Operation, Chemotherapie, Bestrahlung – das war lange das Standard-Instrumentarium zur Behandlung von Menschen mit Lungenkrebs. Und: Lange Zeit behandelten Ärzt:innen auch nur 2 Formen von Lungenkrebs – den kleinzelligen und nicht-kleinzelligen. Das ist heute anders. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Tumore auch von genetischen Veränderungen getrieben werden können. Beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) – er ist für rund 85 Prozent der Lungenkrebsfälle verantwortlich – sind es Tumormutationen, die von der Wissenschaft zum Beispiel auf KRAS, EGFR, BRAF, ALK oder ROS-1 getauft wurden (s. Pharma Fakten).
Sie zu adressieren ist Ziel der Arzneimittelforschung. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) schreibt dazu: „Diagnostik und Therapie maligner Erkrankungen befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Krebs spaltet sich zunehmend in eine Vielzahl verschiedener Erkrankungen auf, jede mit einzigartigen Merkmalen. Grundlage jeder therapeutischen Maßnahme ist eine differenzierte Diagnostik, darauf aufbauend die gezielte Therapie. Eine zunehmende Rolle spielt die Molekulardiagnostik.“
Lungenkrebs: Vorteile der zielgerichteten, personalisierten Medizin
Seit dem Jahr 2009 stehen Patient:innen Arzneimittel wie Tyrosinkinase-Hemmer zur Verfügung. Die Voraussetzung, dass sie sinnvoll zum Einsatz kommen, ist ein molekularpathologischer Test. Erst durch ihn wird sichtbar, ob die betroffenen Menschen von diesen präzise wirkenden Arzneimitteln profitieren können oder nicht. Ungefähr ein Viertel der Patient:innen hat eine entsprechende genetische Anomalie.
Die zielgerichtete, personalisierte Behandlung – das zeigt eine Studie aus Peru – ist dem klassischen Behandlungsschema überlegen. progressionsfreies Überleben, definiert als Zeitraum vom Beginn einer Studie bis zum Fortschreiten der Krankheit, sowie das Gesamtüberleben sind deutlich höher als nach Chemotherapie. Patient:innen profitieren auch von einer besseren Lebensqualität: „Zielgerichtete Therapie ist normalerweise weniger toxisch als Chemo- oder Immuntherapie“, schreiben die Wissenschaftler:innen einer niederländischen Studie. Und stellen fest, dass bessere Lebensqualität mit höheren Überlebensraten eng zusammenhängen kann.
Auswertungen aus Krankenregisterdaten haben gezeigt, dass es mehr als 10 Jahre nach Einführung des ersten Tyrosinkinase-Hemmers immer noch große Testlücken gibt. So waren nur 72,5 Prozent der Patient:innen mit einem fortgeschrittenen NSCLC auf eine EGFR- und 74,5 Prozent auf eine ALK-Mutation getestet worden – und noch weniger auf ROS-1 (66,1 %), PD-L1 (64,5 %) oder BRAF (53 %).
Lungenkrebs: Die molekularen Testraten sind zu niedrig
Solche Testraten kann man für eine guten Wert halten – zumal sie im internationalen Vergleich relativ hoch sind. Aber im Umkehrschluss bedeutet es, dass zwischen 25 und 50 Prozent der Patient:innen nicht getestet werden. Sie werden dann wohl mit einer Chemotherapie und Operation behandelt – und nie erfahren, ob für sie eine zielgerichtete Therapie in Frage gekommen wäre. Den Anspruch der Menschen auf die bestmögliche Versorgung erfüllt diese Situation nicht – und das aus relativ banalen, strukturellen Gründen.
Woran das liegt, darüber wird schon länger diskutiert. Ein Grund könnte sein, dass die Finanzierung der Tests gerade im stationären Bereich noch immer nicht flächendeckend geklärt ist – mehr als 10 Jahre nach Einführung von Arzneimitteln, die schwerkranken Menschen nachweislich ein längeres und besseres Leben bieten können.
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