Fast 3.500 neue onkologische Arzneimittel befanden sich 2020 in den Forschungspipelines weltweit. Im Vergleich zu 2015 ist das ein Plus von 75 Prozent. Wie das IQVIA Institute in dem Bericht „Global Oncology Trends 2021“ schreibt, spiegelt dieser Anstieg zum einen den starken Fokus auf Bereiche mit ungedeckten medizinischen Bedarf wider; zum anderen ist er Ergebnis davon, dass Wissenschaftler:innen weltweit mehr und mehr verstehen, welche (biologischen) Mechanismen hinter Krebserkrankungen stecken.
So verwundert auch dieser Rekord nicht: Noch nie wurden so viele klinische Studien (1.600) begonnen wie im Jahr 2020 – trotz Coronakrise. Eine Mehrheit (63 %) von ihnen nimmt seltene Krebsarten in den Blick. Untersucht werden zum Beispiel zielgerichtete Therapien, die ganz spezifisch auf bestimmte Eigenschaften eines Tumors ausgerichtet sind; oder Immunonkologika, die das Immunsystem dazu befähigen, selbst die abnormalen Zellen zu bekämpfen. Erforscht werden auch biopharmazeutische Arzneimittel der nächsten Generation, die etwa mit der Genschere CRISPR arbeiten oder bei denen mithilfe von Gentechnik produzierte CAR-T-Zellen zum Einsatz kommen.
In manchen Fällen dringt die Forschung in Bereiche ein, die zuvor als „unüberwindbar“ galten. So ging die Wissenschaftsgemeinschaft lange davon aus, dass eine bestimmte Mutation im KRAS-Protein „undruggable“, also therapeutisch nicht zugänglich, ist. Inzwischen gibt es ein erstes (in den USA zugelassenes) zielgerichtetes Medikament (s. Pharma Fakten).
Präzisionsonkologie auf dem Vormarsch
Weltweit sind mindestens 740 Unternehmen in der onkologischen Forschung und Entwicklung (F&E) tätig. Über die vergangenen 20 Jahre kamen mehr als 160 neuartige Krebsmedikamente auf den globalen Markt. 64 waren es von 2016 bis 2020 – für die kommenden fünf Jahre bis 2025 rechnet das IQVIA Institute gar mit fast hundert neuen Onkologika.
Die Therapie wird immer mehr auf die einzelnen Betroffenen zugeschnitten: „Die Präzisionsonkologie stellt die Art und Weise, wie Patient:innen behandelt werden, auf den Kopf“, heißt es im Bericht. Entsprechende „Medikamente und Diagnosetools werden zügig in den verschiedenen Regionen eingeführt – sie stehen für das Versprechen, die Behandlungsergebnisse für Millionen Menschen in den kommenden Jahren zu verbessern.“
Darauf deuten auch folgende Zahlen hin: Für neun von den 14 innovativen Onkologika, die die europäische Behörde EMA allein im vergangenen Jahr zuließ, gibt es sogenannte prädiktive Biomarker. Eine Untersuchung auf solche Biomarker ermöglicht es, eine Aussage darüber zu treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person auf eine bestimmte Therapie ansprechen wird. Zwei der 14 Medikamente wurden mit einem begleitenden Diagnostiktest zugelassen: Sie helfen, die Menschen zu identifizieren, die besonders von der jeweiligen Therapie profitieren. Und: Die Hälfte der Neuzulassungen adressiert seltene Tumoren – sie haben einen „Orphan Drug-Status“ und sind für Krebsarten mit kleinen Patientengruppen gedacht.
COVID-19: Verspätete Diagnosen, fortgeschrittene Tumore
Eine schlechte Nachricht gibt es trotz all der Fortschritte: Laut dem IQVIA Institute hat die Coronakrise nach wie vor einen „erheblichen Einfluss“ auf die medizinische Versorgung. Krebsmediziner:innen aus den USA, Japan und Europa haben demnach noch immer 26 bis 51 Prozent weniger Patient:innen in ihren Praxen als vor der Pandemie (Stand: Februar 2021). Es kam zu Verzögerungen von Operationen und Chemotherapien; es wurden weniger Diagnosen gestellt. Die Folgen werden sich erst in den kommenden Jahren zeigen. „Die pandemiebedingten Unterbrechungen in der Krebsversorgung könnten Millionen Menschen einem höheren Risiko für verspätete Diagnosen und fortgeschrittene Tumoren ausgesetzt haben“, so IQVIA. Mögliche Konsequenz? Eine steigende Zahl an Todesfällen (s. Pharma Fakten).