Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz schadet der Versorgung von Patient:innen und gefährdet den Wirtschaftsstandort. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek fordert den Bund zum Dialog mit der Pharmaindustrie auf. Foto: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz schadet der Versorgung von Patient:innen und gefährdet den Wirtschaftsstandort. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek fordert den Bund zum Dialog mit der Pharmaindustrie auf. Foto: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege

Bayerischer Pharmagipfel: Den Pharma-Standort stärken

Bayern auf den Barrikaden: Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) schadet nachhaltig der Arzneimittelversorgung von Patient:innen und gefährdet den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort. In Berlin bezeichnete es Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, als „Destabilisierungsgesetz“: Statt strukturelle Reformen zu beinhalten, drehe es an unterschiedlichsten Stellschrauben, die „allen wehtun“ und Finanzlöcher nur notdürftig stopfen. Er forderte den Bund zum Dialog mit der pharmazeutischen Industrie auf. Sein Vorbild dabei: Bayern.

Bayerns Landesvertretung im Bund liegt im Herzen von Berlin Mitte – das Bundesgesundheitsministerium ist fußläufig erreichbar. Gesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach erschien trotzdem nicht. Wahrscheinlich hat er geahnt, dass die Fans seines GKV-FinStG bei dieser Veranstaltung auf einem Bierdeckel Platz hätten. Auf der Agenda stand die „Gemeinsame Erklärung des Bayerischen Pharmagipfels“ zu eben diesem Gesetz. Der Bayerische Pharmagipfel ist eine vor 8 Jahren gegründete Dialogplattform der Staatsministerien für Gesundheit und für Wirtschaft in Bayern. Das Ziel: eine Gesundheitspolitik aus einem Guss.

Arzneimittel als Ramschware

Apothekerin Gabriele Regina Overwiening
Gabriele Regina Overwiening. Foto: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege

Welche Folgen das „Verramschen“ von Arzneimitteln, so der O-Ton von Apothekerin Gabriele Regina Overwiening, im Alltag der Menschen im Land hat, schilderte sie in ihrer Rolle als Präsidentin der ABDA, der Berufsvertretung der Apotheker:innen. Bei 2 von 3 Rezepten habe man mittlerweile Probleme; soll heißen: Die Apothekenteams müssen sich auf die Suche nach Alternativen machen, weil das verschriebene Arzneimittel gerade nicht verfügbar ist. Die Sparpolitik der vergangenen Jahre habe zu einem Preisniveau geführt, bei dem eine Tablette des Brustkrebsmedikaments Tamoxifen 8 Cent und 10 Fieberzäpfchen für Kinder 1,20 Euro kosten. Die knapp über 100 Krankenkassen in Deutschland hätten mittlerweile 35.000 Rabattverträge geschlossen – zum Teil als Exklusivverträge. „Fällt dieser Hersteller aus welchen Gründen auch immer aus, dann ist die Versorgung akut gefährdet.“ Wenn man eine bessere Versorgung möchte, „dann muss man auch mehr ausgeben wollen“, so Deutschlands oberste Apothekerin. Noch – so Overwiening – betreffen die Lieferprobleme vor allem Generika. Aber das macht das Problem nicht einen Deut besser: Generika sind Nachfolgepräparate von patentfrei gewordenen Medikamenten und hochwertige Arzneimittel, mit denen der größte Teil der medizinischen Versorgung gestemmt wird. Generikum hin oder her: Tamoxifen ist für Brustkrebspatientinnen ein lebenswichtiges Medikament.

Die Sorge ist groß, dass es in Folge der Sparpolitik bei patentgeschützten Arzneimitteln bald zu ähnlichen Szenarien kommen könnte. Den Grund sehen Vertreter:innen der pharmazeutischen Industrie in dem im Herbst verabschiedeten GKV-FinStG. Neben einer nochmaligen Verlängerung des Preismoratoriums und einer Erhöhung des Herstellerrabatts sind es vor allem die Eingriffe in das Nutzenbewertungssystem AMNOG, die den Manager:innen, aber auch dem bayerischen Staatsminister, die Sorgenfalten auf die Stirn malen. Denn sie entziehen dem Innovationskreislauf Geld. Und das ist Geld, was in den Forschungs- und Entwicklungsbudgets fehlt. Deshalb sagt Oliver Kirst, Geschäftsführer von Servier Deutschland: „Das Gesetz ist eine Innovationsbremse. Es ist eine Investitionsbremse. Und es ist für den Pharmastandort ein großes Risiko.“ Schon jetzt liegen die Zahlungen der Industrie zugunsten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Form von Rabatten und anderen Kostendämpfungsinstrumenten in einem zweistelligen Milliarden Euro-Bereich pro Jahr.

Die Gesundheitspolitik als Innovationsbremse

Oliver Kirst (links), Klaus Holetschek (mitte), Heinrich Moisa (rechts)
Oliver Kirst (links), Klaus Holetschek (mitte), Heinrich Moisa (rechts). Foto: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege

Das GKV-FinStG spricht Schrittinnovationen ihren Innovationscharakter ab: Im Großen und Ganzen sorgt es dafür, dass neue Arzneimittel – obwohl sie besser sind als bisherige Standardtherapien – in vielen Fällen nicht mehr kosten dürfen. Mit der Realität von Forschung habe das nichts zu tun, kritisiert Heinrich Moisa, Chef von Novartis Pharma Deutschland. „Das System sagt: Für die kleinen Schritte zahlen wir nicht mehr, wir zahlen nur für die großen. Es kann aber sein, dass wir diese großen Schritte dann gar nicht mehr machen.“ Denn Fortschritt bewegt sich in der Regel in Schritten vorwärts. Sprunginnovationen – so wünschenswert sie sind – sind die Seltenheit. 

„Die Arzneimittelpreise in Deutschland sind weder die Ursache noch die Lösung des Problems“, sagt Moisa. Lediglich 12 Prozent der Gesamtausgaben der GKV komme bei den Herstellern von Arzneimitteln an: „Eine Zahl, die seit 10 Jahren konstant ist.“ Der Manager will sagen: Empirisch gibt es keinen Grund, die Arzneimittelausgaben für das Problem der gesetzlichen Krankenkassen verantwortlich zu machen. Die Risiken für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort könnten aber beträchtlich sein. Schon jetzt würden Investitionspläne überdacht, schon jetzt verlagern deutsche Firmen ihre Forschung ins Ausland und schon jetzt haben einzelne Unternehmen angekündigt, neuartige Arzneimittel zunächst nicht in die hiesige Versorgung zu bringen. Das GKV-FinStG ist toxisch: Es verschlechtert die Chancen der Menschen auf eine moderne Medizin, es würgt einer innovativen Industrie den Atem ab und es schädigt den Wissenschaftsstandort. 

Klinische Studien: Deutschland wird durchgereicht

Auch dafür gibt es bereits Belege. Deutschland, einst nach den USA Vizeweltmeister in Bezug auf die Zahl durchgeführter klinischer Pharma-Studien, ist innerhalb von wenigen Jahren auf den 6. Platz abgerutscht. In Europa haben sich Spanien und Großbritannien vorbeigeschoben. Diese Studien aber „sind die Basis für medizinische Forschung und eine gute Gesundheitsversorgung“, so Oliver Kirst, Servier. Doch in Sachen Harmonisierung, Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung laufe Deutschland anderen Ländern hinterher. Während in der Bundesrepublik noch diskutiert werde – zum Beispiel mit den Ethikkommissionen – laufe anderswo schon die Rekrutierung von Proband:innen. Das dramatische, so Kirst, sei: „Klinische Studien sind eine Therapieoption für Menschen, die unter Umständen keine weitere mehr haben. Diesen Menschen beraubt man der Chance einer erfolgreichen Behandlung.“ 

Staatsminister Holetschek wirbt deshalb für eine Gesundheitspolitik, die gleichzeitig Wirtschafts-, Wissenschafts- und Innovationspolitik ist. Mit deutlichen Forderungen tritt der Bayerische Pharmagipfel an den Bund heran:

Bayerischer Pharmagipfel: Den Pharma-Standort stärken
Bayerischer Pharmagipfel: Pharma-Standort stärken. Foto: Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit & Pflege
  • Wiederaufgreifen eines Pharmadialogs auf Bundesebene, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln: Der Gesetzgeber habe es versäumt, mit der Pharma- und Biotech-Industrie in den Dialog zu treten.
  • Keine weiteren Sparmaßnahmen bis zu einer Evaluierung der bereits getroffenen Maßnahmen: Denn es ist jetzt schon klar, dass das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz seinem Namen – wenn überhaupt – nur kurzfristig gerecht wird.
  • Korrektur der AMNOG-Maßnahmen des GKV-FinStG und Weiterentwicklung des AMNOG („AMNOG 2025“)
  • Überprüfung und Neujustierung der Preisregulierungsmechanismen: Befürchtet wird, dass einige Regelungen kumulativ wirken könnten. „Dadurch können sich die Risiken für die Patientenversorgung erhöhen und der Schaden für den Pharma- und Biotechstandort Deutschland potenzieren“, heißt es in einem veröffentlichten Papier.

Wie es nun weitergeht? Minister Holetschek hat die Länder der „Südschiene“ zu einem Treffen geladen. Dabei wollen die Gesundheits- und Wirtschaftsminister:innen von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz über die Möglichkeiten einer Gesundheitspolitik diskutieren, die gleichzeitig auch Wirtschafts- und Standortpolitik ist. Und womöglich den Bund unter Druck setzen, das Ganze auch auf Bundesebene umzusetzen. Für den Minister ist die Gesundheits- und Pflegewirtschaft eben auch Wachstums- und Beschäftigungstreiber, wie er im Pharma Fakten-Interview sagt. Eine verlässliche Arzneimittelversorgung sei „mehr als nur systemrelevant.“  

Deutschland hat seine Gesundheit schlicht falsch organisiert.

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Holetschek: Verlässliche Arzneimittelversorgung „mehr als nur systemrelevant“

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