GKV: Keine Finanzreform ist auch keine Lösung

Während die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nur eine Richtung kennen, wundert man sich: Reformvorschläge für die GKV gibt es (fast) wie Sand am Meer, für viele davon gäbe es parteiübergreifende Zustimmung. Was das der GKV bringen könnte – und damit den Beitragszahlenden – ist auch schon berechnet. Warum also werden sie nicht umgesetzt?

Die Krankenhausreform soll es richten – zumindest für den Teil der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der am meisten Geld kostet: Fast 100 Milliarden Euro ist dieser Ausgabenblock mittlerweile schwer. Der Bundesgesundheitsminister spricht von einer Revolution, ein Begriff, den ihm selbst Mitglieder aus seiner eigenen Partei mittlerweile verbieten wollen. Aber selbst, wenn diese Reform greift: Einsparungen werden wohl erst in ein paar Jahren greifen – bis dahin muss milliardenschwer investiert werden. Deshalb gilt: Reformen wie die der Krankenhauslandschaft sind dringend notwendig. Nur kurzfristig helfen sie dem System nicht.

Dafür gibt es andere Ideen. Das Beratungsunternehmen VANDAGE hat eine Impact-Bewertung für konkrete Reformvorschläge zur Finanzierung der GKV vorgelegt und nach verschiedenen Szenarien bewertet. Es ist eine Studie im Auftrag der LAWG Deutschland und des Pharmaverbandes vfa. In der Maximalvariante kommen die Bielefelder auf ein Entlastungsvolumen von 96,9 Milliarden Euro jährlich für die Zeit von 2024 bis 2028 – oder von fast 6 Beitragspunkten (s. Grafik). Vollumfängliche Umsetzung der Reformen würde den aktuellen Beitragssatz (14,6 Prozent vom Bruttoeinkommen plus Zusatzbeiträge) einstellig werden lassen. Man wird ja noch träumen dürfen.

GKV: Die versicherungsfremden Leistungen

Das Thema „Gesundheit“ muss aus der politischen Nische. Foto: ©iStock.com/SeventyFour
Das Thema „Gesundheit“ muss aus der politischen Nische. Foto: ©iStock.com/SeventyFour

Da sind etwa die so genannten versicherungsfremden Leistungen. Allein die Krankheitskosten der so genannten Bürgergeldempfänger:innen belasten das GKV-Konto mit über 9 Milliarden Euro. Um diesen ordnungspolitischen Missstand zu dämpfen, wurde vor 20 Jahren der Bundeszuschuss eingeführt; in diesem Jahr umfasst er 14,5 Milliarden Euro, die laut den Kassen nicht annährend ausreichen. Für die Kassen bedeutet das: Der Zuschuss ist Budgetkosmetik.

Die Auslagerung der versicherungsfremden Leistungen aus der Finanzierungsverantwortung der GKV hätte grundsätzlich „das Potenzial, einen substanziellen und nachhaltigen Beitrag zur Stabilisierung der GKV-Finanzen zu leisten“, heißt es in der Studie. Mindestens 8,1 Milliarden Euro und maximal 76,5 Milliarden Euro wären als Entlastung drin; die Beitragssatzpunkte ließen sich um 0,48 bis 4,55 senken (s. Grafik). Allerdings gilt auch, dass eine Maximalvariante wohl nicht konsensfähig wäre. Hinzu kommt – und das ist der Grund für die Nichtumsetzung dieses reformpolitischen Dauerbrenners der vergangenen Jahre – muss das Geld aus Steuermitteln aufgebracht werden (wo es ordnungspolitisch gedacht hingehört). Dazu aber braucht es neben einem Gesundheitsminister mindestens einen Finanz- und einen Sozialminister, die an einem Strang ziehen.

Die Beitragsbemessungsgrenze

Die Beitragsbemessungsgrenze legt fest, bis zu welchem Bruttoeinkommen die Beiträge zur GKV erhoben werden – alles darüber hinweg Verdiente bleibt beitragsfrei. Die und die Versicherungspflichtgrenze (Obergrenze, bis zu dem der Arbeitnehmende nicht in die private Krankenversicherung wechseln kann) werden jährlich angepasst und sorgen dabei für steigenden Einnahmen der GKV. Auch nächstes Jahr sollen sie eigentlich steigen; allerdings ist der Bundesfinanzminister dagegen. Im maximalen Szenario der Studie könnte die GKV um jährlich 3,6 Milliarden Euro entlastet werden, aber auch ein gegenteiliger Effekt ist möglich – nämlich dann, wenn Versicherte in die PKV wechseln.

Die Praxisgebühr

Eine Praxisgebühr gab es in Deutschland in den Jahren zwischen 2004 und 2012; sie betrug 10 Euro pro Quartal. Die Idee dahinter war neben einem Mehr an Einnahmen, die Eigenverantwortung und das Kostenbewusstsein der Versicherten zu stärken. Die Impact-Studie sieht in ihrer Modellierung Effekte zwischen 2,4 Milliarden Euro (nur Einnahmeeffekt, Gebühr: 10 Euro) und 6,5 Milliarden Euro (Einnahmeeffekt + Fallzahlsenkung, Gebühr: 15 Euro) jährlich. Dies könnte eine Senkung um 0,15 bis 0,38 Beitragssatzpunkte möglich machen. „Risiken bestehen dahingehend, dass wie bei der damaligen Praxisgebühr zusätzlicher bürokratischer Aufwand entsteht und dass sozial schwächer gestellte Versicherte durch die Selbstbeteiligung ggf. medizinisch notwendige Maßnahmen aufschieben und vermeiden“, heißt es in der Studie.

Die Mehrwertsteuer für Arznei- und Hilfsmittel

Einen nachhaltigen Beitrag zur finanziellen Stabilisierung der GKV erwartet VANDAGE von der Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent für Arznei- und Hilfsmittel; damit wären rund 6,2 Milliarden Euro an jährlichen Einsparungen möglich. Reduzierte Mehrwertsteuersätze auf Arzneimittel sind in vielen Ländern gültig. Italien, Frankreich, Spanien, Österreich oder die Niederlande – sie behandeln Medikamente steuerlich als besondere Güter. Angesichts der Haushaltslage des Bundes ist eine Umsetzung mittelfristig wohl nicht zu erwarten.

Scheitert die GKV-Reform am Geld?

Wie realistisch die Umsetzung solcher Reformen ist? Angesichts der Haushaltslage des Bundes würde wohl niemand auch nur einen kleinen Teil seines Gehaltes darauf verwetten. Nur: Die Alternative sind weiter steigende Beiträge und damit höhere Sozialabgaben, die den Faktor Arbeit verteuern und den ohnehin schon angeschlagenen Wirtschaftsstandort zusätzlich belasten. Deshalb muss „Gesundheit“ aus der politischen Nische. Keine Finanzreform ist sicher auch keine Lösung.

Weiterführender Link:
VANDAGE: Impact-Bewertung ausgewählter Reformvorschläge zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung.

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