Im Interview erzählt die Gründerin der Initiative „Data Saves Lives Deutschland“, weshalb es so wichtig ist, Gesundheitsdaten zu teilen und zu nutzen. Foto: ©iStock.com/ipopba
Im Interview erzählt die Gründerin der Initiative „Data Saves Lives Deutschland“, weshalb es so wichtig ist, Gesundheitsdaten zu teilen und zu nutzen. Foto: ©iStock.com/ipopba

Gesundheitsdaten: „Bessere Forschung, bessere Behandlung“

Gesundheitsdaten können Leben retten – weil das so ist, hat die Social Media- und Digital Health Expertin Birgit Bauer die gemeinnützige Initiative „Data Saves Lives Deutschland“ gegründet. Wir haben mit ihr über dieses Projekt und die Hintergründe gesprochen.

Sie sind die Gründerin der Initiative „Data Saves Lives Deutschland“ – wie kam es dazu?

Birgit Bauer: „Data Saves Lives“ wurde 2019 als europäisches Projekt gegründet – und zwar vom European Patients Forum EPF und dem European Institute for Innovation through Health Data (I-HD). Das EPF ist die Schirmorganisation der europäischen Patientenorganisationen. Auslöser war die Erkenntnis: Die Kompetenz in der Beurteilung von Gesundheitsdaten ist relativ gering. Es gibt also wenig Informationen und patientenfreundliche Erklärungen. Das war und ist auch in Deutschland so und deshalb habe ich mir gesagt, das brauchen wir hierzulande auch – denn in Deutschland gibt es bis heute Vorurteile, Ressentiments und falsche Informationen zur Verwendung von Gesundheitsdaten. Was fehlte, war eine patientengetriebene Initiative, die das Thema aufgreift und darüber spricht, was Gesundheitsdaten eigentlich sind und was mit ihnen passiert. Um das zu ändern habe ich 2022 „Data Saves Lives Deutschland“ ins Leben gerufen.

Social Media- und Digital Health Expertin Birgit Bauer
Social Media- und Digital Health Expertin Birgit Bauer. Foto: privat

Mit welchen Zielen?

Bauer: Unser wichtigstes Ziel ist Information. Wir sammeln und verarbeiten keine Gesundheitsdaten, sondern wir informieren darüber. Gemäß dem Motto „Gesundheitsdaten – wir reden darüber“. Wir klären also auf: Was sind Gesundheitsdaten, wozu sind sie gut und wann teile ich sie. Wir wollen die Menschen ermutigen und befähigen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Wie machen Sie das?

Bauer: Wir sind keine Patienten-Organisation, sondern eine Initiative, die solche Gruppen unterstützt. So sind wir mit unseren verschiedenen Social Media Kanälen präsent und unterstützen Patientenorganisationen oder Selbsthilfegruppen, die sich an uns wenden, zum Beispiel mit der Vernetzung von Experten für Webinare oder auch Informationen. In vielen Fällen können ich und mein kleines Team jemanden vermitteln und Menschen dabei unterstützen, sich über das Thema auszutauschen.

Ist das überhaupt notwendig? Die EU hat doch beschlossen, einen europäischen Gesundheitsdatenraum zu schaffen, den European Health Data Space (EHDS). Ist damit nicht alles auf einem guten Weg?

Bauer: Ich finde es schon richtig, eine EU-weite Plattform für den Austausch von Gesundheitsdaten aufzustellen. Aber der EHDS wird nur funktionieren, wenn die Menschen auch mitmachen. Und genau dazu wollen wir mit „DataSavesLives Deutschland“ beitragen.

Weshalb ist es wichtig, Gesundheitsdaten für die Forschung zu verwenden?

Bauer: Es gibt sehr viele Erkrankungen, die bis heute nicht wirklich gut verstanden werden. Gerade für die Erforschung von chronischen und seltenen Erkrankungen, aber auch von Krebserkrankungen, braucht man Daten. Je mehr Daten wir haben und analysieren können, umso besser. Aber Daten tragen nicht nur zu einer besseren Grundlagenforschung bei.

Sondern?

Bauer: Auch zu einer besseren Behandlung. Wenn ich als Patient zum Arzt gehe und eine Diagnose brauche, dann muss ich auf die Ergebnisse einer Untersuchung oft lange warten, weil sie noch analog oder per Fax übermittelt werden. Das lässt sich durch einen guten Datentransfer beschleunigen. Wir könnten die Versorgung effizienter und effektiver gestalten – das spart auch Geld. Bei ständig steigenden Krankenkassen-Beiträgen ist das ein wichtiger Punkt. Gesundheit wird nicht billiger werden. Sondern sie wird langfristig gesehen teurer, auch deshalb, weil wir länger leben. Deswegen müssen wir auch die wirtschaftliche Seite betrachten. Wir könnten relativ viel sparen, wenn eine Untersuchung nur einmal gemacht werden muss und die Ergebnisse dann den anderen Behandelnden schnell und unkompliziert, also digital, zur Verfügung stehen.

Das soll ja bald mit Hilfe der elektronischen Patientenakte (ePA) der Fall sein.

elektronische Patientenakte
Daten schneller teilen: Die elektronische Patientenakte. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Bauer: Das hoffe ich. Denn ich bin selbst chronisch an Multipler Sklerose erkrankt und habe seit 2005 Gesundheitsdaten, die nach und nach im Nirwana verschwinden. Ich gehöre zu den chronisch Kranken, die mit Leitz-Ordnern unterwegs sind und auch mal den Postzusteller machen, um einen Bericht von A nach B zu bringen. Ich würde meine Daten gerne elektronisch teilen und wünsche mir nichts mehr als die elektronische Patientenakte. Zumal sich kein Arzt die Leitz-Ordner seiner Patienten anschaut. Die Zeit hat er ja gar nicht.

Haben Sie schon eine ePA?

Bauer: Ja, aber die ist leer. Ich bin Patientin von Ärzten, die nicht so sehr digital unterwegs waren und auch nicht wirklich Lust hatten, sich damit zu befassen. Man muss allerdings auch sagen, dass die Ärzte es nicht so einfach haben. Diese Umstellung, vom analogen System mit Fax auf digitale Systeme, kann ziemlich kompliziert sein. Es braucht Schulungen, neue Technik – und dann kann es schon passieren, dass die von der gematik, der Nationalen Agentur für Digitale Medizin, bereit gestellten Systeme immer wieder stolpern. Ich glaube, man sollte die Ärzte mehr unterstützen, denn sie haben bei der Digitalisierung die gleichen Probleme wie andere Menschen. Wir müssen auch Ärzte mitnehmen, die eine Landarztpraxis betreiben und mehr am Menschen arbeiten als am Computer. Für sie muss es Angebote geben, über die sie sich schnell und unkompliziert informieren können. Und Ärzte sollten bei der Digitalisierung vielleicht auch mal mitreden können und bestimmte Vorschläge aus ärztlicher Sicht kommentieren.

Viele Menschen befürchten, dass ihre Gesundheitsdaten in falsche Hände kommen. Teilen Sie diese Sorge?

Bauer: Wir haben das Gesundheitsdatennutzungsgesetz – damit hat der Gesetzgeber eine Grundlage geschaffen, um einen gewissen Schutz aufzubauen. Ich bin keine Juristin, aber ich weiß, dass es Datenschutzrichtlinien gibt. Wir haben viele Gesetze und sehr engagierte Datenschützer in Deutschland – es sind also genügend Sicherheitsmechanismen vorhanden. Und wenn wirklich irgendwo eine Lücke ist, wird man sie finden und schließen. Ich finde es gut, skeptisch zu sein, aber man muss sich auch mit dem Wissen auseinandersetzen. Und da liegt das Problem: Es gibt zu wenige Informationen, die wirklich verständlich sind.

Was muss in Deutschland geschehen, damit mehr Menschen ihre Gesundheitsdaten für Forschungszwecke zur Verfügung stellen?

Patientenzentrierte und digitale Patientenversorgung
Patient:innen sind oft dazu bereit ihre Daten zu teilen. Foto: ©iStock.com/Pornpak Khunatorn

Bauer: Da muss gar nicht so viel passieren. Aber wir müssen aufklären. Die Menschen sind ja durchaus bereit, ihre Gesundheitsdaten zu teilen. Jedenfalls dann, wenn sie verstanden haben, wofür das gut ist. Gerade bei Patientinnen und Patienten ist das gar nicht so das Thema. Sehr viele von ihnen sagen: „Nehmt die Daten, macht was damit – Hauptsache, ich bekomme irgendwann eine Heilung.“ Oder eine Verbesserung. Es muss ja nicht immer eine Heilung sein, manchmal hilft es auch, wenn ein Medikament so verbessert wird, dass sich auch die Lebensqualität verbessert oder Symptome reduziert werden. Bei kranken Menschen ist deshalb die Bereitschaft da, ihre Daten zu teilen. Aber gesunde Menschen interessiert dieses Thema oft nicht. Um das zu ändern, müssen wir informieren und auch die Gesundheitskompetenz fördern. Wichtig wäre auch, dass interessierte Bürgerinnen und Bürger mitmachen können, unabhängig davon, ob sie krank oder gesund sind.

Wie sieht dieses „mitmachen“ konkret aus?

Bauer: Es sollten Bürgerräte zu verschiedenen Gesundheitsthemen gebildet werden – beim Thema „Ernährung“ gab es das schon und es hat funktioniert. Die 160 Menschen in diesem Bürgerrat haben richtig gute Ernährungsempfehlungen erarbeitet. Das könnte man unter anderem auch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens machen. Der Digitalzug fährt ja schon seit 20 Jahren. Aber es wird oft hinter verschlossenen Türen in Experten-Bubbles diskutiert. Diese Experten verstehen sich prächtig, aber ich finde, es sollten auch Menschen dabei sein, die vielleicht keine Experten sind, aber die Sicht der Patienten einbringen können.

Was wünschen Sie sich an Unterstützung, um dem Ziel der Aufklärung näher zu kommen und möglichst viele Menschen damit zu erreichen?

Bauer: Ich würde mir noch mehr Expertinnen und Experten wünschen, die ihr Wissen teilen, die mit uns zusammenarbeiten und zum Beispiel mal einen Blogbeitrag zu einem bestimmten Thema schreiben oder ein kurzes Video drehen. Wir brauchen verständliche und aussagekräftige Inhalte – mein Miniteam und ich schaffen das nicht immer. Es würde uns sehr helfen, wenn Experten einen Teil ihres Wissens mit uns teilen und darüber schreiben, verständlich, kurz und knackig, vielleicht auch mit Unterhaltungsfaktor – ein bisschen Infotainment schadet nie. Ich selbst mache das auf Instagram, wo ich die Rubrik „Fachgedöns“ herausgebracht habe. Dort erkläre ich Fachbegriffe, wie zum Beispiel „Interoperabilität“ – wenn also zwei verschiedene Computersysteme eine gemeinsame Sprache sprechen. Das wird gerne gelesen, ich merke das an den Nutzerzahlen. Derzeit überlegen wir, die bislang 50 Fachgedönse als gedruckte Version aufzubereiten und sie in Arztpraxen, Gesundheitszentren und Krankenhäusern auszulegen.

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