Prävention ist, wenn Maßnahmen ergriffen werden, um eine Krankheit zu vermeiden – zum Beispiel Sport zu treiben, um das Herz zu stärken. Bei der Früherkennung sind die Betroffenen bereits Patient:innen. Die Krankheit ist da, aber sie ist noch in einem frühen Stadium. Der Vorteil: Je früher eine Diagnose erfolgt, desto erfolgreicher lässt sie sich in der Regel bekämpfen.
Beide Konzepte haben eines gemeinsam: Diese Chancen für die individuelle und gesamtgesellschaftliche Gesundheit werden in Deutschland zu wenig genutzt – eine Tatsache, die sich durch die Pandemie noch verstärkt hat. Die Folgen: Es entsteht unnötiges Leid. Und es entstehen hohe Kosten, die mit der Verschlimmerung des Gesundheitszustandes nur eine Richtung kennen: Sie gehen nach oben. Es ist eine der vielen Eine-Million-Dollar-Fragen im Gesundheitssystem, die Moderator Thomas Trappe, Redaktionsleiter beim Tagesspiegel, auf einer Veranstaltung seiner Zeitung in Berlin, stellte: „Zahlen wir Geld dafür, dass wir Menschen gesund erhalten, oder dafür, dass wir die Krankheiten heilen?“ Auf dem Event diskutierten Gesundheitsexpert:innen über den „Wert von Prävention und Früherkennung – am Beispiel der Niere.“ Unterstützt wurde das vom forschenden Arzneimittelhersteller AstraZeneca.
Niereninsuffizienz: Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle
Die Niere ist nahezu ein perfektes Beispiel, um die Sinnhaftigkeit von Investitionen in Krankheitsvermeidung zu diskutieren. Viele Menschen sind betroffen – und die meisten davon, ohne es zu wissen. Die Krankheit entwickelt sich unbemerkt, weil zunächst symptomlos. Es gibt einen Katalog von Faktoren, die zumindest einen Fingerzeig geben, dass es Sinn macht, die Nierenfunktion zu testen – wie zum Beispiel Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes (Pharma Fakten berichtete). Unbehandelt ist die CKD ein erhebliches Risiko für Herzinfarkte, Herzinsuffizienz oder Schlaganfälle. Sie gilt zudem als die teuerste aller chronischen Erkrankungen. Sie einzudämmen macht also schon aus finanziellen Gründen Sinn.
Andererseits ist die CKD leicht zu diagnostizieren, so Professor Dr. Werner Riegel von der Deutschen Nierenstiftung. „Da ist der Blutwert eGFR, mit dem die Filtrationsrate der Niere bestimmt werden kann – das macht jedes Labor – und der UACR-Wert aus dem Urin.“ Außerdem stehen, so der Nephrologe, Therapien zur Verfügung. „Die Krankheit kann in ihrem Fortschreiten gebremst werden. In der Anfangsphase kann sie sogar manchmal geheilt werden.“ Deshalb sei es wichtig, die Niereninsuffizienz früh zu diagnostizieren. „Sie ist eine unbekannte Volkskrankheit. Wir brauchen Aufklärung und Prävention“, so Prof. Riegel. „Eine gesunde Niere schützt das Herz und die Gefäße.“ Die Nierenstiftung hat deshalb eine Kampagne gestartet. Das Ziel von ZWEIfürZWEI (2 Werte, 2 Nieren) ist es, durch gezieltes Testen von eGFR und UACR die Menschen mit einer CKD früh zu identifizieren. Die meisten Menschen, so die Erfahrung von Isabelle Jordans vom Bundesverband Niere, erfahren von ihrer Krankheit, wenn „die Hälfte der Nierenfunktion bereits abhandengekommen ist: ein erschreckender Zeitpunkt.“
Prävention und Früherkennung stärken: Aber wie?
Die Nierengesundheit stärken? Auf dem Papier klingt das einfach: 2 Werte erfassen, beurteilen, entsprechend handeln. Doch im Check-up, den zum Beispiel die Kassen anbieten, ist das nicht vorgesehen. Der sei sehr „herzzentriert“, beklagt Anke Richter-Scheer vom Hausärzteverband Westfalen-Lippe. Es hängt also davon ab, wie sehr behandelnde Mediziner:innen die Niere auf dem Schirm haben. Einen festen Teil in der Regelversorgung nimmt der Test der beiden Werte nicht ein. Dr. Gerhard Schillinger vom AOK-Bundesverband begründet das mit fehlender Evidenz: „Wenn man das in die Früherkennung aufnehmen will, dann muss man auch die Studien vorlegen, die zeigen, dass von der Untersuchung über die Erkennung zur Behandlung ein Vorteil erkennbar ist.“ Solche Studien gäbe es nicht. Die Leitlinie der International Society of Nephrology empfiehlt ein breiteres Screening auf chronische Nierenerkrankungen mittels eGFR und UACR. Und auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin hat 2018 die Aufnahme von eGFR in den Check-Up 35 gefordert.
SPD-Gesundheitspolitiker Dr. Andreas Philippi, der auch eine chirurgische Praxis betreibt, meint: „50 Prozent der Menschen verstehen nicht, was Prävention bedeutet. Die brauchen jemanden – zum Beispiel den Hausarzt – der sie durch die Prävention durchführt.“ Gefragt seien mehr niederschwellige Angebote. Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach plant dafür den Aufbau von 1.000 Gesundheitskiosken. Sie sollen „den Zugang zur Versorgung der Patientinnen und Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf verbessern und die Versorgung koordinieren.“ Dr. Philippi unterstreicht: „Prävention ist nichts, was von der Bundesregierung verordnet werden kann, sondern ein gesellschaftlicher Prozess.“
Prävention lebt auch vom Mitmachen. Mit Blick auf die Teilnahmequoten von Erwachsenen an Vorsorgeuntersuchungen sagt Karin Maag vom Gemeinsamen Bundesausschuss: „Wenn alle so mitmachen würden wie die Eltern mit ihren Kindern, dann würden Krankheiten früher erkannt und das Gesundheitssystem deutlich entlastet.“ Die U-Untersuchungen für Kinder haben Teilnahmequoten von rund 95 Prozent, so die Gesundheitsexpertin. Bei den Erwachsenen sind Quoten von 50 Prozent schon ein großer Erfolg – und eher selten.
Ein Masterplan für ein Mehr an deutscher Nierengesundheit – der wurde auf der Veranstaltung des Tagesspiegels nicht gefunden. Aber die Erkrankung wäre geradezu prädestiniert dafür, eine Präventions- Früherkennungsstrategie als Pilotprojekt zu entwickeln, umzusetzen und wissenschaftlich zu begleiten. Dass sich das lohnen würde, liegt auf der Hand: Es geht um die Gesundheit von rund einem Zehntel der Bevölkerung. Und: Mit über 12 Milliarden Euro Gesamtkosten der CKD allein in Deutschland wäre es auch vor dem Hintergrund der nachhaltigen Finanzmisere der gesetzlichen Krankenkassen ein sinnvoller Sparansatz.
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