Atropin-Augentropfen sind ein Verlustgeschäft

Wer an Pharmaunternehmen denkt, denkt an große Profite. An Medikamente, die am Markt bleiben, weil sie hoch rentabel sind. Klingt logisch – ist aber nicht immer so. Die Augentropfen Atropin-POS werden seit Jahrzehnten von der Firma Ursapharm aus Saarbrücken hergestellt. Gewinn macht das Unternehmen damit schon länger nicht mehr – trotzdem hält es an der Produktion fest.

Jeder Brillenträger kennt die Tropfen, die die Pupillen stark erweitern und den Patienten für einen halben Tag fahruntüchtig machen. Eingesetzt werden sie zur Diagnostik: Durch die Erweiterung der Pupillen kann der Augenarzt den Augenhintergrund besser untersuchen. Insbesondere bei der Behandlung von Kindern mit Sehstörungen haben die Tropfen noch immer eine große Bedeutung.

Schon in der Antike haben sich Frauen den Atropin-Wirkstoff Belladonna (übersetzt: schöne Frau) in die Augen geträufelt, weil er die Pupillen vergrößert und den Blick intensiver machen soll. Die Substanz stammt von der Tollkirsche, heute wird sie synthetisch hergestellt.

Gesetzlich verordnetes Minusgeschäft

Das klingt nach günstiger Herstellung – aber das täuscht. Vor einigen Jahren ist der Preis für den Rohstoff dramatisch angestiegen. „Aufgrund einer neuen Bewertung der Atropinproduktion durch den Hersteller hat sich der Kilopreis praktisch über Nacht verzwanzigfacht“, sagt Dr. Michael Flegel, Leiter Marketing International von Ursapharm, einem mittelständischen Unternehmen mit 500 Mitarbeitern. Begründung des Lieferanten: Aufgrund zu geringer Abnahmemengen (Alternativprodukte zu Atropin-Tropfen wurden vom Markt genommen) werde synthetischer Belladonna-Extrakt nur noch als Sonderanfertigung geliefert. Die Folge: 2009 stellte der einzige andere Anbieter von Atropin-Augentropfen die Produktion ein.

Ursapharm stand alleine da – mit einem Produkt, das die Augenärzte brauchen, das aber plötzlich ein Verlustgeschäft war. „In einer freien Marktwirtschaft hätte so eine Situation zu Preisanpassungen führen müssen, um als Unternehmen weiter wirtschaftlich arbeiten zu können“, sagt Dr. Flegel. Aufgrund der gesetzlich festgeschriebenen Preisgrenze ist das aber nicht möglich. Atropin-Tropfen blieben ein gesetzlich verordnetes Verlustgeschäft.

Dr. Flegel: Wir wollten uns nicht aus der Verantwortung stehlen

Jedes rein wirtschaftlich denkende Unternehmen hätte ein solches Produkt eher heute als morgen vom Markt genommen. Ursapharm aber fühlte sich verpflichtet, Atropin weiterhin anzubieten: „Wir wollen uns nicht aus der sozialen Verantwortung stehlen, die wir als Hersteller von Arzneimitteln haben. Wenn auch wir atropinhaltige Augentropfen nicht mehr herstellen würden, gäbe es das Mittel am deutschen Markt nicht mehr”, sagt Dr. Michael Flegel. Alternativen wären dann der umständliche Import aus dem Ausland oder aufwändige Einzelanfertigungen in den Apotheken.

Aus diesen Gründen hält das saarländische Unternehmen den Atropin-Tropfen weiterhin die Treue. Den dadurch verursachten Verlust versucht Ursapharm mit Innovationen wettzumachen: beispielsweise mit einem selbst entwickelten Tropfsystem, durch das Medikamente wie Augentropfen keine Konservierungsstoffe mehr benötigen und dennoch sechs Monate nach Anbruch haltbar bleiben. „Konservierungsmittel können Unverträglichkeiten und Allergien auslösen. Diese Gefahr umgehen wir mit dem System“, erläutert Dr. Flegel. Nahrungsergänzungsmittel und Präparate für die Nasengesundheit sind andere Produkte, mit denen Ursapharm am Markt ist.

Der Wunsch nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit für die Atropin-Tropfen aber bleibt. „Es darf nicht sein, dass ein medizinischer Bedarf nur durch den guten Willen eines Unternehmens gedeckt wird“, sagt Dr. Flegel.

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