Wie kommt medizinische Spitzenforschung in der Onkologie schnell und wirksam in die Versorgung? Darüber sprachen Experten bei einem Handelsblatt Webinar. Foto: ©iStock.com/spukkato (Siam Pukkato)
Wie kommt medizinische Spitzenforschung in der Onkologie schnell und wirksam in die Versorgung? Darüber sprachen Experten bei einem Handelsblatt Webinar. Foto: ©iStock.com/spukkato (Siam Pukkato)

Das sind die Wege in die Krebsbehandlung der Zukunft

Die Forschung boomt, die Zahl der Behandlungsmöglichkeiten im Kampf gegen Krebs wächst von Jahr zu Jahr. Doch alternde Gesellschaft und zunehmende Erkrankungszahlen stellen die Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen: Welche Weichen müssen gestellt werden, damit Innovationen nicht nur entwickelt, sondern auch für Betroffene schnell verfügbar sind? Darüber sprachen Experten aus Medizin, Politik und Industrie im Rahmen eines Handelsblatt Webinars mit Unterstützung von BeiGene.
Das sind die Wege in die Krebsbehandlung der Zukunft
Wege in die Krebsbehandlung der Zukunft. Foto: ©iStock.com/metamorworks

In der Onkologie ist heute vieles nicht mehr so, wie es einst war. Im positiven Sinne: Innerhalb der vergangenen 20 Jahre habe eine regelrechte „Umwälzung“ der Krebsbehandlung stattgefunden, so Prof. Dr. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Während die Ärzt:innen früher vor allem auf Chemo- und Antihormon-Therapien zurückgreifen konnten, haben inzwischen „zwei völlig neue Wirkstoffprinzipien“ übernommen – „nämlich die gezielten Inhibitoren und die ganze Gruppe der Antikörper.“ Hinzu kommen weitere Innovationen – etwa in Form von CAR-T-Zelltherapien. „Erfreulicherweise ist inzwischen die größte Anzahl der malignen Erkrankungen auch mit neuen Medikamenten behandelbar“, konstatierte der Experte.

Das hat Folgen – Beispiel metastasiertes Melanom, ein besonders gefährlicher Hautkrebs: Vor 15 Jahren hatten Betroffene nach Diagnose noch etwa ein Jahr zu leben. Heute kann eine kombinierte Immuntherapie zum Einsatz kommen: „Wir haben hier Patienten dabei, die früher ein Jahr Lebenserwartung gehabt hätten, von denen heute 80 Prozent nach 10 Jahren noch leben.“ Es geht um mehr als um Zahlen. „Das ist Versorgungspraxis geworden“, erklärte der Onkologe.

Moderne Krebsbehandlung für alle Patient:innen?

Arzneimittelinnovationen sind in Deutschland im europäischen Vergleich besonders schnell und umfassend für die Patient:innen verfügbar. „Das schafft eine sehr hohe Erwartungshaltung, dass wir genau das weiterhin haben“, betonte Wörmann. In vielen anderen Nationen ist die Situation nicht so gut wie in der Bundesrepublik. „Schwer erträglich“ sei es, dass eine Ländergrenze und nur wenige Kilometer Distanz darüber entscheiden, ob die Patient:innen beispielsweise ein kuratives Medikament bekommen oder nicht. Hinzu kommt: Nach wie vor gibt es einige Tumorerkrankungen mit ungünstiger Prognose – der medizinische Fortschritt hat hier noch nicht Einzug gehalten.

Mehr klinische Studien in Deutschland?
Mehr klinische Studien in Deutschland? Foto: ©iStock.com/fizkes

Was muss geschehen, damit medizinische Spitzenforschung jetzt und in Zukunft in der Versorgung ankommt? „Wir müssen wieder besser werden, was klinische Studien angeht“, findet Bernhard Seidenath, MdL, Vorsitzender des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege der CSU-Landtagsfraktion. „Da sind wir ins Hintertreffen geraten.“ Zum Beispiel habe Spanien „uns den Rang abgelaufen.“ Studien seien „extrem wichtig“, damit die Patient:innen hierzulande „unter hervorragenden Bedingungen“ von neuartigen Therapieansätzen profitieren können.

Das im Herbst 2024 in Kraft getretene Medizinforschungsgesetz ist da eine „wichtige Initiative“, so Martin Völkl, General Manager Germany & Austria bei dem global agierenden Onkologie-Unternehmen BeiGene. Es habe „definitiv dazu geführt, dass Deutschland wieder eine höhere Priorität“ in Bezug auf klinische Studien bekommt. Nun gilt es dranzubleiben und umzusetzen – sodass etwa die bürokratischen Prozesse bis hin zum Studienstart beschleunigt werden, „damit wir wieder wettbewerbsfähig sind“. Doch das geht nur mit der entsprechenden Infrastruktur und Fachkräften. „Vielleicht hilft auch die politische Weltlage, das ein oder andere Talent zu überzeugen, nach Deutschland zu kommen“, hofft Völkl. CSU-Politiker Seidenath bestätigte: „So schwierig das ist, was da in den USA passiert – für uns ist es eine große Chance: Weil schon einige hochkarätige Wissenschaftler bei uns in Deutschland angeklopft haben, die gerne ihre Forschungsarbeiten bei uns weiterführen möchten.“

Mehr Daten für mehr Wissen über Krebs

Laut Wörmann muss Deutschland dringend „aufs Gaspedal treten“, was Krebsregister angeht. In solchen Datenbanken sollen Informationen zu Tumorerkrankungen systematisch gesammelt werden. „Wir haben seit über zehn Jahren viele neue Arzneimittel – aber die Erkenntnisse, die wir daraus gewonnen haben, sind klein.“ Seidenath verwies auf das Bayerische Krebsregister: „Die allermeisten Krebserkrankten entscheiden sich, ihre Daten zu spenden – die Widerspruchsrate ist sehr gering und liegt unter zwei Prozent.“ Das trägt dazu bei, dass nicht nur den Patient:innen von heute, sondern auch von morgen besser geholfen werden kann als bisher.

Mehr Daten für mehr Wissen über Krebs
Krebsregister: Informationen zu Tumorerkrankungen systematisch sammeln. Foto: ©iStock.com/anyaberkut

Beim bundesweiten Krebsregister gebe es noch viel Verbesserungsbedarf, beklagte Wörmann. „Es gibt immer noch nicht all die Informationen her, die wir haben wollen.“ Das Register müsse breiter aufgestellt werden, sodass sich daraus mehr Erkenntnisse ziehen lassen.

Etwa zum sogenannten Offlabel-Use: „Wir haben keine Fachdisziplin, wo so viele Arzneimittel außerhalb der Zulassung eingesetzt werden, wie speziell in der pädiatrischen, aber auch der Erwachsenen-Onkologie“, machte Wörmann deutlich. Die Forschung habe „Wirkstoffprinzipien gefunden, die über einzelne Krankheiten weit hinausgehen.“ So gebe es zum Beispiel BRAF-Inhibitoren, „die für zwei oder drei Indikationen zugelassen sind, aber bei zehn verschiedenen Krankheiten wirken. Das heißt, mehr als die Hälfte der Indikationen ist Offlabel-Use. Das hat eine Berechtigung, ist aber eine Hürde für die Patienten, weil die Kostenerstattung dann schwierig ist.“ Um diese Hürde abzubauen, wäre es wichtig, dazu Daten in Registern zu sammeln. Wörmann würde den Offlabel-Use am liebsten so strukturieren, „sodass obligat Erkenntnisse generiert werden“ – etwa durch Patient:innen, die ihren Gesundheitszustand während der Therapie dokumentieren.

Moderne Medizin: Nur mit stabiler Finanzierung

„Bisher haben wir jeden medizinischen Fortschritt ermöglicht und bezahlt“, so Seidenath – er sieht es als „ethische Verpflichtung“ an, dass das so bleibt. Die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen daher „auf neue Füße“ gestellt werden. Er stellte klar, dass „wir medizinischen Fortschritt haben wollen“ und Forschung gefördert werden soll. Martin Völkl, BeiGene, unterstrich, dass Investitionen in Gesundheit zu einer prosperierenden Volkswirtschaft beitragen.

Handelsblatt Webinar mit Unterstützung von BeiGene
Handelsblatt Webinar mit Unterstützung von BeiGene

Damit Innovationen weiterhin gut in die Versorgung in Deutschland kommen, ist aus Industrie-Sicht nicht nur eine nachhaltige GKV-Finanzierung, sondern auch eine Weiterentwicklung des sogenannten AMNOG notwendig. Dieses Verfahren der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel ist die Basis für die Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen. In seinen methodischen Anforderungen ist es jedoch nicht ausreichend an spezielle Therapiesituationen angepasst. Bei sehr kleinen Patientengruppen zum Beispiel stoßen die klassischen Pfade der Evidenzgenerierung oft an ihre Grenzen – randomisierte klinische Studien sind nicht immer möglich. Hier braucht es Lösungen, damit es im AMNOG dennoch gelingt, Innovationen als solche zu erkennen und zu honorieren. „Als Industrie brauchen wir Planungssicherheit, dass wir die Perspektive haben, den Prozess erfolgreich zu bestehen“, sagte Völkl.

Krebs ist nicht Krebs

Wenn heute die Weichen für die Krebsbehandlung der Zukunft richtiggestellt werden, ist vieles möglich. In zehn Jahren „werden wir bei einigen Erkrankungen die Heilungsraten“ gesteigert haben – etwa, weil Innovationen in immer frühere Therapielinien vorrücken, denkt Wörmann. In vielen anderen Fällen könnte Krebs zu einer chronischen Erkrankung werden.

Trotzdem: In Bereichen wie Hirntumoren gibt es aktuell einen hohen ungedeckten medizinischen Bedarf. Der Mediziner plädierte während des Webinars daher dafür, „differenzierter“ über Krebs zu sprechen. Dahinter verstecken sich zahlreiche, individuelle Krankheitsbilder – die mit ganz unterschiedlichen Verläufen und Prognosen einhergehen. „Krebs ist nicht gleich Krebs“.

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