Dass es sich lohnt, Lösungen für eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems zu suchen, ist eine Binsenweisheit. Laut Alexandra Bishop, Deutschland-Chefin von AstraZeneca, gilt es, die Gesundheitsversorgung zu einer Priorität zu machen. Es geht dabei nicht nur um ein Mehr an Lebensjahren, sondern auch ein Mehr an Lebensqualität. „Wir sollten Gesundheitsversorgung als eine Investition betrachten“. Die Pharmaindustrie sei ein „Puzzlestück“: „Wir können keine gesunde Gesellschaft ohne die Innovationen von heute und morgen haben.“ Menschen, die gesund sind, können ihr Leben mehr genießen, ihrem Alltag, ihrem Ehrenamt, ihrer Arbeit nachgehen – Gesundheit ist ein Wirtschaftsfaktor. Tatsache ist aber: „Es wird keine Arzneimittel geben, wenn wir kein nachhaltiges Gesundheitssystem haben.“
Bishop forderte, dass die Industrie in Diskussionen um Lösungen zur GKV-Finanzierung einbezogen wird – und zwar bevor Regelungen verabschiedet werden, deren Auswirkungen im Vorfeld nicht durchdacht sind. Das Ende 2022 in Kraft getretene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz habe die Unternehmen stark beeinflusst: „Es war sehr auf eine einzige Industrie und einen einzigen Bereich ausgerichtet“, kritisierte sie. „Es brachte nicht sehr viele Einsparungen, aber führte dazu, dass Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit in Sachen Innovation, Wissenschaft, Medizin eingebüßt hat und einige Arzneimittel nicht für die Patient:innen in der Bundesrepublik verfügbar sind.“
FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus (MdB) betonte: „Der Innovationsstandort Deutschland ist für unsere Wirtschaft ganz wichtig, aber auch für die Patientinnen und Patienten – denn wenn hier geforscht und entwickelt wird, haben sie einen frühen Zugang zu den Medikamenten“. Um das wieder mehr zu fördern, hat die Bundesregierung Ende 2023 die Nationale Pharmastrategie beschlossen. Nichtsdestotrotz sieht auch Aschenberg-Dugnus das GKV-FinStG kritisch – zumal es im Pharmabereich keine exorbitanten Kostensteigerungen gegeben habe. „Wenn etwas eingeführt wurde und zu keiner Einsparung, sondern zu negativen Auswirkungen für die Patientinnen und Patienten geführt hat, dann ist es eine schlechte Maßnahme gewesen und dann müssen wir sie revidieren und zurücknehmen“. Daran arbeite man gerade, versprach sie mit Blick auf das Medizinforschungsgesetz, das nächste Woche im Bundestag beschlossen werden soll. Überhaupt würde sie bei Gesetzen gerne eine „Sunset-Klausel“ einführen. Das heißt: „Man gibt dem Gesetz eine bestimmte Frist und danach endet es automatisch.“ Verlängert wird es dann nur, wenn es seinen Zweck erfüllt.
Lösungen für GKV-Finanzierung: Kein Mangel an Ideen
Wie aber die GKV nachhaltig auf stabile Beine stellen? Reformvorschläge von Politik, Selbstverwaltung, Interessensverbänden, Gesellschaft und Wissenschaft gibt es einige: Seit 1998 sind es – ohne Redundanzen – 93 Stück, wie das Beratungsunternehmen Vandage gezählt hat. Doch für nur rund 12 Prozent wurde eine belastbare Quantifizierung des erwarteten Finanzierungseffekts durchgeführt, so Gesundheitsökonom Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld. Soll heißen: Letztlich weiß in der Mehrheit der Fälle niemand so genau, was die Maßnahmen bringen könnten.
Ein Vandage-Team in Zusammenarbeit mit Greiner und Volkswirt Prof. Dr. Eberhard Wille, Universität Mannheim, wollte das ändern und hat daher 5 Reformvorschläge ausgewählt, um sie einer Analyse zu unterziehen. Demnach sind besonders die Beiträge für Bürgergeldempfänger:innen ein Bereich mit „hohem Einsparpotenzial“, der gleichzeitig politisch als „eher konsensfähig“ gesehen wird. Sie gelten als versicherungsfremde Leistungen, die aus der Verantwortung der GKV ausgelagert werden und stattdessen aus Steuermitteln kommen könnten. Das Defizit für die Krankenkassen liegt laut Greiner hier zwischen rund 15 Milliarden und 18 Milliarden Euro pro Jahr (2024-2028).
Bislang haben die Reformen der laufenden Legislaturperiode in den Augen des Gesundheitsökonomen wenig zur finanziellen Stabilisierung beigetragen. „Es sind nun aber so gut wie alle Reserven verbraucht; die Beitragssätze sind auf Rekordniveau.“
GKV: Langfristige Strukturreformen sind gefragt
Aschenberg-Dugnus findet: „Wir müssen uns über alle Möglichkeiten unterhalten, weil so wie das System momentan ist, funktioniert es nicht mehr“. Sie denkt da unter anderem an verstärkte Prävention per Anreize, wie das beim Zahnbonusheft funktioniert.
Die Diskutanten auf der Veranstaltung waren sich außerdem einig: Es müssen langfristig wirksame Strukturreformen angegangen werden – doch für die braucht es erstmal Investitionen. „Das gehen wir an“, so die FDP-Frau. Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen zum Beispiel hinke Deutschland hinterher – die verabschiedeten Digitalgesetze adressieren das nun.
Anderes Thema: die geplante Krankenhausreform. „Die Zeit muss vorbei sein, in der jedes Krankenhaus jede Leistung anbieten und umsetzen darf“, erklärte Aschenberg-Dugnus. „Deswegen werden da Qualitätskriterien eingebaut.“ Thomas Moormann, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., ergänzte: „Im 25 Kilometer-Umfeld von Essen gibt es 75 Kliniken, die eine künstliche Hüfte einsetzen dürfen.“ Er resümierte: „Natürlich haben wir zu viele Krankenhäuser. Das geht so nicht weiter.“ Laut Stefan David, DIAKOVERE GmbH, sind die Krankenhäuser durchaus offen für eine neue Ausrichtung. „Wir werden in 10 Jahren gar nicht das Personal haben, um die Boomer-Generation zu versorgen, wenn wir in den Strukturen weiterarbeiten.“ Doch der Reformprozess müsse aktiv gestaltet und mit einem Plan angegangen werden. Er plädierte zudem dafür, die „Sektorenmauern einzureißen“.
Und Politikerin Aschenberg-Dugnus ergänzte: „Wir bringen jetzt auch die Notfallreform auf den Weg. Das ist – flankierend mit der Krankenhausreform – ganz wichtig, dass man steuert, indem da eine Stelle ist, die eine Ersteinschätzung der Patientinnen und Patienten macht, ob sie überhaupt ein Fall für die Klinik oder doch eher für die ambulante Medizin sind.“
Thomas Moormann fasste die Notwendigkeit umfassender Reformen wie folgt zusammen: „Wir haben genügend Geld im System – aber wir setzen es falsch ein. […] Die Strukturen und Prozesse sind nicht gut organisiert.“
Gesundheitsversorgung ganzheitlich denken
Es ist eine Mammutaufgabe, die Deutschland in Bezug auf sein Gesundheitswesen bewältigen muss. Moderatorin Inga Bergen, Digital Health- und Innovationsexpertin, sprach sich dafür aus, dass sich das Bundesgesundheits-, das Wirtschafts-, das Finanzministerium bei all diesen Themen zusammentun – um stets sektorenübergreifend zu evaluieren, „was bringt das für die Gesundheit, für den Zugang zur Gesundheitsversorgung, für die Gesundheitskompetenz, für die Finanzierung und auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ Gesundheit ganzheitlich denken – mit Blick auf die Menschen, die Wissenschaft, die Ökonomie – das ist das A und O für eine wirklich nachhaltige GKV-Reform.
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