Der Onkologe Dr. Jan-Philipp Weber beschreibt im Interview, welchen Nutzen seine Patient:innen aus seiner Kooperation mit dem Nationalen Netzwerk genomische Medizin Lungenkrebs ziehen.
Der Onkologe Dr. Jan-Philipp Weber beschreibt im Interview, welchen Nutzen seine Patient:innen aus seiner Kooperation mit dem Nationalen Netzwerk genomische Medizin Lungenkrebs ziehen.

Lungenkrebs: Der beste Weg zur genomischen Testung

Gemeinsam mit drei weiteren Ärzt:innen arbeitet der Lungenkrebs-Spezialist Dr. Jan-Philipp Weber in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Köln. Im Interview berichtet er, weshalb er als Onkologe mit dem Nationalen Netzwerk genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) zusammenarbeitet, wie diese Partnerschaft aussieht und welche Folgen das für seine Patient:innen hat.
Lungenkrebs-Spezialist Dr. Jan-Philipp Weber
Lungenkrebs-Spezialist Dr. Jan-Philipp Weber. Foto: privat

Sie kooperieren mit dem Nationalen Netzwerk genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM). Warum?

Dr. Jan-Phillip Weber: Weil sich für manche Erkrankungen, allen voran Lungenkrebs, genetische Mutationen im Tumorgewebe finden lassen, die therapierelevant sind und möglichst einheitlich getestet werden sollten. Genau das macht das nNGM. Das nNGM ist das größte Netzwerk in Deutschland, das molekulare Testung im Bereich Lungenkrebs vereinheitlicht und darüber hinaus versucht, auch die Patientenversorgung entsprechend den Test-Ergebnissen mehr zu algorithmisieren und zu evaluieren – was medizinisch absolut Sinn macht. Ich möchte, dass meine Patienten Zugang zu diesen Möglichkeiten haben. Das ist leider immer noch nicht selbstverständlich. Wir sehen außerhalb des nNGM immer noch einen Anteil von Patienten, die nicht getestet werden und keine adäquate Therapie bekommen. Da möchten wir nicht dazu gehören. Deswegen haben wir uns entschieden, Netzwerkpartner des nNGM zu sein.

Welche Vorteile bringt diese Partnerschaft neben der molekularen Testung sonst noch mit sich?

Weber: In der nNGM-Datenbank werden zum Beispiel alle molekularen Testdaten gesammelt. Als nNGM-Partner haben wir auch wissenschaftlichen Zugriff auf die nNGM-Datenplattform – das hilft uns dabei, eigene Projekte zu entwerfen und die Verläufe der Patienten besser zu verstehen. Im universitären Kontext werden auch Studien daraus generiert, daher tragen die nNGM-Daten aktiv zur Weiterentwicklung der Lungenkrebstherapien bei.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem nNGM konkret aus?

Gesundheitsdaten
nNGM-Datenplattform: Verläufe besser verstehen. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Weber: Sehr algorithmisiert. Wir sind Partner im nNGM. Das bedeutet, wir haben Verträge unterschrieben, dass wir unsere molekulare Diagnostik über die nNGM-Testzentren anfordern. Die Patienten müssen das auch unterschreiben, dass sie im nNGM getestet werden wollen. Das ist ein ziemlicher Papier-Aufwand. Auch unsere Zuweiser machen das, also Lungenfachärzte oder Kliniken, in denen die Erstdiagnose gestellt wird. Wir selbst geben bei der Erstdiagnose nur einen Teil der Testungen in Auftrag. Aber wir erhalten in jedem Fall einen ausführlichen Bericht aus dem nNGM-Testzentrum – insbesondere dazu, welche Gene getestet wurden, welche Mutationen gefunden wurden und welche Empfehlungen sich daraus ergeben. Wir sind dann diejenigen, die diese Empfehlungen umsetzen.

Was bringt die Kooperation mit dem nNGM Ihren Patient:innen?

Weber: Sie können erstens sicher sein, dass überhaupt eine molekulare Testung erfolgt und dass zweitens dabei auch alle relevanten Gene getestet werden. Wir wollen nicht nur grundsätzlich testen, sondern wir wollen dabei auch kein Gen übersehen und alles testen, was Sinn macht. Das nNGM verfügt immer über ein aktuelles Test-System, das alle Genveränderungen abdeckt, die gerade für die Lungenkrebs-Erstdiagnose getestet werden sollten. Diese Empfehlungen können sich auch ändern und die Testungen werden konstant an den medizinischen Wissensfortschritt angepasst.

Wie kosteneffizient sind solche umfangreichen Testungen?

Weber: Zunächst: Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Es gibt Testkits, da wird sehr viel getestet, aber es ist nicht klar, welche Relevanz das für Therapie und Prognose hat. Das ist beim nNGM-Testverfahren anders. Kosteneffizient bedeutet hier: Wir testen alles, was notwendig ist und eine Konsequenz für die Behandlung haben kann. Da kommen dann 30 bis maximal 40 Gene heraus, bei denen ein Test sinnvoll ist. Aber es sind keine 800 Gene, was die Untersuchung weniger teuer macht. Wenn es sinnvoll erscheint, kann man auch die Testungen individuell erweitern. Es wurde zum Beispiel anhand der nNGM-Daten und klinischer Patientenbefragungen festgestellt, dass möglicherweise 5 bis 10 Prozent aller Lungenkrebsfälle erblich bedingt sein könnten. Das hatten wir bis vor kurzem noch gar nicht im Fokus. Wenn ich dafür Hinweise finde, dass es hier auch eine familiäre, genetisch Konstellation geben könnte, kann ich das ans nNGM rückmelden und den Patienten in eine spezielle Humangenetische Sprechstunde überweisen. Und es gibt noch weitere Vorteile für unsere Patienten.

Welche?

Tumorboards
Tumorboards: Bestmögliche Behandlungen finden.Foto: ©iStock.com/Jacob Wackerhausen

Weber: Der Zugang zu molekularen Tumorboards, in denen hochqualifizierte Experten sitzen. Das kann etwa sinnvoll sein, wenn Resistenzen nach einer Erstlinientherapie oder sehr seltene Mutationen auftreten. Wir wechseln dann nicht einfach zu einer Standardtherapie, sondern wir wählen uns in das molekulare Tumorboard ein und besprechen dort den Fall. Daraus ergeben sich dann direkte Therapie-Empfehlungen – teilweise auch für Medikamente, die nur in einer klinischen Studie verfügbar sind oder möglicherweise als Off-Label Therapie verordnet werden müssen. Das bedeutet, dass es Medikamente gibt, die für einen anderen Fall bereits zugelassen sind und je nach Evidenzlage auch in diesem oder jenem anderen Fall wirken könnten, aber dafür keine Zulassung haben.

Und die Krankenkassen übernehmen die Kosten?

Weber: Am molekularen Tumorboard des Centrums für integrierte Onkologie der Unikliniken Aachen, Bonn, Düsseldorf und Köln erfolgt neuerdings häufiger eine Vorbesprechung mit dem Kompetenzzentrum für Onkologie des Medizinischen Dienstes (MD), um gemeinsam zu schauen, welche Evidenzlevel und biologischen Rationalen für Therapien vorliegen, wo Studieneinschlüsse möglich sind und wo möglicherweise Kostenübernahmen für eine off-Label Therapie eine Rechtfertigung haben. Wir versuchen so die Zeit für einen individuellen Kassenantrag durch den behandelnden Arzt zu verkürzen und die Therapien schneller zum Patienten zu bringen – und potentielle Regressforderungen zu vermeiden. Hierfür werden auch ganz bestimmte Regeln und Evidenzlevel herangezogen. Das alles ist natürlich das Ergebnis von Jahren der Arbeit und Diskussion und sehr viel Forschung.

Weshalb das?

Weber: Es ist häufig schwierig und sehr Bundeslandabhängig, die Kostenzusage für off-label Therapien in einem patientengerechten Zeitrahmen zu bekommen. Das versuchen wir in SüdNRW (Nordrhein) zu vermeiden, indem wir den MD frühzeitig mit ins Boot holen. In verschiedenen Bundesländern geht die Tendenz des MD eher dahin, z.B. Patienten, die unter einer zielgerichteten Therapie eine behandelbare Resistenz entwickeln, in die Chemotherapie zu überführen. Das ist oft mit schlechteren Ansprechraten verbunden als eine neue zielgerichtete Therapie – sofern sie möglich ist. Häufig wird dies mit dem Fehlen von klinischen Studien begründet. Oft existieren für solche Fälle aber nur limitierte Daten oder der Patient ist Teil einer kleinen Untergruppe. Hier können wir mit Hilfe des nNGM und der molekularen Tumorboards gute Begründungen schneller formulieren und im besten Falle eine rationale, individuelle Therapie ermöglichen. Wir sehen sehr starke Unterschiede von Bundesland zu Bundesland, wann eine neue, noch nicht offiziell zugelassene zielgerichtete Therapie bewilligt wird und wann nicht. Auch die Umschlagszeiten bei den Sachbearbeitern sind sehr unterschiedlich.

Und in NRW gibt es überhaupt keine Probleme?

Zielgerichtete Therapie
Innovation möglichst schnell zu Patient:innen bringen. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Weber: Doch, die gibt es natürlich. Die gibt es auch bei anderen Krebserkrankungen. Die Frage ist immer, wie bekomme ich Innovation möglichst schnell zum Patienten, wie bekomme ich molekulare Daten einheitlich erhoben und auch die Patientenverläufe ausgewertet. Daran hängt viel Personal, persönliche Initiative und auch Geld. Das ganze nNGM und alle Mechanismen, die darin vorhanden sind, werden aktuell über Sondertöpfe aus Bund und Krankenkassen finanziert. Im nNGM geht es ja nicht nur um eine fachgerechte Testung, sondern auch um die ganzen Zusatzarbeiten, zu denen etwa Datensammlungen und wissenschaftliche Auswertungen gehören. Die Finanzierung läuft möglicherweise demnächst aus. Jetzt muss man sich Gedanken machen, wie man so ein sinnvolles Programm wie das Netzwerk für Genomische Medizin in eine Regelversorgung überführt. Und natürlich müssen wir Lungenkrebsbehandler weiter dafür Sorge tragen, dass wirklich alle Patienten die richtige Testung erhalten und diese ganzen Daten auch weiter für die Entwicklung von neuen Erkenntnissen und Therapien genutzt werden können.

Was raten Sie Patient:innen, die eine Lungenkrebs-Diagnose erhalten haben?

Weber: Es gibt mehrere Wege, sich zu informieren, auch im Internet. Seriöse Informationen finden sich dort auf den Seiten der Deutschen Krebshilfe, der Deutschen Krebsgesellschaft oder auch über Links auf der nNGM-Seite. Auch die Seiten von Fachgesellschaften, wie Onkopedia, finde ich hilfreich. Es gibt aber auch sehr gute Wege unabhängig vom Internet.

Welche sind das?

Weber: Zuallererst das Gespräch mit dem Onkologen. Dabei sollte man sich trauen, auch Fragen zu stellen: Was denken Sie, ist die beste Therapie? Warum denken Sie das? Ist denn alles gemacht worden, was dem wissenschaftlichen Standard und den Leitlinien entspricht? Es schadet überhaupt nicht, kritisch bei seinem Behandler nachzufragen. Aber am Ende gehört auch ein wenig Vertrauen dazu. Manchmal kann auch eine Chemotherapie sinnvoll sein – nämlich dann, wenn zwar getestet wurde, aber ohne positives Ergebnis. Oft ist es leider so: Viele Patienten fragen nicht genug, manche Onkologen erzählen vielleicht auch nicht genug – das ist mein Eindruck aus dem Alltag.

Könnten da Chatbots helfen?

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Termin beim Onkologen: Fragen stellen ist wichtig. Foto: ©iStock.com/pcess609

Weber: Davon gehe ich aus. In Zukunft wird es sicher auch eine Chatbot-Beratung geben, wo man sich einloggen und Fragen stellen kann. Das wird kommen.

Worauf sollten Lungenkrebs-Patient:innen besonders achten?

Weber: Darauf, in keine großen Verzögerungen zu geraten. Ein Termin beim Onkologen, die Diagnostik, Probenentnahme und Molekularergebnis – all das sollte zügig vonstattengehen.

Klingt einfach, ist es aber nicht.

Weber: Als Patient ist man leider in unserem Gesundheitssystem dazu genötigt, immer wieder Druck auf die Behandler und Terminvergaben auszuüben. In vielen Zentren läuft es gut, in einigen läuft es etwas verzögerter. Ich kann als Patient mit dafür Sorge tragen, dass alles zeitgerecht erfolgt. Ich muss aber auch nicht in Panik verfallen. Es gibt viele Patienten, die sind misstrauisch und ängstlich und bisweilen haben sie auch Grund dazu – aber in vielen Zentren läuft es auch sehr gut. Wichtig ist, sich in einem zertifizierten Zentrum behandeln zu lassen. Oder zumindest in einer Einrichtung, die arbeitet wie ein solches Zentrum. Es gibt auch sehr gute Abteilungen, die erhalten keine Zertifizierung, weil sie keinen angestellten Psycho-Onkologen haben oder weil der Sozialdienst wegrationalisiert wurde. Die Regeln sind über die Jahre immer strikter geworden und nicht alle Regeln zur Zertifizierung sind aus meiner Sicht nachzuvollziehen. Wir müssen bei allen Qualitätsansprüchen auch darauf achten unser System nicht noch weiter überzuregulieren. Lungenkrebs ist immer noch eine sehr häufige Krebserkrankung in der Bevölkerung, Tendenz eher steigend, und wir dürfen die Nadelöhre für eine gute Versorgung nicht zu eng machen. Was ich sagen will, es gibt auch eine sehr gute Versorgung außerhalb von Universitätskliniken.

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