Sie arbeiten für die forschende Pharmaindustrie. Warum ausgerechnet Pharma?
Nicole Stelzner: Eigentlich komme ich ursprünglich aus der Politik, bin Sozialdemokratin. Doch nach langer Zeit der politischen Arbeit wollte ich eine berufliche Veränderung – und gerne zu einem großen Unternehmen. Trotzdem stand die Branche erstmal überhaupt nicht bei mir auf dem Zettel. Als ein forschendes Pharmaunternehmen mit einem Angebot für eine „Government Affairs“-Stelle auf mich zukam, war ich skeptisch. Ich und Pharma? Hinzu kam, dass ich Gesundheitspolitik zuvor inhaltlich nicht gemacht hatte. Aber die Firma blieb hartnäckig – und in den Gesprächen überzeugte sie mit interessanten Themen und unglaublich guten Bedingungen, was die Vereinbarkeit von Karriere und Familie anging. Das hatte ich vorher so noch nicht erlebt. Meine zweite Tochter war damals erst wenige Monate alt, ich stillte sie noch. ‚Nehmen Sie sie doch mit zum Vorstellungsgespräch’, hieß es. Ich stellte dann fest: Pharma hat wirklich viele Frauen in Führungspositionen – das ist schon ein Pfund, bei einer so innovativen, vielfältigen und hochkomplexen Branche. Das weckte mein Interesse: Ich fing an, mich tiefer in die Themen der pharmazeutischen Industrie einzuarbeiten – und die finde ich bis heute unglaublich spannend.
Was genau machen Sie als „Senior Director Government Affairs“ für Gilead in Deutschland?
Stelzner: Ich habe mein Ohr eng an der Politik: Für die pharmazeutische Branche ist es aufgrund der langen Vorlaufzeiten äußerst wichtig, frühzeitig zu wissen, wenn sich das politische Umfeld ändert. Daher habe ich aktuelle Gesetzesvorhaben im Blick – und schaue, welche Auswirkungen sie auf unsere Branche und auf Gilead haben könnten. Verändern sie unser Geschäftsmodell? Auf welche neuen Rahmenbedingungen muss sich das Unternehmen womöglich einstellen – und wie? Gleichzeitig möchte ich einen guten, nachhaltigen Dialog mit unseren politischen Partnern verfestigen und ausbauen. Der Anspruch von Gilead und mir ist dabei nicht nur, dass die für uns relevanten politischen Akteure uns kennen; sondern dass sie uns als ehrlichen und vertrauensvollen Partner wahrnehmen. Das heißt: Es geht mir nicht nur darum, unsere Interessen und Botschaften zu vermitteln. Es geht um ein Miteinander: Das funktioniert nur, wenn man echtes Interesse an einzelnen Personen, ihrem politischen Handeln und Wirken hat. Idealerweise lässt sich dadurch ein so vertrauensvolles Verhältnis aufbauen, dass die Politiker mit ihren eigenen Fragen auf uns zukommen und ein wirklicher Dialog entsteht. Dazu gehört dann auch, dass wir ehrlich sagen können, wenn bei uns irgendwo der Schuh drückt – etwa, wenn wir wegen eines Gesetzgebungsverfahrens negative Auswirkungen für die Patienten und die Branche in Deutschland befürchten. Zusätzlich ist es die Aufgabe von meinem Team und mir, dass wir politische Stakeholder darüber informieren, woran wir arbeiten, wie die Zukunft in unseren Therapiefeldern aussieht, wo es Hürden gibt. Für den Kontakt mit der Politik nutzen wir neben klassischer Pressearbeit beispielsweise große Veranstaltungen und Kongresse, die wir besuchen. Oder wir organisieren eigene Veranstaltungen – gerne zusammen mit anderen Unternehmen, mit Verbänden, Patientenorganisationen, mit der Ärzteschaft – zu denen wir Menschen aus der Politik einladen. Und natürlich suchen wir über Einzeltermine den direkten Austausch.
Was treibt Sie tagtäglich in Ihrer Arbeit für ein forschendes biopharmazeutisches Unternehmen an?
Stelzner: Ich lerne so unfassbar viel – und das über meinen eigenen Job hinaus. Ich bin keine Medizinerin, keine Biologin oder Chemikerin. Ich habe Politik-, Sprachwissenschaft und Geschichte studiert. Umso mehr bin ich immer wieder aufs Neue beeindruckt, was in dieser Branche geleistet wird und was alles bereits erreicht wurde. Ich denke da an Krankheiten wie HIV, die vor gar nicht allzu langer Zeit ein Todesurteil waren und die man inzwischen so gut behandeln kann, dass betroffene Menschen damit alt werden können – und das, ohne andere anzustecken. Es ist unglaublich, wie sehr man diese Fortschritte sieht. Ich wüsste keine andere Branche, in der man das jeden Tag so sehr miterleben darf. Wenn man in der Pharmaindustrie arbeitet, wirkt man sehr konkret daran mit, kranken Menschen Perspektiven zu geben. Zugleich leistet die ökonomische Wertschöpfung auch sozial- und arbeitsmarktpolitisch einen großen Beitrag für die Gesellschaft. Was die Sinnstiftung angeht, gibt es in meinen Augen wenige andere Arbeitsbereiche, die da mithalten können.
Weitere Artikel aus der Serie „Ausgerechnet Pharma? Die Menschen und ihre Jobs“ lesen Sie hier.
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