1,5 Milliarden Menschen weltweit sind von chronischen Lebererkrankungen betroffen, Tendenz steigend; über 2 Millionen sterben jährlich. Allein in Europa sind es rund 300.000 Tote pro Jahr. Die Ursachen sind vielfältig – darunter sind Leberentzündungen in Folge einer viralen Hepatitis-Infektion oder auch eine Fettleber durch Übergewicht, Diabetes oder Alkoholkonsum. Die potenziellen Folgen: Eine dauerhafte Schädigung des Organs – das gesunde Gewebe wird zunehmend durch Narbengewebe ersetzt, im Endstadium sprechen Mediziner:innen von einer „Zirrhose“; auch Krebs ist möglich.
90 Prozent der Lebererkrankungen gelten jedoch als vermeidbar – etwa über eine ausgewogene Ernährung, Bewegung, weniger Alkoholkonsum oder durch Impfungen als Schutz vor Hepatitis A und B. Und die nächste gute Nachricht lautet: Die Leber ist extrem widerstandsfähig. Bei Schädigungen ist sie über weite Strecken fähig, sich selbst zu regenerieren und kann noch lange ihre Funktionen aufrechterhalten. Doch auch bei der Leber kommt irgendwann der Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht. Und genau da liegt das Problem: Weil sich Lebererkrankungen in der Regel unbemerkt entwickeln, gehen die Betroffenen häufig erst dann zu ihren Ärzt:innen, wenn es zu spät ist. Die Schädigungen an der Leber sind dann irreversibel – oft ist eine Transplantation die einzig verbleibende Therapieoption.
Lebererkrankungen: Handeln, bevor es zu spät ist
„Wenn wir Lebererkrankungen frühzeitig entdecken könnten, könnten weitere Schädigungen verhindert und bestehende Schädigungen in manchen Fällen sogar aufgehoben werden,“ heißt es auf der Website des Konsortiums LIVERAIM, das Universitäten, öffentliche Forschungseinrichtungen, Industrie, Patientenvereinigung und andere Organisationen zusammenbringt. Das Forschungsprojekt startete im März 2024 und läuft über die durch die Europäische Union und Life Science-Industrie geförderte „Innovative Health Initiative“ (IHI) bis 2030. Rund 25 Millionen Euro stehen zur Verfügung. Mit dabei sind zum Beispiel die forschenden Pharmaunternehmen AstraZeneca, Boehringer Ingelheim und Gilead Sciences.
Laut den Verantwortlichen gibt es ein „eindeutiges Zeitfenster“, in dem gehandelt werden muss: Schließlich kann sich die „stille Phase“ von Lebererkrankungen, in der keine Symptome auftreten, über zwei Jahrzehnte erstrecken. Es ist wertvolle Zeit, die verstreicht und in der vielen Betroffenen nicht geholfen wird.
„Frühere Forschungsarbeiten haben bereits einige biologische Marker, die eine Leberschädigung anzeigen, identifiziert – aber sie wurden bislang nicht bei einer großen Zahl an Menschen in der Allgemeinbevölkerung überprüft“, heißt es auf der IHI-Website. LIVERAIM wird auf biologische Proben und Daten aus vorangegangenen Forschungsprojekten zurückgreifen: Die Verantwortlichen wollen evaluieren, inwiefern diese Biomarker tatsächlich nützlich sind, um zwischen Patient:innen mit und ohne Leberschädigungen zu unterscheiden, auch wenn noch keine Symptome auftreten. „Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen mit Standardverfahren der Statistik sowie mit Künstlicher Intelligenz (KI) analysiert werden. Das Ziel: die Entwicklung einer Biomarker-Plattform“. Biomarker sind objektiv messbare, biologische Merkmale, die Hinweise auf Prozesse und Krankheitszustände im Körper geben können. So gibt es etwa bestimmte Moleküle wie die Hyaluronsäure, die an der Entstehung der Lebervernarbung beteiligt sind – erhöhte Werte können somit ein Anzeichen sein.
In einer randomisierten, klinischen Studie soll anschließend der Nutzen eines umfassenden Screening-Programms auf Basis der Biomarker untersucht werden. „Die Menschen, bei denen eine Lebererkrankung diagnostiziert wird, werden personalisierte Empfehlungen erhalten, um das Fortschreiten der Krankheit zu stoppen“, so die IHI. Dabei kann es etwa um Unterstützung bei Lebensstilveränderungen, aber auch andere Behandlungsoptionen gehen.
LIVERAIM: Krankheitslast senken, Wirtschaft schonen
„LIVERAIM ist eine der wichtigsten Initiativen im Forschungsbereich von chronischen Lebererkrankungen. Sie baut auf früheren Arbeiten auf, bei denen es darum ging, diagnostische Instrumente zu identifizieren und zu vereinfachen, um jene Menschen in der Allgemeinbevölkerung zu finden, die eine beginnende Lebererkrankung im Frühstadium haben“, sagt Projektkoordinator und Hepatologe Pere Ginès von der Hospital Clínic Barcelona. Dass dadurch eine personalisierte Behandlung der Betroffenen möglich wird, werde „Krankheitslast und ökonomische Last, die Gesundheitssysteme in Europa sowie weltweit momentan tragen, reduzieren“, so der Experte. Ziel sei es, dass das bislang „unterschätzte Problem“ die Aufmerksamkeit erhält, die es benötigt – und zugleich die Instrumente zur Bekämpfung zur Verfügung stehen.
Für Deutschland übrigens gilt: Seit 2021 haben Versicherte ab 35 Jahren einmalig den Anspruch, sich auf die Viruserkrankungen Hepatitis B und C im Rahmen eines „Check-ups“ testen zu lassen. Eine unerkannte Infektion soll so entdeckt und eine frühzeitige Behandlung ermöglicht werden – um daraus resultierende chronische Lebererkrankungen zu verhindern.
Weitere News
Hepatitis-Eliminierung in Europa? So wird das nichts
In Europa steigen die Fälle von Hepatitis-B und -C-Infektionen nach der Pandemie wieder an – und das obwohl wirksame Impfungen zu Verfügung stehen bzw. eine HCV-Infektion dank moderner Medikamente innerhalb weniger Wochen geheilt werden kann. Bis 2030 will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beide Infektionen eliminiert sehen. Angesichts der neuen Zahlen dürfte das wohl nichts werden: Es ist eine Geschichte verpasster Chancen.
NASH: „Eine Epidemie, die durch Übergewicht entsteht“
Was nach der ersten Silbe einer amerikanischen Großstadt klingt und auch so ausgesprochen wird, ist in Wahrheit eine Erkrankung, die sich dramatisch ausbreitet: NASH – die nicht alkoholische Steatohepatitis. Allein in Deutschland sind davon bis zu zwei Millionen Patienten betroffen, und es werden immer mehr. Aber es gibt auch Möglichkeiten, diese Epidemie in den Griff zu bekommen. Welche das sind und welche Rolle die Darmflora bei NASH spielt, darüber haben wir mit Prof. Dr. Christian Trautwein gesprochen, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin an der Uniklinik RWTH in Aachen und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkankungen (DGVS).
Biomarker: Eine Erkrankung genauer charakterisieren
Wird im Zuge der Diagnose einer Erkrankung die Gewebe- oder Blutprobe eines Patienten untersucht, ermöglicht dies die Bestimmung der genetischen, molekularen und zellulären Besonderheiten eines Patienten. Mithilfe dieser „Biomarker“ kann zum Beispiel eine Erkrankung genauer charakterisiert werden. Sie sind daher ein Kernelement der personalisierten Medizin.