Wie lässt sich die Gesundheitskompetenz der Menschen verbessern? Das erklärt Corinna Schaefer vom Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz im Interview. Foto: privat
Wie lässt sich die Gesundheitskompetenz der Menschen verbessern? Das erklärt Corinna Schaefer vom Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz im Interview. Foto: privat

Gesundheitskompetenz: „Die Menschen dürfen nicht allein gelassen werden“

Gesundheitskompetenz kann dabei helfen, gesund zu bleiben und das Risiko für Krankheiten zu senken. Doch wie lässt sich diese wertvolle Eigenschaft stärken? Corinna Schaefer, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Netzwerks Gesundheitskompetenz (DNGK), ist überzeugt: Es kommt nicht nur auf die Einzelnen an.

Was ist das „Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz“?

Corinna Schaefer, Vorstandsvorsitzende des DNGK. Foto: privat
Corinna Schaefer, Vorstandsvorsitzende des DNGK. Foto: privat

Corinna Schaefer: Es ist ein Zusammenschluss von Menschen aus unterschiedlichen Bereichen – Gesundheitsberufe, Medizin, Bildung, Forschung – die sich zusammengetan haben, um auf möglichst vielen Ebenen die Gesundheitskompetenz zu fördern.

Wie wollen Sie das anstellen?

Schaefer: Es geht in erster Linie um Informationen darüber, wie wir den Umgang mit unserer Gesundheit verbessern können. Diese Informationen müssen verständlich und nachvollziehbar sein – und es muss Interventionen geben, die uns helfen, die erhaltenen Informationen auch umzusetzen.

Klingt gut. Aber was machen Sie konkret?

Schaefer: Das Netzwerk bringt Menschen zusammen, die das gleiche Interesse haben. Es gibt eine Gruppierung von Menschen, denen es beim Thema Gesundheitskompetenz darum geht, Informationen zu erstellen. Eine andere Gruppe kümmert sich darum, das Wissen zu vermitteln. Wir möchten beide Gruppen zusammenbringen. Denn bisher war es oft so: Diejenigen, die Informationen erstellen, achten nicht ausreichend darauf, ob sie auch für unterschiedliche Zielgruppen verständlich sind. Und diejenigen, die das Wissen zur Gesundheitskompetenz vermitteln, schauen zu wenig darauf, ob das, was sie vermitteln, wirklich richtig ist. Da klafft eine Lücke. Ein Anspruch unseres Netzwerks ist es, beides zusammen zu bringen. Das hat in den knapp 6 Jahren seit unserer Gründung gut funktioniert. Wir haben aus beiden Bereichen viele Menschen im Netzwerk und es gibt ganz konkrete Projekte, bei denen sie zusammenarbeiten.

Welche?

Schaefer: Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf der so genannten organisationalen Gesundheitskompetenz – das heißt, wir wollen nicht so sehr einzelne Menschen dazu bringen, alles richtig zu machen, sondern wir wollen Strukturen schaffen, die den Menschen bestimmte Gesundheitsentscheidungen leichter machen. Ein konkretes Beispiel ist die Initiative unseres Partners „Share to Care“ – sie hat es geschafft, auf einem kompletten Universitätsklinikum-Campus das Prinzip „Shared Decision Making“, also gemeinsame Entscheidungsfindung von Patient*innen und medizinischem Personal, zu implementieren. Dazu wurden in den einzelnen Kliniken gemeinsame Themen erarbeitet, bei denen Entscheidungshilfen nützlich sind. Unter anderem wurde das ganze Klinikum so gestaltet, dass Patient*innen ermutigt werden, Fragen zu stellen. So wurden kleine Kärtchen verteilt, auf denen Fragen standen, die man dem Arzt oder der Ärztin vor einer wichtigen Entscheidung stellen sollte.

Was genau ist Gesundheitskompetenz eigentlich?

Gesundheitskompetenz beschreibt die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Foto: ©iStock.com/Prostock-Studio
Gesundheitskompetenz beschreibt die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Foto: ©iStock.com/Prostock-Studio

Schaefer: Gesundheitskompetenz zielt darauf ab, dass Menschen in der Lage sind, Gesundheitsentscheidungen nach ihren persönlichen Bedürfnissen zu treffen – in Kenntnis möglichst vieler Folgen, die solche Entscheidungen haben. Dabei dürfen sie nicht allein gelassen werden. Konkret bezieht sich Gesundheitskompetenz auf den Umgang mit Informationen. Das heißt, sie beschreibt die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Es geht also um Fragen wie diese: Komme ich überhaupt im Gesundheitssystem zurecht? Weiß ich, wo ich welche Informationen bekomme, auch im Internet? Sind diese Informationen sachlich korrekt? Kann ich sie nachvollziehen, haben sie mit meiner Lebenswelt zu tun, sind sie so aufbereitet, dass ich sie nicht nur verstehe, sondern sie auch emotional mit mir in Verbindung bringen kann? Und: Kann ich einschätzen, ob ich dieser Information vertrauen kann? Unser Netzwerk soll dazu beitragen, dass wir all diese Fragen mit „ja“ beantworten können.

Was passiert, wenn das der Fall ist?

Schaefer: Dann können wir ins Handeln kommen, denn wir haben verstanden, was wir tun können. Voraussetzung dafür ist aber, dass gute Informationen leichter zu finden sind. Ein erster Schritt in diese Richtung ist das nationale Gesundheitsportal – daneben gibt es aber auch viele andere gute Anbieter, die man stärker sichtbar machen könnte. Dazu müssten wir die Tech-Firmen erreichen und sie dazu bringen, gute und seriöse Inhalte ganz oben im Ranking zu platzieren. Gesundheitskompetenz entsteht, wenn wir zwei Fragen verknüpfen: Wie gut kommen die Einzelnen zurecht – und was muss das System tun, damit die Einzelnen besser zurechtkommen? Man kann zwar beim Einzelnen messen, wie gut seine oder ihre Gesundheitskompetenz entwickelt ist – aber die Konsequenzen daraus müssen immer das System betreffen.

Was folgt daraus?

Schaefer: Dass man nicht sagt, „wir müssen Interventionen entwickeln, bei denen die Einzelnen sehr viel lernen müssen.“ Sondern, dass man einfache Angebote macht, auch für Menschen mit unterschiedlichen Sprachniveaus. Es müsste über das System dafür gesorgt werden, dass gute Informationen selbstverständlich sind. Und es sollte auch möglichst einfach sein, die erhaltenen Infos anzuwenden. Das fängt damit an, dass ich in der Kantine nicht erst an der Currywurst vorbeimuss, bis ich zum Salat komme. Oder dass ein Vollkorntoast nicht teurer sein darf als ein Weißmehltoast. Sonst haben Menschen mit weniger Geld es schwer, als richtig erkannte Informationen umzusetzen, zum Beispiel über gesunde Ernährung. Das heißt: Wir müssen auf der Systemebene aktiv werden – anstatt die Einzelnen so lange zu trainieren, bis wir ganz viele Gesundheitskompetenz-Profis geschaffen haben.

Wie sinnvoll sind moderne Technologien, zum Beispiel der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), wenn es darum geht, die Gesundheitskompetenz zu stärken?

Schaefer: Das kommt darauf an, was die KI tun soll. Es gibt Beispiele, wo das sehr gut funktioniert – etwa das Projekt PASTA. Da geht es darum, dass die Entlasspapiere, die man aus dem Krankenhaus mitnimmt, mit einer automatischen Software übersetzt werden in eine Sprache, die Patient*innen verstehen. Das funktioniert mit KI und hilft tatsächlich, die Gesundheitskompetenz zu stärken. Schwieriger wird es, wenn es um Anwendungen wie ChatGPT und andere Chatbots geht, wo ich eine Frage eingebe und dann eine Antwort bekomme. Denn Chatbots sind darauf trainiert, eine Antwort zu geben, die möglichst wenig Widerspruch erregt. Wir haben das bei einem Forschungsprojekt ausprobiert: Wir haben ChatGPT mit der besten Fachleitlinie zu Kreuzschmerzen gefüttert. Und dann haben wir gefragt, ob wir bei unkomplizierten, akuten Kreuzschmerzen ein Röntgenbild brauchen. Die Antwort: „Das kann man nicht genau sagen, die einen sagen so, die anderen so.“ Das ist Quatsch, die Leitlinie empfiehlt eindeutig, es bleiben zu lassen, solange kein Verdacht auf einen gefährlichen Verlauf besteht. Derzeit sind solche KI-Anwendungen nicht besonders hilfreich – ich glaube nicht, dass es die Gesundheitskompetenz stärkt, wenn jemand Versatzstücke aus dem Netz sammelt.

Auch gut informierten Menschen fällt es oft schwer, ihr Wissen anzuwenden - Beispiel Rauchen. Foto: ©iStock.com/Zhang Rong
Auch gut informierten Menschen fällt es oft schwer, ihr Wissen anzuwenden – Beispiel Rauchen. Foto: ©iStock.com/Zhang Rong

Auch gut informierten Menschen fällt es oft schwer, ihr Wissen anzuwenden. Beim Rauchen etwa weiß jeder, dass es ungesund ist. Trotzdem nimmt die Zahl an Rauchenden in letzter Zeit wieder zu.

Schaefer: Auch deswegen, weil das System es leicht macht. Warum hat man zugelassen, dass die E-Zigarette – und sie sorgt ja gerade für die Zunahme – in einer Weise beworben werden darf, die nicht korrekt ist. Ja, sie ist nicht ganz so schädlich wie eine selbstgedrehte Zigarette – aber nach wie vor konsumiert man Nikotin. Und es ist besser, diesen Schadstoff erst gar nicht zu sich zu nehmen. Das ist beim Rauchen so, beim Alkohol, auch beim ganz normalen Essen. Die meisten Menschen, die übergewichtig sind, wissen das und sie leiden auch darunter. Trotzdem schaffen sie es nicht, abzunehmen. Unter anderem, weil zu viel Essen in viel zu hoher Kaloriendichte angeboten wird, weil man Stressfaktoren nicht angeht, die dafür sorgen, dass man zu viel isst. Sondern es wird immer auf dieses einzelne Verhaltensproblem fokussiert: „Du isst zu viel, dann nimm doch ab.“ Da braucht es einen viel umfassenderen Blick: Warum verhält sich ein Mensch so, was würde ihm helfen? Und wir sollten uns endlich eingestehen: Adipositas ist eine ernsthafte Erkrankung, Rauchen ist eine Suchterkrankung. Man kann dieses Verhalten nicht so einfach abstellen. Man kann aber verhindern, dass jemand überhaupt anfängt. Was wir bei der Gesundheitskompetenz fordern, ist, dass Menschen zumindest abwägen können, was es bedeutet, wenn sie versuchen vom Rauchen loszukommen – was bringt das, welche Möglichkeiten habe ich, was kann mich unterstützen. Beim Rauchen wäre es das Beste, wenn Jugendliche gar nicht erst damit anfangen – dafür wird immer noch zu wenig getan.

Was wünschen Sie sich von der Politik im Hinblick auf die Stärkung der Gesundheitskompetenz?

Schaefer: Ach, da wäre so viel. Man müsste zum Beispiel anfangen, Gesundheitsinformationen zu zertifizieren – mit der Konsequenz, dass solche Infos dann im Netz besonders leicht aufzufinden sind. Die Ausbildung in Gesundheitsberufen müsste auch Wissen zur Gesundheitskompetenz vermitteln. Das nützt allerdings nur etwas, wenn sprechende Medizin auch bezahlt wird – denn nur dann werden die Behandelnden ihr Wissen auch weitergeben. Solche Gespräche müssten gefördert werden, ebenso Trainings zu einer guten Gesprächsführung. Das gilt für alle Gesundheitsberufe, nicht nur Ärzte, sondern auch für Medizinische Fachangestellte, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten – sie alle verbringen viel Zeit mit ihren Patienten und Klientinnen und sollten deshalb dabei unterstützt werden, Gesundheitskompetenz zu vermitteln.

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