
Von Fachleuten lange erseht, aber von der breiten Öffentlichkeit kaum bemerkt, ist am 24. März der European Health Data Space, kurz EHDS, in Kraft getreten – eine europäische Verordnung zur gemeinsamen Datennutzung, die von den EU-Ländern zwingend umgesetzt werden muss. Allerdings hat es damit keine Eile, denn, so Lukas Wrosch von der gematik, der Nationalen Agentur für Digitale Medizin, in seinem Eröffnungsvortrag: „Viele Detailfragen sind noch offen“ – und das, obwohl es bereits 31 Durchführungs-Verordnungen gibt. Der allgemeine Geltungsbeginn des EHDS ist für Anfang 2027 geplant, zwei Jahre später sollen erste Daten in die so genannte „Primärnutzung“ kommen. Das heißt zum Beispiel konkret: Ab 2029 können Patient:innen ein E-Rezept in jedem EU-Land einlösen und auch die elektronische Patientenakte ePA einem Arzt oder einer Ärztin innerhalb der EU zugänglich machen. Für das Jahr 2031 sind dann weitere, umfassende Nutzungsmöglichkeiten geplant, insbesondere für die Forschung.
Erst 3 Prozent der Daten werden genutzt
So lange wollen viele Gesundheitsexpert:innen nicht warten. „Derzeit werden nur 3 Prozent der Gesundheitsdaten genutzt“, erklärte Maximilian Wambach, Head Digital Innovation & Health Solutions bei Novartis in Nürnberg. Da gibt es viel Luft nach oben und schon heute könnten Gesundheitsdaten eingesetzt werden, um Versorgung, Forschung und nicht zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitsstandortes Deutschland zu stärken – auch dank der ePA, die nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums am 15. Januar „planmäßig gestartet“ ist.
Die Widerspruchsrate zur ePA liegt bislang bei der Barmer Ersatzkasse bei gerade mal 6 Prozent. „Wir haben also einen Vertrauensvorschuss“, freute sich Marek Rydzewski von der Barmer. Zugleich schränkte er ein, dass dieses Vertrauen nicht immer auch von den Ärzt:innen kommt, die die ePA befüllen sollen. „Wir haben versucht, die Praxen zu unterstützen“, so Rydzewski, „aber wir sind ein bisschen gescheitert, weil viele gesagt haben: Wir haben keine Zeit.“ Trotzdem oder gerade deswegen findet der Arzt und Digitalexperte Johannes von Büren: „Wir müssen die Ärzte bei der Implementierung der ePA-Befüllung mehr unterstützen. Um sie dafür mehr zu begeistern braucht es auch finanzielle Anreize.“
Wo liegt der Benefit?

Doch es ist gar nicht so sehr die Honorierung, auf die es ankommt. Die wichtigste Zutat, um der Digitalisierung zu einem wirklichen Durchbruch zu verhelfen, ist diese: Eine klare, verständliche Kommunikation. Eine Kommunikation, die deutlich macht, wer welchen Nutzen von der Verwendung von Gesundheitsdaten hat. „Es muss jedem klar werden: Was ist mein Benefit, wenn ich da mitmache“, brachte es Marc Holtorf auf den Punkt. Und Marek Rydzewski ergänzte: „Wenn wir von einem Datenschatz reden, der gehoben werden muss, dann klingt das nach Dollarzeichen. Wir müssen aber den Menschen die Vorteile der Datennutzung aufzeigen.“
Ähnliche Aussagen kamen aus allen vier Experten-Workshops – unabhängig davon, ob sie sich mit der Nutzung von Krankenhausdaten beschäftigten, mit der Patientenrekrutierung für Klinische Studien oder mit dem Alltagsnutzen von Daten. Jede Expertenrunde kam an einen Punkt, den Workshop-Leiter Christian Buggedei so formulierte: „Es geht um Aufklärung und Nutzendarstellung – wir müssen sicherstellen, dass der Nutzen vom ersten Tag an klar wird.“
Der Alltagsnutzen europäischer Datenräume kann tatsächlich riesig sein. Daten zu teilen und mit ihnen zu arbeiten, das kann unter anderem die Prävention verbessern, zur Entwicklung von Gesundheits-Apps beitragen, eine schnellere und bessere Diagnose ermöglichen, zu besseren Therapien führen, die Forschung stärken und und und. Alle Beteiligten, so Buggedeis Erkenntnis am Ende des Workshops, haben nur Vorteile – die Patienten, die Behandelnden, die Forschenden und auch Menschen, die in der Gesundheitsverwaltung arbeiten. Wenn diese Vorteile im Bewusstsein der Menschen ankommen, davon ist Buggedei überzeugt, dann wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen auf volle Unterstützung stoßen.
Finanzierung klären

Doch damit allein ist es nicht getan. Denn: „Ein Datenraum kostet Geld“, so Buggedei weiter, „langfristig gibt es große Einsparpotenziale, aber kurzfristig muss investiert werden.“ Doch das lohnt sich. Daniel Weiß, Data-Manager am Haunerschen Kinderspital in München: „Durch Daten erhalten wir eine bessere Diagnostik, präzisere Therapien – und dadurch sparen die Krankenkassen letztlich viel Geld“. Wichtig sei jedoch, dass die Menschen ihre Daten vollständig zur Verfügung stellen – nur dann könne sinnvoll damit gearbeitet werden. Und: „Wir brauchen Daten von möglichst vielen Patient:innen. Die Daten von einem einzelnen Kind nützen uns noch gar nichts.“
Zur Wahrheit gehört auch: Bedenken müssen ernst genommen werden. Nicht wenige Patient:innen fürchten Manipulation und Missbrauch. Bestätigt sehen sie sich durch Medienberichte wie kürzlich zum Chaos Computer Club (CCC), der Schwachstellen in der ePA aufgedeckt hat. Was allerdings nicht in den Artikeln stand: Der CCC wurde schon vor Einführung der ePA erfolglos dazu eingeladen, sie unter die Lupe zu nehmen. Einen absoluten Schutz vor Hackerangriffen gebe es nicht, betonten alle anwesenden IT-Expert:innen, aber es gebe die Möglichkeit, das Risiko zu minimieren und optimale technische Voraussetzungen zu schaffen.
Transparenz ist gefragt
Dass ihre Daten in falsche Hände geraten könnten befürchten übrigens nicht nur Patient:innen, sondern auch Unternehmen. Einige sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährdet, wenn sie zu viele Daten und Erkenntnisse daraus teilen. Genau darauf aber kommt es an. „Es ist wichtig, dass Forschende ihre Ergebnisse zur Verfügung stellen – denn nur dann sehe ich, was eigentlich mit meinen Daten passiert“, so Dr. Anne Sophie Geier vom Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung. Neben der Kommunikation zum Nutzen ist also auch Transparenz wichtig. „Viele Patienten sind gewillt, ihre Daten zu teilen, wenn man sie abholt und ihnen zum Beispiel erklärt, was pseudonymisierte Daten sind und wofür sie gebraucht werden“, weiß Ira Miessler, Referentin im Bundesgesundheitsministerium.

Noch einen Schritt weiter geht Patientenvertreterin Jana Hassel von der BAG Selbsthilfe. Sie fordert eine Beteiligung von Patient:innen, wenn es um die Digitalisierung geht. Denn: „Vertrauen zu gewinnen klappt nur, wenn man die Menschen beteiligt. Bringen Sie die Patient:innen mit rein – wir sind nicht an der ePA beteiligt.“ Ein Manko, das sich bei anderen digitalen Entwicklungen nicht wiederholen darf.
Zusammengefasst: Schon heute gibt es erfreuliche Möglichkeiten, Gesundheitsdaten zu nutzen und mit ihrer Hilfe die Versorgung und auch die Forschung zu verbessern. Vieles steht erst am Anfang, manches bürokratische und technische Hindernis muss noch überwunden werden. Aber die Richtung stimmt. Jetzt kommt es darauf an, klar zu kommunizieren, gut zu informieren und allen Beteiligten deutlich zu machen: Die umfassende und verantwortungsvolle Nutzung von Daten kann uns allen dabei helfen, gesund zu bleiben oder zu werden.
Die Veranstaltung „Global denken, lokal handeln – Gesundheitsdaten umfassend nutzen und Versorgung zielgerichtet verbessern“ am 21. Mai in Berlin wurde unter anderem unterstützt von den Pharma-Unternehmen Amgen und Novartis.
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