschiedene Akteure zusammenarbeiten und Prävention auf die Straße bringen. Als Beispiel für eine solche Zusammenarbeit erinnerte Baumann an die Einrichtung onkologischer Spitzenzentren. Dort sei die Behandlung schon alleine deshalb besser geworden, weil es dort eine „Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Fachrichtungen gibt – das brauchen wir für die Prävention auch.“ Nötig sei eine langfristige Strategie, an der sich alle beteiligen – von Grundlagenforscher:innen bis hin zur Politik.
Beispiel „Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs“
Wie das funktionieren könnte, beschrieb Baumann anhand der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs: „Die wurde in Deutschland erfunden, mein Vorvorgänger Harald zur Hausen hat dafür den Nobelpreis für Medizin gekriegt. Trotzdem sind wir in Deutschland nicht in der Lage, diese Impfung in ausreichendem Maße an die Kinder zu bringen.“ Anders sei dies in Ländern, wo diese Impfung in den Schulen besprochen und vielleicht sogar durchgeführt werde. In all diesen Ländern seien die Impfraten so, „dass die Krankheit nicht mehr auftritt.“ In Deutschland hingegen fehle ein runder Tisch, an dem besprochen wird, was getan werden kann. Dem pflichtete auch Gerd Nettekoven bei, Vorstandvorsitzender der Deutschen Krebshilfe: „Wir müssen an einen Tisch mit allen, die in diesem Feld kompetent sind.“
Fazit: Vorsorge rettet Leben – aber nur, wenn sich die Menschen auch entsprechend verhalten. Dazu wiederum braucht es Anreize und konkrete Angebote, etwa Aktionen an den Schulen oder eine direkte Terminvergabe zur Vorsorge. „Power für die Prävention“ kann es nur dann geben, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und langfristige Strategien entwickeln und umsetzen.
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