Mit der aktuellen Geschwindigkeit würde es über 100 Jahre dauern, bis Therapien für alle seltenen Erkrankungen zur Verfügung stehen. Eine Initiative will das ändern. Foto: ©iStock.com/jacoblund
Mit der aktuellen Geschwindigkeit würde es über 100 Jahre dauern, bis Therapien für alle seltenen Erkrankungen zur Verfügung stehen. Eine Initiative will das ändern. Foto: ©iStock.com/jacoblund

„Rare Disease Moonshot“: Booster für die Forschung

Mit der aktuellen Geschwindigkeit in der Forschung und Entwicklung würde es 100 Jahre dauern, bis Therapien für alle seltenen Erkrankungen zur Verfügung stehen. Eine Initiative will das ändern: Angesichts von 6.000 bis 8.000 sogenannten rare diseases wissen die Verantwortlichen: „Die Herausforderung ist für eine einzige Organisation oder gar eine Industrie zu groß, um sie allein zu bewältigen.“ Die Lösung? Zusammenarbeit – in öffentlich-privaten Partnerschaften.
Seltene Erkrankungen: Selten sind viele.
Seltene Erkrankungen: Selten sind viele. Foto: CC0 (Stencil)

„In den vergangenen Jahrzehnten wurden mit Innovationen riesige Schritte nach vorne gemacht – neue Technologien in Form von Zell-Editierung und Gentherapien sind Realität geworden. Zwischen 2000 und 2021 hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA mehr als 200 Orphan Drugs zugelassen – sie adressieren die Bedürfnisse von bis zu 6,3 Millionen Menschen mit seltenen Erkrankungen“, heißt es auf der Website von „Rare Disease Moonshot“.

Doch trotz der medizinischen Fortschritte gibt es noch viele „weiße Flecken“: 95 Prozent der seltenen Erkrankungen sind bislang nicht behandelbar. In vielen Bereichen fehlt es an jeglicher Forschung. Die Wissenschaft steht vor enormen Herausforderungen – gerade, weil pro Krankheit nur so wenige Menschen betroffen sind. Es sind jeweils maximal 5 von 10.000 Bürger:innen. Doch wenn man all die 6.000 bis 8.000 unterschiedlichen Krankheiten zusammenzählt, sind es viele Patient:innen. „Millionen von Europäer:innen leben mit seltenen Erkrankungen, für die es keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Sie können nicht 100 Jahre darauf warten. Es wird Zeit zur Mondlandung anzusetzen“, finden die Verantwortlichen der „Moonshot“-Initiative. Dahinter stehen mehrere Organisationen* – darunter der europäische Pharmaverband EFPIA, die Biotechnologie-Industrie-Vereinigung EuropaBio, die Patientenorganisationen-Allianz EURORDIS oder auch das Forschungsnetzwerk ECRIN. Sie wissen: „Kein Unternehmen, keine Regierung, keine wissenschaftliche oder zivilgesellschaftliche Vereinigung hat die Forschungsexpertise oder die Finanzkraft“, um diese Herausforderung allein zu stemmen. „Aber wenn wir uns zusammentun, dann ist echter Fortschritt möglich.“

Seltene Erkrankungen: Gemeinsam geht es schneller

Seltene Erkrankungen: Gemeinsam geht es schneller
Durch Zusammenarbeit schneller zu neuen Therapien. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

Es ist also Zeit für einen „Paradigmenwechsel“: Gemeinsam statt Silodenken. Um das zu schaffen, wollen die Moonshot-Beteiligten insbesondere öffentlich-private Partnerschaften – also Projekte, an denen z.B. Industrie, akademische Welt, Regierungen gemeinsam beteiligt sind – fördern. Es geht ihnen um „starke und vielfältige Zusammenarbeit auf einem Niveau, wie es während der COVID-19-Pandemie zu beobachten war“. Nur so sei das Ziel des „International Rare Diseases Research Consortium“ (IRDiRC) zu erreichen, wonach 1.000 neue Therapien innerhalb eines Jahrzehnts zugelassen werden sollen.

Öffentlich-private Partnerschaften haben mehrere Vorteile: Sie bündeln Wissen, und Knowhow verschiedener Sektoren, vereinigen die Ressourcen mehrerer Akteure, reduzieren Fragmentierung. So machen sie es möglich, „Risiken zu teilen“ und „die Arzneimittelentwicklung zu beschleunigen“. Laut den Moonshot-Verantwortlichen muss das „translationale Forschungsökosystem“ gestärkt werden, um die Pipelines zu füllen; klinische Studien und regulatorische Prozesse gilt es zu optimieren, damit sie auf sehr kleine Patient:innen-Gruppen angepasst sind; auch sollte eine Infrastruktur entwickelt werden, die den Weg von Diagnose bis zur Therapie beschleunigt.

Öffentlich-private Partnerschaften: 3 wichtige Handlungsfelder

Der „Moonshot“ ist kein Förderprogramm. Sondern: „Wir werden Bereiche der Kollaboration identifizieren, in denen die Industrie etwas mit ihrem Knowhow, ihren Daten, ihrer Infrastruktur und Expertise beitragen kann“, heißt es. Laut Website wurden im ersten Schritt 3 „Areas of Action“ identifiziert, in denen öffentlich-private Partnerschaften am meisten Sinn machen würden. Die Initiative hat dazu bereits konkrete Empfehlungen für „Geldgeber:innen, Forschende, Patient:innen, Industrie und andere Stakeholder“ veröffentlicht:

Öffentlich-private Partnerschaften: 3 wichtige Handlungsfelder
Handlungsfeld: Den Weg zur Diagnose verkürzen. ©iStock.com/gorodenkoff
  • Clinical trials research needs recommendations: Dieses erste Papier legt dar, an welchen Punkten öffentlich-private Partnerschaften ansetzen könnten, um Design, Aufbau und Durchführung von klinischen Studien zu verbessern.
  • Diagnostic research needs recommendations: Diese Veröffentlichung macht mehrere Handlungsfelder aus, um den Weg der Patient:innen bis zur Diagnose zu verkürzen. Sie enthält Empfehlungen, wo öffentlich-private Partnerschaften in der Diagnostik-Forschung besonders sinnvoll und wichtig wären.
  • Translational research needs recommendations (“coming soon”): Hier geht es um das Beheben von Hürden in der europäischen Forschungslandschaft, welche die Überführung von Forschungsergebnissen in die reale Gesundheitsversorgung erschweren.

Schon bei diesen ersten Veröffentlichungen habe sich gezeigt, wie gut es ist, mit einer Stimme sprechen zu können, schreiben mehrere Moonshot-Verantwortliche in einem digitalen Magazin. Sie sehen sich daher auch als eine Art Interessenvertretung: Sie unterstützen die Forderung der Organisation EURORDIS nach einem „European Action Plan on Rare Diseases“, der auf EU-Ebene ein konzertiertes Vorgehen sicherstellen soll. „Zusammen können wir die Leben von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Europa und darüber hinaus besser und das europäische Forschungsökosystem attraktiver und effizienter machen“.

* Rare Disease Moonshot Partners: Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure – European Research Infrastructure Consortium (BBMRI-ERIC), eatris (European infrastructure for translational medicine), EFPIA, European Confederation of Pharmaceutical Entrepreneurs (EUCOPE), European Clinical Research Infrastructure Network (ecrin), EuropaBio, EURORDIS – Rare Diseases Europe, Critical Path Institute (C-Path)

Weitere News

Der LOUDRARE e.V. wurde auf Initiative von jungen Menschen mit einer seltenen Erkrankung gegründet. „Die Stimmen von 4 Millionen Betroffenen in Deutschland müssen gehört werden.“ Dazu soll eine Kampagne beitragen. Foto: ©iStock.com/deberarr

Laut sein: Für 4 Millionen Menschen mit seltenen Erkrankungen

Es ist eine Initiative von jungen Menschen mit einer seltenen Erkrankung: Der LOUDRARE e.V. hat eine Kampagne gestartet. „Die Stimmen von 4 Millionen Betroffenen in Deutschland müssen gehört werden. Das ist die Grundlage für mehr gesellschaftliche Akzeptanz, frühere Diagnosen, engagierte Ärzte, gute Aufklärung, Zugang zu Informationen und Therapien und weniger Stigmatisierung oder Diskriminierung.“ Auf einer Website und in den sozialen Medien erzählt der Verein „keine Kranken-, sondern Lebensgeschichten“ – die zeigen, „worum es wirklich geht. Mensch sein.“

Weiterlesen »
Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz in der Bundesrepublik, der Entwurf für ein EU-Pharma-Paket auf europäischer Ebene: Leidtragende sind letztlich die Patient:innen – wie Menschen mit seltenen Erkrankungen. Foto: ©iStock.com/Andrzej Rostek

Seltene Erkrankungen: Wie Politik Innovationen die Vorfahrt nimmt

Gesundheitspolitik geht alle an: Das zeigt das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Eigentlich soll es vor allem eines tun: Geld auf Seiten der Krankenkassen einsparen. Aber es hat Folgen, die schon heute die Gesundheitsversorgung der Menschen in Deutschland verschlechtern. Auch auf europäischer Ebene arbeitet die Politik an einem neuen Gesetz: Das „EU-Pharma-Paket“ könnte laut einem Gutachten dazu führen, dass Forschung und Entwicklung zurückgeschraubt und deutlich weniger Orphan Drugs zugelassen werden. Rund 1,5 Millionen Menschen mit seltenen Erkrankungen würden in der Folge einer neuartigen Behandlungsoption beraubt.

Weiterlesen »

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: