Gentherapien, Behandlungen mit modernen Antikörper-Präparaten, personalisierte Tumorvakzine: Die biopharmazeutische Forschung boomt – und verheißt große Fortschritte für die Patient:innen in Deutschland. Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Lauterbach erklärte: „Die medizinische Biotechnologie steht vor einem Innovationssprung. In ihr steckt unglaubliches Potenzial. Sie kann die Lebensperspektive vieler Menschen verändern und die personalisierte Medizin revolutionieren. Sie eröffnet Chancen zur Heilung seltener und genetisch bedingter Erkrankungen, die bis vor Kurzem undenkbar schienen“.
Doch es läuft noch nicht alles rund in der Bundesrepublik. „Die Welt dreht sich immer schneller. Amerika ist jedes Jahr ein bisschen weiter entfernt von uns, im Sinne von Forschung und Entwicklung, aber auch in Bezug auf das, was auf den Markt kommt“, sagte Han Steutel, Präsident vom Pharmaverband vfa. Zudem werde die Konkurrenz aus China stärker.
Medizinische Biotechnologie made in Germany?
Eine Herausforderung in Deutschland ist die sogenannte Translationslücke – also der mangelnde Übergang von Erkenntnissen aus der (Grundlagen-)Forschung in die Versorgung der Patient:innen. Christian Lauterbach, Geschäftsführer der Bayer Vital GmbH, führte aus: „Das Geld findet nicht den Weg zu den Ideen in Deutschland.“ Es brauche den Dialog von allen, die im Bereich Venture Capital tätig sind. „Für mich liegt ein Teil der Lösung darin, stärker zu bündeln: also zu überlegen, für welche Forschungs- und Innovationsgebiete wollen wir in Deutschland welche Cluster aufbauen.“ Im nächsten Schritt könne man gucken, wie man dort Beratung und Unterstützung anbietet, „welche die Translation leichter machen“. Und wenn es dann noch gelingt, Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen, „dann gehen uns weniger Ideen verloren“. Letztlich könnte das nicht nur zu mehr klinischen Studien, sondern auch zu mehr Produktion und Arbeitsplätzen führen.
Der Onkologe Prof. Dr. Christof von Kalle, Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité, ergänzte: „In den USA sind die Neuerfindungen im pharmazeutischen Bereich, aber auch im MedTech-Bereich, zu ungefähr dreiviertel Spin-offs von akademischen Institutionen. Diese Rate ist in Deutschland wesentlich niedriger.“ Woran das liegt? Hier mangelt es an niedrigschwelligen Angeboten, damit Verantwortliche von klinischen Studien aus ihren neuen Ideen Ausgründungen machen können.
Forschung in Deutschland fördern
Außerdem braucht es, so von Kalle, eine nachhaltig finanzierte Infrastruktur, damit bestimmte klinische Zentren dauerhaft in der Lage sind, Studien zu betreiben. Dazu gehört etwa qualifiziertes Studienpersonal. Eine weitere Hürde: Es ist hierzulande sehr komplex, eine klinische Studie aufzusetzen und durchzuführen – mehr Vereinfachung ist angesagt. So sind auch „die mit den Pharmafirmen in den Zulassungsstudien zu vereinbarenden rechtlichen Grundlagen in anderen Ländern standardisiert“ – „dann geht das viel schneller.“ Im Medizinforschungsgesetz (MFG) sei das nun vorgesehen.
Vfa-Chef Steutel plädierte, dass das MFG so schnell wie möglich umgesetzt wird. „Das würde uns kurzfristig am meisten bringen.“ Mit dem MFG will die Regierung die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten verbessern – etwa durch Entbürokratisierung und Beschleunigung von Verwaltungsverfahren. „Wenn wir das innerhalb eines Jahres hinkriegen, dann wären wir schon sehr weit. Das ist gut für uns und das ist wahrscheinlich auch gut für die wissenschaftliche Infrastruktur in Deutschland.“
Insgesamt sei, so Dr. Thomas Kaiser, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), in Deutschland eine „andere Forschungskultur“ notwendig. „Und die sollten wir auch bei nachwachsendem medizinischem Personal verankern“ – zum Beispiel schon im Medizinstudium, um „Verständnis und Willen von guter Forschung“ zu wecken.
Biotechnologische Innovationen in der Versorgung
In keinem Land in Europa stehen neue Arzneimittel so schnell und umfassend zur Verfügung wie in Deutschland (s. EFPIA). Denn hierzulande sind die Medikamente unmittelbar nach europäischer Zulassung über die Krankenkassen erstattbar. Die Nutzenbewertung und Preisverhandlungen finden nachgelagert statt. Dieses sogenannte „AMNOG“-Verfahren hat international einen guten Ruf. Doch es ist aus dem Jahr 2011 und stößt etwa im Bereich innovativer Gentherapien an seine Grenzen: „Wir versuchen, diese neuartigen Therapien mit alten Bewertungsmaßstäben und Denkmustern zu bewerten. Und das funktioniert nicht“, sagte Christian Lauterbach. Er wünscht sich, dass das AMNOG weiterentwickelt wird, sodass es fit ist für Gegenwart und Zukunft (s. Pharma Fakten).
Der Bayer-Geschäftsführer betonte auch: „Die Arzneimittel-Politik sollte einen Impuls dahingehend geben, wie wir – unter Nutzung der vorhandenen Daten […] – die Patienten, die von einer Therapie profitieren können, so schnell und effizient wie möglich finden können.“ Die Frage ist: „Wie finden wir die richtigen Patienten zur richtigen Zeit?“ Die Digitalisierung könnte im gesamten Gesundheitssystem einiges an Effizienzreserven heben – auch zugunsten der Krankenkassen.
Steutel betonte: „Wenn wir auf die traditionellen Industrien in Deutschland blicken – Pharma, Automobil, Chemie, Maschinenbau – dann gibt es momentan nur eine Industrie, die sich etabliert.“ Die Pharmabranche spielt daher eine wichtige Rolle – „für die Weiterentwicklung der Volkswirtschaft und für den Erhalt unseres Wohlstands.“
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