„Quo vadis, Gesundheitssystem?“ – darüber, ob wir die richtigen Rahmenbedingungen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem haben, diskutierte ein Panel bei Vision Zero. Foto: Vision Zero
„Quo vadis, Gesundheitssystem?“ – darüber, ob wir die richtigen Rahmenbedingungen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem haben, diskutierte ein Panel bei Vision Zero. Foto: Vision Zero

Gesundheitssystem: Ja, wohin läuft es denn?

„Quo vadis, Gesundheitssystem?“, hieß es auf einer Session auf dem Berlin Summit der Initiative „Vision Zero in der Onkologie“. Darüber, ob wir die richtigen Rahmenbedingungen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem haben, diskutierten Vertreter:innen aus Ärzteschaft, Politik, Industrie und Patienten. Eine Kennzahl ließ besonders aufhorchen – sie ist ein Beleg dafür, wie ineffizient das System arbeitet.
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Foto: Ralf Günther

Dr. Klaus Reinhardt ist so etwas wie der oberste Arzt im Lande; er ist Präsident der Bundesärztekammer. Sein Impuls ließ aufhorchen. Schaut man sich die Zahl der ärztlichen und pflegerischen Kräfte in Relation zur Bevölkerung im europäischen Vergleich an, zeigt sich: „Wir haben im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern eine relativ hohe Dichte an Pflegepersonal und auch an ärztlichem Personal. Deshalb stellt sich die Frage: Setzen wir die Fachkräfte richtig ein? Meine These ist: Nein.“ Für Reinhardt ist das der Beleg dafür, wie ineffizient das deutsche System ist. Das habe etwas zu tun mit der Redundanz, schlecht aufeinander abgestimmten Systemen oder mit unkontrolliertem Zugang zum Gesundheitswesen. Auf 30 Prozent wird der Anteil von Menschen in Deutschland geschätzt, die in Krankenhäusern behandelt werden, aber da nicht hingehören. Laut Statista wurden im Jahr 2022 16,8 Millionen Menschen stationär aufgenommen. Dann versorgen die Krankenhäuser im Jahr rund 5 Millionen Menschen, die eigentlich ambulant behandelt werden könnten.

Digitalisierung: „Jämmerlich, gemessen an dem, was wir sonst so können.“

Das Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen – daran zweifelt niemand mehr – denn in den kommenden Jahren schlägt die „doppelte demografische Belastung“ zu. Die Zahl der Ärzt:innen, die in Rente geht, steigt an, während gleichzeitig der personelle Bedarf anwachsen dürfte, denn schließlich werden auch alle anderen Menschen in Deutschland älter. Auch deshalb mahnt Reinhardt die Entbürokratisierung an: „Der Bundesgesundheitsminister hat uns ein Entbürokratisierungsgesetz versprochen. Wir haben ihm 300 Prozeduren geliefert, die man aus unserer Sicht ersatzlos streichen oder deutlich vereinfachen könnte.“ Natürlich kritisiert der Ärztekammer-Präsident den Stand der Digitalisierung: „Das ist eher jämmerlich, gemessen an dem, was wir sonst so können.“ Und schließlich das andere Dauerbrenner-Thema Prävention: Auch das habe man in den vergangenen Jahren vernachlässigt.

Professor Dr. Andrew Ullmann, FDP-Gesundheitspolitiker
Professor Dr. Andrew Ullmann, FDP-Gesundheitspolitiker. Foto: Ralf Günther

Immerhin: In der Gesundheitspolitik tut sich viel; seit Jahren (um nicht zu schreiben: Jahrzehnten) angemahnte Reformen sind in Arbeit oder schon als Gesetze verabschiedet. Professor Dr. Andrew Ullmann, FDP-Gesundheitspolitiker, zählte die Gesetze und Gesetzesinitiativen auf, die die Ampel angestoßen hat. Da sind die Digitalisierungsgesetze (verabschiedet), das Medizinforschungs-, das Apotheken- und Krankenhaus-Versorgungsverstärkungsgesetz (in Arbeit), das Bürokratieentlastungs- und das Präventionsgesetz sollen als nächstes kommen – die Liste ist nicht vollständig: „Die Arbeit geht uns nicht aus, wir brauchen eine Verlängerung.“ Und noch eine Botschaft ist ihm wichtig: „Wir dürfen keine Angst haben vor der pharmazeutischen Industrie, wir brauchen ihre Innovationen.“

Das richtige Stichwort für Han Steutel, Präsident des Pharmaverbandes vfa. Die Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre? „Eine Achterbahnfahrt.“ Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz? „Ein Schlag ins Gesicht.“ Das Mantra des Gesundheitsministers, dass es keine Leistungsbeschränkungen im Gesundheitswesen geben werde? „5 Arzneimittel sind in Deutschland nicht mehr erhältlich, davon 3 Onkologika.“ Nun aber endlich die Umsetzung der Pharmastrategie, auf die der Präsident große Hoffnungen setzt. „Wir sprechen von der Vision Zero in der Onkologie. Bei Prostatakrebs überleben bereits 91 Prozent der betroffenen Männer, bei Brustkrebs sind es 87 Prozent der Frauen“, so Steutel. „Beim Lungenkrebs sind wir jetzt beim 5-Jahres-Überleben von 19 Prozent.“ Es habe in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gegeben, „aber es gibt noch viel zu tun.“

Digitalisierung: „Der einzige Schlüssel“ zum Lösen der Probleme

Alexandra von Korff hat einen anderen Blick auf das System; sie ist eine Brustkrebs-Aktivistin und Bloggerin; beim Thema Digitalisierung schüttelt sie den Kopf: „Wie schwer will man uns Patient:innen es denn noch machen?“ Sie erinnert daran, dass die Patient:innen-Akte eine Opt-Out-Funktion hat und damit der Patient, die Patientin, Kontrolle über die eigenen Daten hat. Deshalb die Frage: „Warum machen wir es nicht einfach?“ Rainer Birkenbach, Chief Technology Officer bei dem seit 35 Jahren erfolgreichen Unternehmen Brainlab, das die Digitalisierung der Medizintechnologie vorantreibt, sagt: „Ich bin davon überzeugt, dass die Digitalisierung der einzige Schlüssel ist, die Probleme zu lösen.“ Vielleicht helfe ein Perspektivwechsel: „Wir reden immer von den Patienten. Aber jeder von uns ist ein Patient.“ Und wenn nicht jetzt, dann sicher in der Zukunft. Und wer will dann nicht von einer optimalen Versorgung profitieren? Die aber gibt es nur, wenn die Chancen der Digitalisierung konsequent genutzt werden.

Weitere News

Seit 5 Jahren gibt es die Nationale Dekade gegen Krebs. Wo stehen wir zur Halbzeit? Das war Thema auf dem Berlin Summit von „Vision Zero“. Foto: Vision Zero

Krebsforschung: Arbeit an den Grenzen menschlichen Wissens

Seit 5 Jahren gibt es die Nationale Dekade gegen Krebs. Mit der Initiative soll die Krebsforschung gestärkt und die Heilungschancen der Patient:innen verbessert werden. Wo stehen wir zur Halbzeit der Dekade? Das war Thema auf dem Berlin Summit, dem jährlich wiederkehrenden Gipfel von „Vision Zero in der Onkologie“.

Weiterlesen »
Ein halbes Jahr nach Verabschiedung der Pharmastrategie ziehen der BPI-Vorsitzende Oliver Kirst und BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen Bilanz (Bild: hier mit Vizekanzler Robert Habeck auf der Vollversammlung des Verbands). Foto: BPI

Pharma in Deutschland: „Man muss uns nur lassen“

Die Führungsspitze des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) im Pharma Fakten-Interview: Ein halbes Jahr nach Verabschiedung der Nationalen Pharmastrategie der Bundesregierung ziehen Oliver Kirst, BPI-Vorsitzender und Geschäftsführer von Servier Deutschland, sowie Dr. Kai Joachimsen, BPI-Hauptgeschäftsführer, Bilanz. Der Tenor: Die wichtigsten Weichen sind gestellt, aber nun muss sie auch zügig umgesetzt werden. Denn: Viel Zeit bleibt nicht.

Weiterlesen »

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: