
An Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben in Deutschland mehr Menschen als an jeder anderen Erkrankung. „33 Prozent der Todesfälle gehen auf diese Ursache zurück“, erklärte Dr. Georg Kippels, Rechtsanwalt, CDU-Mitglied und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, gleich zu Beginn seines Eröffnungsvortrags. Er selbst habe erst kürzlich „einen Berufskollegen, einen Ausdauersportler im Alter von 50 Jahren verloren, der während eines Trainingslaufs zusammengebrochen ist. Hinterwandinfarkt.“ Die Herzgesundheit sei „ein brennendes, ein wichtiges Problem, das wir angehen müssen.“
Doch wie könnte das konkret aussehen? Die neue Regierung ist erst seit Kurzem im Amt und Kippels wollte der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken nicht vorgreifen. Eines jedoch konnte er schon vorab mit Gewissheit sagen: Das vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplante „Gesunde-Herz-Gesetz“ wird nicht kommen. „Wir werden uns mit diesem Gesetzentwurf nicht mehr beschäftigen“, so Kippels, „weder im Detail noch noch in Einzelregelungen.“
Neue Regierung streicht Gesundes-Herz-Gesetz
Eigentlich schade – fanden zumindest die anwesenden Kardiologen und auch die per Video zugeschaltete Patientenvertreterin. Denn: „Mit diesem Gesetz waren wir auf dem richtigen Weg“, so Rita Mirz-Bierbaum, ehrenamtliche Beauftragte der Deutschen Herzstiftung. Und Prof. Ulrich Laufs, Leiter der Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig, ergänzte: „Das Gesetz enthielt wichtige Komponenten“ – eine davon war ein flächendeckend geplantes Cholesterin-Screening, das bei Modellprojekten in Bayern und Niedersachsen sehr erfolgreich war. Durch das Screening, das pro Test einen Euro kostet, wurden Schulkinder identifiziert, die an familiärer Hypercholesterinämie leiden, einer genetisch bedingten Erkrankung, die nichts mit den Ernährungsgewohnheiten zu tun hat. Davon betroffen ist eines von 250 Kindern, oft auch ein Elternteil. „Eine Prävalenzrate von 1:250 ist relativ viel“, fügte Laufs hinzu – zumal bei einer Erkrankung, die sich wunderbar behandeln lasse, die aber ohne Behandlung oft tödlich endet.
Wichtigster Kritikpunkt an Lauterbachs Gesetz war die Tatsache, dass es Kardiologen leichter gemacht werden sollte, Cholesterinsenker, so genannte Statine, zu verschreiben. Das fanden und finden die Kardiologen gut, nicht aber andere Fachgruppen, die ebenfalls zur Herzgesundheit beitragen können, die ihre Interessen aber nicht berücksichtigt sahen. „Die Geschichte hat das Gesetz überrollt“, so Laufs lakonisch, was aber nichts an der Tatsache ändere, dass kardiovaskuläre Prävention wichtig sei, zumal sie nicht nur die Gesundheit schütze, sondern auch Gesundheitskosten spare.
Lebensstil versus Medikamente

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Prävention fürs Herz: Gesunder Lebensstil und vorsorgliche Behandlung mit Medikamenten wie Statine oder Blutdrucksenker. Gesunder Lebensstil bedeutet: Rauchverzicht, viel Bewegung, gesunde Ernährung. Das wissen im Grunde alle und dennoch gibt es Möglichkeiten, jeden dieser Faktoren zu unterstützen. Zum Beispiel „durch einen niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung und eine persönliche Ansprache, eine individuelle Betreuung“, so Dr. Sandra Blumenthal, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Berlin und Brandenburg. Sie selbst nehme sich Zeit für diese Beratung, aber das sei „eine Art Hobby“, das nicht bezahlt werde. Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, empfahl, so früh wie möglich mit der Prävention zu beginnen, denn oft seien spätere Herzprobleme schon in der Kindheit angelegt. „Wir müssen Gesundheitskompetenz ganz früh vermitteln“, so Voigtländer – in Hessen seien entsprechende Programme erfolgreich in der 7. Schulklasse eingeführt worden.
„Unter Jugendlichen bahnt sich eine Katastrophe an“
Das mit Abstand größte Risiko fürs Herz entsteht durch das Rauchen. Hier bahnt sich derzeit unter Jugendlichen eine „echte Katastrophe an“, warnten die Kardiologen Laufs und Voigtländer unisono. „Wir haben im Windschatten der Corona-Pandemie eine dramatische Zunahme im Rauchverhalten der 14- bis 17-Jährigen“, warnte Laufs und Voigtländer präzisierte: „Hier geht es auch ums Vapen“ – also den Griff zur E-Zigarette. Andere Länder, wie Neuseeland, zeigten, wie sich dieses Problem in den Griff bekommen ließe: Rauchen teurer machen und den Zugang erschweren. Laufs: „Es gibt belastbare Studien aus anderen Ländern, dass die Entfernung zum nächsten Zigarettenautomaten damit korreliert, wie viel geraucht wird. Und auch die Tabaksteuer ist nachweislich wirksam.“ Und fast schon verzweifelt fügte er hinzu: „Uns muss die Gesundheit doch wichtiger sein als die Interessen einer bestimmten Lobby.“ Rainer Herrmann, Vorstandsvorsitzender des Nichtraucherbundes Berlin, schlug vor, Tabak und Alkohol mit zweckgebundenen Abgaben zu belegen: „Wenn wir ein Päckchen Zigaretten um 10 Euro teurer machen, dann könnten wir damit die Behandlung tabakbedingter Erkrankungen finanzieren“ – beim Alkohol müssten entsprechend 25 Cent auf jede Flasche Bier draufgeschlagen werden.

Während Rauchverzicht und Sport die Herzgesundheit eindeutig verbessern, ist die Lage bei gesunder Ernährung nicht ganz so eindeutig. Ulrich Laufs mahnte, hier wissenschaftlicher zu denken und „die Faktoren Rauchen, Bewegung und Ernährung nicht in eine Kiste zu stecken.“ Beim Rauchverzicht sei die Sache klar, aber „bei der Ernährung wird es komplizierter – denn Cholesterin wird über die Ernährung eben nicht oder nur indirekt reguliert.“ Die Cholesterinwerte seien nicht nur Folge falscher Ernährung, sondern auch „ererbt und genetisch bedingt. Die Umstellung von einer Mischkost auf eine vegane oder vegetarische Ernährung senkt im Mittel das Cholesterin nur um 10 Prozent – da müssen wir aufpassen, dass wir durch Ernährungsvorgaben nicht die Lebensqualität tangieren, ohne, dass wir damit etwas am LDL-Cholesterin als Zielgröße verändern können.“
Herztod verhindern, Gesundheitskosten sparen
Einig war sich die Expertenrunde letztendlich darin, dass sowohl Medikamente als auch ein gesunder Lebensstil zur Herzgesundheit beitragen können. Und was die Einsparungen angeht, so machte Afschin Gandjour, Professor für Health Management an der Frankfurt School of Finance & Management, folgende Rechnung auf: „Wir haben in Deutschland etwa 600.000 kardiovaskuläre Ereignisse pro Jahr – Herzinfarkte, Schlaganfälle, plötzlicher Herztod. Etwa 100.000 davon ließen sich je zur Hälfte durch Optimierung von Statinbehandlungen und Lebensstilveränderung verhindern. Die Gesamteinsparungen liegen dabei pro Jahr im dreistelligen Millionenbereich.“
Jetzt muss die Politik nur noch umsetzen, was Staatssekretär Kippels als neue Überschrift für das Tagesspiegel-Fachforum vorschlug: „Politik mit Herz fürs Herz.“
Das Tagesspiegel-Fachforum wurde unter anderem unterstützt von den Pharma-Unternehmen Amgen, Astra Zeneca, Lilly und Novartis.
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