„Kleiner Pieks, großer Mehrwert“ - beim Tagesspiegel-Impfgipfel ging es diesmal um das Thema „Impfen im Zeitalter des demografischen Wandels“. Foto: ©iStock.com/Marina Demidiuk
„Kleiner Pieks, großer Mehrwert“ - beim Tagesspiegel-Impfgipfel ging es diesmal um das Thema „Impfen im Zeitalter des demografischen Wandels“. Foto: ©iStock.com/Marina Demidiuk

Impfen: Weshalb es nicht nur der Gesundheit nützt

Das Thema „Impfen im Zeitalter des demografischen Wandels“ stand im Mittelpunkt des fünften Tagesspiegel-Impfgipfels. Dabei zeigte sich: Impfungen sollten uns ein Leben lang begleiten – und das nicht nur aus Gründen des Gesundheitsschutzes.
Neue Impfstoffe: Vor Krankheiten schützen bevor sie entstehen
Impfungen erhöhen die Lebensqualität. Foto: Prostock-Studio / iStock.com

„Weniger als ein Prozent der Ausgaben des Gesundheitssystems erfolgen fürs Impfen“, erklärte Moderator und Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff gleich zu Beginn der Veranstaltung. Aber was aus wirtschaftlicher Sicht noch viel wichtiger sei: „Studien zeigen, dass jeder für präventive Gesundheitsmaßnahmen ausgegebene Euro einen Ertrag von 14 Euro für das Gesundheits- und Sozialwesen generiert.“ Und mehr noch: „Das Office of Health Economics (OHE) hat dazu einen Bericht veröffentlicht, der zeigt: Die Immunisierung von Erwachsenen gibt der Gesellschaft und der Wirtschaft das 19-fache der ursprünglichen Investitionen zurück.“

Weshalb das so ist, erklärte der Gesundheitsökonom Simon Brassel, Senior Principal Economist am OHE in London. Nach seinen Worten vermindern Impfungen nicht nur die Sterblichkeit und erhöhen die Lebensqualität, sondern führen auch „zu direkten Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem selbst.“ So verhindern Impfungen langwierige Folgebehandlungen und teure Krankenhaus-Aufenthalte. Noch viel mehr schlage allerdings der „indirekte Gesundheitsnutzen“ zu Buche. Beispiel Antibiotika-Resistenzen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich weltweit rund 5 Millionen Menschen an Antibiotika-Resistenzen. „Impfung kann ungefähr 10 Prozent davon, wahrscheinlich mehr, verhindern“, so Brassel. Als weitere Beispiele für den indirekten Gesundheitsnutzen nannte Brassel soziale Gerechtigkeit, Herdenimmunität oder den Schutz von vulnerablen, also besonders gefährdeten, Gruppen.

Corona-Impfung: 2,6 Billionen US-Dollar eingespart

Eine Impfung, die nicht nur viele Millionen Menschenleben gerettet hat, sondern auch enorme finanzielle Verluste verhindern konnte, war die COVID-19-Schutzimpfung: „Hier sind 2,6 Billionen US-Dollar in 148 Ländern über zwei Jahre an Bruttoinlandsprodukt-Verlusten vermieden worden“, so Brassel, „und das ist eine ganze Menge.“

Impfungen für Erwachsene sind nach Brassels Überzeugung schon deswegen sinnvoll, weil die Krankheitslast nun einmal in der zweiten Lebenshälfte zunehme. Der Gesundheitsökonom stellte eine Literaturrecherche des OHE vor, bei der Erwachsenen-Impfprogramme zu Influenza, RSV, Gürtelrose und Pneumokokken durchleuchtet wurden. Wenig überraschend trug jedes dieser Programme zu „einem längeren und gesünderen Leben bei“, so Brassel. Und weiter: „Aus gesellschaftlicher Sicht ist der generierte Nutzen etwa 19mal größer als die Betriebskosten der vier Programme selbst“. Als Konsequenz daraus plädiert Brassel für eine „präventionsorientierte Denkweise über alle Lebensphasen hinweg“ – dazu gehöre auch die Ausweitung von Impfprogrammen.

Impfen schützt gleich mehrfach

Impfen schützt gleich mehrfach
Impfungen schützen mehrfach. Foto: © iStock.com/Rallef

Die „Bedeutung von Impfungen für gesundes Älterwerden“ hob auch Ines Perea hervor, Unterabteilungsleiterin „Gesundheitsschutz“ im Bundesgesundheitsministerium. Sie betonte, dass Impfungen nicht nur schwere Krankheitsverläufe verhindern, sondern auch eine schützende Wirkung gegen „andere Krankheiten“ haben: So vermindere eine Influenza-Impfung teilweise auch das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen. Und auch das Risiko für eine Sepsis, volkstümlich Blutvergiftung genannt, sinke mit jeder Impfung.

Umso besorgniserregender sind die Impfquoten bei älteren Menschen in Deutschland: Von den über 60jährigen waren zuletzt 43 Prozent gegen Grippe geimpft, knapp 26 Prozent gegen Pneumokokken und ganze 7,7 Prozent gegen Gürtelrose. Zum Vergleich: In Dänemark liegt die Influenza-Impfquote bei 78 Prozent, in Irland bei 76 Prozent und in Schweden bei 70 Prozent. Perea listete auch die empfohlenen Standard-Impfungen für Menschen ab 60 auf: Influenza, COVID-19, Pneumokokken, Gürtelrose und alle 10 Jahre eine Auffrisch-Impfung gegen Tetanus und Diphtherie. Seit Kurzem gebe es nun auch eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu einer RSV-Impfung für Menschen ab 75 – Menschen mit Vorerkrankungen sollten sich bereits ab dem 60. Lebensjahr impfen lassen.

Mögliche Maßnahmen, um die Impfquoten zu steigern

Doch wie bringt man gerade ältere Menschen dazu, sich auch tatsächlich impfen zu lassen? Perea schlägt vier Maßnahmen zur Steigerung der Impfquoten vor:

  • Beratung durch Hausärzte
  • Niedrigschwellige Impf-Angebote in Apotheken, Betrieben und Pflege-Einrichtungen
  • Mobile Impfungen, etwa in Einkaufszentren oder bei Großveranstaltungen
  • Entwicklung weiterer gut wirksamer und sicherer Impfstoffe

Solche Maßnahmen können nach Pereas Worten aber nur dann Früchte tragen, „wenn alle zusammenwirken – Ärzte, Pflege, Apotheker.“ Bislang gebe es im Gesundheitswesen leider auch „Partikularinteressen“. Sie zeigten sich zum Beispiel daran, dass es Kritik aus der Ärzteschaft an Impfungen in Apotheken gab.

Der Kinderarzt und Co-Vorsitzende des Nationalen Aktionsbündnisses Impfen (NABI), Dr. Thomas Fischbach, stört sich nicht an einer etwaigen Konkurrenz aus den Apotheken. Er sagt: „Andere Impfstätten nehmen uns nichts weg.“ Pädiater wie er selbst seien ohnehin nicht betroffen, denn: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eltern ihre Säuglinge zum Impfen auf den Tresen der Apotheke legen.“

„Vieles ist immer noch nicht geschafft“

„Vieles ist immer noch nicht geschafft“
Die Impfquoten sind zu niedrig. Foto: ©iStock.com/jotily

Zum Tagesspiegel-Impfgipfel merkte Fischbach selbstkritisch an: „Wir machen das schon fünf Jahre“  aber vieles von dem, was in dieser Zeit vorgeschlagen wurde, sei „immer noch nicht geschafft.“ So gebe es zum Beispiel noch immer keinen „elektronischen Impfausweis“, obwohl ihn sich laut einer Civey-Umfrage viele Menschen wünschen. Und auch Ärzte könnten besser beraten, wenn sie den Impfstatus „durch Einlesen der Chipkarte“ schnell erkennen könnten. Eigentlich seien die Voraussetzungen für einen elektronischen Impfpass längst gegeben: „Ich hoffe inständig, dass das tatsächlich auch kommt im nächsten Jahr.“

Grundsätzlich sieht Fischbach den Einsatz für bessere Impfquoten als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, an der sich alle beteiligen müssten: Politik, Medien, Krankenkassen, Ärztinnen und Ärzte, Erzieherinnen und Erzieher. Darüber hinaus sieht Stephan-Andreas Casdorff auch die Hersteller von Impfstoffen in der Pflicht, wobei Fischbach ergänzt: „Was überhaupt nicht hilft, ist dieses ständige Verdammen der Pharma-Industrie – dass die ja nur Produkte auf den Markt bringen, um sich die Taschen voll zu machen.“ Ebenso gut könne man sich darüber beklagen, dass Ärzte für ihre Behandlung Geld verlangen. Diesen Gedanken, „wonach nur eine Seite einen Benefit haben dürfte“, gebe es nur in Deutschland. Fischbach ist überzeugt: „Wir brauchen die pharmazeutische Industrie.“ Statt hier ständig zu kritisieren sollten wir uns in Deutschland lieber fragen, „weshalb wir keine Nobelpreise mehr kriegen – die sind in diesem Jahr fast alle in die USA gegangen.“ Womit er beim „Thema Forschung“ wäre: „Forschung muss man auch unterstützen.“ Hier könnte die Politik „noch ganz viel tun“.

Fazit: Der Nutzen von Impfungen ist weitaus höher als die Kosten. Deshalb sollten die Impfquoten unbedingt gesteigert werden – zumal im Jahr 2040 rund 26 Prozent der Menschen in Deutschland 67 Jahre und älter sein werden. Es gibt viele gute Ideen für bessere Impfquoten – aber mit der Umsetzung hapert es auch nach 5 Jahren Impfgipfel noch.

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