Um Fakten als Rückgrat der Demokratie geht es in einer Petition von drei Wissenschaftler:innen aus Heidelberg – wir haben mit Ihnen gesprochen. Foto: Prof. Dr. Stefan Pfister (li.), Prof. Dr. Dr. Eva Winkler (mittig), Prof. Dr. Frank Winkler (re.)
Um Fakten als Rückgrat der Demokratie geht es in einer Petition von drei Wissenschaftler:innen aus Heidelberg – wir haben mit Ihnen gesprochen. Foto: Prof. Dr. Stefan Pfister (li.), Prof. Dr. Dr. Eva Winkler (mittig), Prof. Dr. Frank Winkler (re.)

Petition von Wissenschaftler:innen: „Fakten sind das Rückgrat unserer Demokratie“

Wissenschaftler:innen kämpfen für Demokratie: Drei Heidelberger Onkolog:innen haben im Internet eine Petition gestartet, in der es um Fakten geht und darum, die Demokratie zu schützen. Weshalb das so wichtig ist und worauf es dabei ankommt, das erklären Prof. Dr. Dr. Eva Winkler, Prof. Dr. Frank Winkler und Prof. Dr. Stefan Pfister im Interview.

Worum geht es in Ihrer Petition: „Fakten sind das Rückgrat unserer Demokratie“?

Prof. Dr. Dr. Eva Winkler: In unserem Land und auf der Welt sind gerade sehr komplexe Probleme zu lösen – und dazu ist es extrem wichtig, sich auf eine Wissenschafts- und Tatsachenorientierte Politik zu konzentrieren. Es ist eben nicht gleichgültig, ob man sich auf Tatsachen oder auf Meinungen beruft, etwa bei der Frage, ob es einen menschengemachten Klimawandel gibt oder nicht. Man kann ja gerne darüber streiten, was gute Lösungen sind, aber es ist schwierig, wenn man sich gar nicht auf eine Evidenzbasis einigen kann und sie auch gar nicht mehr sucht. Wir rufen in unserer Petition dazu auf, solche Parteien zu wählen, die Fakten zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen.

Prof. Dr. Stefan Pfister: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir sagen: Auch wir Wissenschaftler müssen unsere Stimme erheben. Wir können nicht mehr neutral bleiben. Dabei geht es uns nicht darum, parteipolitisch zu argumentieren, sondern darum, für ein gesellschaftliches Prinzip einzutreten, das sich an Fakten orientiert und davon ausgehend verschiedene Lösungsansätze sucht. Wenn wir gerade sehen, was die Executive Orders des amerikanischen Präsidenten mit sich bringen, dann herrschen auch in der größten Demokratie der Welt inzwischen Zustände, die wir vor 10 Jahren noch für völlig undenkbar gehalten hätten. Wir haben heute zum Beispiel die Nachricht bekommen, dass unser Zugang zum NIH gesperrt wurde, also zu den National Institutes of Health in den USA, die sich insbesondere um biomedizinische Forschung kümmern. Das ist ein Beispiel für die Konsequenzen aus dieser gesellschaftlichen Entwicklung – sie verhindert letztlich auch, dass wir Wissenschaftler:innen Evidenz, Argumente und Wissen austauschen können. Wir können einfach nicht mehr sagen: „Nun ja, wir sind neutral und machen weiter unser Ding.“ Sondern es wird an unser aller Ast gesägt. Damit ist ein Kipppunkt erreicht, an dem wir nicht mehr ruhig unsere Arbeit machen können, ohne fundamentale Fragen zu stellen.

Links Prof. Pfister, Mitte Frau Prof. Winkler, rechts Herr Prof. Winkler
Links Prof. Pfister, Mitte Frau Prof. Winkler, rechts Herr Prof. Winkler

Warum tun Sie das in Form einer Petition und warum haben Sie diese Petition gerade jetzt gestartet?

Prof. Dr. Frank Winkler: Weil wir getrieben sind von brennender Sorge um die Entwicklung unseres Landes hin zu immer mehr autoritären, nationalistischen Tendenzen – und eben auch wissenschaftsfeindlichen Tendenzen. Das geht ja Hand in Hand. Es ist nicht zufällig so, dass Menschen mit antidemokratischen, autoritären, faschistischen Vorstellungen die Wissenschaft als Feind ansehen. Es gibt eine große Schnittmenge zwischen Menschen, die etwa das System Putin großartig finden und den härtesten Corona-Leugnern. Das ist alles sehr stark verbunden.

Auch Wissenschaftler:innen können sich irren – weshalb sind Fakten trotzdem so wichtig?

Frank Winkler: Keine Frage, Fakten müssen immer wieder überprüft werden und sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Das behaupten wir gar nicht, denn es gibt immer wieder neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die für eine veränderte Faktenbasis sorgen. Aber immerhin hat man eine Basis, auf der man sich verständigen kann. Aber wenn ich eine Gesellschaft autoritär oder faschistisch führen möchte, dann sind Fakten hinderlich. Wir erleben das gerade in den USA und sehen auch eine ganz unmittelbare Gefährdung für unsere Arbeit, für die Wissenschaft und damit auch für das, was unser Land in besonderem Maße stark macht. Bei der jetzt anstehenden Bundestagswahl besteht die Gefahr, dass Parteien immer mehr Aufwind bekommen, die wir als Bedrohung ansehen müssen – nicht nur für uns persönlich, sondern für die Wissenschaft, für den Fortschritt, aber auch für unsere Patientinnen und Patienten.

Eva Winkler: Das betrifft nicht nur unsere Forschungsprojekte und die Innovationen, die daraus entstehen, sondern auch gesundheitliche Information und Aufklärung. In den USA sind gerade bei einer der größten infektiologischen Government-Institutionen alle Webseiten abgeschaltet worden, die über HIV, über Frauengesundheit, über Gender-Medizin aufklären. Viele haben noch versucht, Kopien dieses Informationsmaterials zu erstellen, das für Patientinnen und Patienten entwickelt wurde. Es sollte Menschen aufklären und ihnen gute Entscheidungen ermöglichen. Wenn man Parteien in Regierungsverantwortung hat, die diese Dinge nicht haben wollen, dann sieht man, wie schnell sie weg sind. Und dann fehlen plötzlich Informationsbestände, die fundiert und wissenschaftlich abgesichert zur Verfügung gestellt werden. Das betrifft letztlich alle Bürger:innen. Das hätten wir uns nicht vorstellen können, dass die Eingriffstiefe so schnell so essenziell sein würde.

Aber sehen Sie tatsächlich das Risiko, dass so etwas auch in Deutschland passieren kann?

„Fakten sind das Rückgrat unserer Demokratie“
Deutschland: Ist die Demokratie gefährdet? Foto: ©iStock.com/Animaflora

Eva Winkler: Es ist eine Sorge, auch wenn wir hier ein besser organisiertes Wissenschafts- und Gesundheitssystem haben als in den USA. Aber es darf eben nicht so weit kommen, dass in der Regierung Parteien mitreden, die eine ähnliche Einstellung haben wie die jetzige Regierungspartei in den USA – die Informationen und Forschung zum Beispiel zu Frauengesundheit und Kontrazeption nun einstellt, weil sie offensichtlich grundsätzliche Frauenrechte beschneiden will.

Stefan Pfister: Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, ÖVP und FPÖ werden in Österreich zusammen regieren, dann hätte ich gesagt: „Niemals, die sind doch ganz klar angetreten mit der Maßgabe, dass so etwas nie passieren wird.“ Jetzt sah es lange so aus, als würde es in Österreich einen Kanzler geben, der nicht anders tickt als Trump. Deswegen glaube ich nicht, dass wir es uns noch leisten können, zu sagen: „Bei uns wird das schon nicht passieren.“ Sondern es ist höchste Zeit, zu überlegen, was wir tun können, um so etwas zu verhindern.

In Ihrer Petition heißt es wörtlich: „Unterstützen Sie Parteien, die Komplexität ernst nehmen, sich Fakten verpflichtet fühlen, die darauf basierend Lösungen im Diskurs entwickeln und demokratisch, kompromiss- und koalitionsfähig sind“ – auf wie viele der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien trifft das zu?

Frank Winkler: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Wir haben unsere Petition vor der Abstimmung im Bundestag geschrieben, bei der die AfD für eine Mehrheit sorgen durfte. Das hat uns wirklich erschüttert, aber auch darin bestärkt, dass unsere Petition sinnvoll und notwendig ist. Wir brauchen Parteien, die sich zu den Grundwerten unseres Landes bekennen, zu unserer Verfassung und zu demokratischen Prozessen. Und wir können alle nur hoffen, dass dies für möglichst viele Parteien gilt. Bei der AfD wissen wir: Sie macht keine konstruktive Politik, sondern sie will unser demokratisches System und unseren Humanismus zerstören.

Eva Winkler: Zumindest haben alle demokratischen Parteien nach dieser erschütternden Woche signalisiert: Das war nicht das letzte Wort und wir sind bereit, in Koalitionsverhandlungen zu gehen. Im besten Fall hatte diese Abstimmung den Effekt, sich zurück zu besinnen auf das, was Parlamentarismus ausmacht – und das ist eben Kompromissfähigkeit.

Faschismus vergiftet die Debatte
Faschismus: „Wie eine Infektion, die um sich greift.“ Foto: ©iStock.com/Ca-ssis

Frank Winkler: Aber wir sehen: Wenn es eine zumindest in Teilen faschistische Partei gibt wie jetzt die AfD, dann vergiftet das die ganze Debatte. Das ist wie eine Ansteckung, wie eine Infektion, die um sich greift. Und wir erleben jetzt leider, dass bestimmte Parteien die Themen setzen und andere Parteien vor sich hertreiben. Da sollten wir schon einen Blick in die Geschichte werfen: Die Machtergreifung der NSDAP erfolgte nach einer Reichstagswahl im November 1932, bei der sie exakt 33,1 Prozent der Stimmen holte. Von dieser Prozentzahl sind wir leider nicht mehr allzu weit entfernt.

Stefan Pfister: Wir hören jetzt immer wieder, dass gerade Leute, die nun von der CDU enttäuscht sind, sagen, dann gehe ich lieber gar nicht wählen. Das ist aber das Schlechteste, was passieren kann – denn die AfD-Anhänger gehen alle wählen. Am Ende ist es fast egal, welche von den demokratischen Parteien wir wählen – Hauptsache nicht die, die unsere Demokratie und unseren Staat in Frage stellen und zerstören wollen. Wir möchten mit unserer Petition möglichst viele Menschen mobilisieren, wählen zu gehen.

Eva Winkler: Das ist unser eigentliches Ziel.

Deshalb haben Sie ja Ihrer Petition einen „Wahlaufruf an alle!“ vorangestellt.

Eva Winkler: Ja, egal welche demokratische Partei ihr wählt, aber geht wählen. Es geht uns nicht darum, Parteipolitik für eine bestimmte Partei zu machen.

Im ersten Punkt der Petition wenden Sie sich gegen Falschmeldungen im Internet. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das tatsächlich wirkungsvoll bekämpft wird?

Stefan Pfister: Es ist leider so, dass in den so genannten sozialen Medien nach dem lautesten Schrei selektiert wird und nicht nach dem Wahrheitsgehalt. Das bauscht sich dann immer schneller auf und viele Menschen bekommen irgendwann in ihrer Blase nur noch bestimmte Meldungen.

"Soziale" Medien?
Soziale Medien verstärken die selektive Wahrnehmung. Foto: ©iStock.com/Sitthiphong

Eva Winkler: Ich glaube, wenn das in der Petition erwähnte Digitale-Dienste-Gesetz wirklich umgesetzt wird, dann ist das tatsächlich eine Möglichkeit, an die eigentlichen Stellschrauben zu kommen. Weil man dann die Firmen zwingen kann, offen zu legen, wie sie ihre Algorithmen und Informationen priorisieren. Unsere Sorge ist aber, dass dieses eigentlich sehr wirkungsvolle Gesetz nicht mit ganzer Kraft umgesetzt wird – denn mit den großen Tech-Konzernen gibt es enorm starke Gegenspieler. Die EU ist da eine gewisse Bastion, aber sie darf nicht einknicken.

Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Resonanz auf Ihre Petition? Was hat Sie positiv überrascht, was negativ?

Eva Winkler: Wir sind eher positiv überrascht. Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen bekommen von Wissenschaftler:innen, aber auch von Bürger:innen. Es gab auch Rückmeldungen, die uns veranlasst haben, den Text nachzuschärfen und klar zwischen Fakten und Meinung zu unterscheiden.

Stefan Pfister: Es gab auch krasse Rückmeldungen mit dem Tenor: „Ihr pharmagesponserten, reichen Ärzte braucht uns nicht zu erklären, wie die Welt funktioniert.“ Aber insgesamt haben wir das Gefühl, dass wir einen Diskurs ausgelöst haben zwischen Leuten, die diesen Diskurs führen wollen. Das alleine ist ja ein Mehrwert.

Wie geht es weiter, wenn die Petition abgeschlossen ist und die Bundestagswahlen vorbei sind? Was sind dann Ihre nächsten Schritte?

Eva Winkler: Wir haben das nicht alles bis zum Ende durchgeplant, als wir die ersten Texte verfasst haben – wir sind ja berufstätig und machen das meistens am späten Abend. Kurzfristig vor der Wahl möchten wir viele Menschen motivieren, hinzugehen. Das ist unser erstes Ziel. Ein nachgeschaltetes Ziel wäre dann, mit anderen Menschen aus dem Wissenschaftssystem, aber auch aus Kultur und Wissenschaftsjournalismus, zusammenzuarbeiten und nachhaltige Formate zu entwickeln, die dazu beitragen, die Wissenschaft vor solchen Eingriffen zu schützen. Wir könnten uns auch vorstellen, ein bisschen mehr in Formaten präsent zu sein, in denen wir zeigen können, wie Wissenschaft arbeitet.

Stefan Pfister: Ich hatte kürzlich zum Beispiel eine Vorlesung vor 250 Studierenden und habe dort dazu aufgerufen, an einer Mitmach-Aktion teilzunehmen, die an mehreren Universitäten geplant war. Es gab viel Interesse, wir haben ja in Heidelberg sehr viele Studierende, von denen übrigens ungefähr 50 Prozent nicht deutsch sind. Gerade in so einer Gruppe sieht man, wie verunsichert viele schon sind, ohne, dass ihnen konkret etwas passiert ist oder etwas droht. Aber da ist einfach eine Unsicherheit zu spüren. Sie fragen dann, ob es passieren kann, dass sie plötzlich nicht mehr hier studieren dürfen. Letztendlich haben wir gerade in der Wissenschaft einen massiven Benefit von Fachkräftezuwanderung, wenn man es so nennen will. Es ist unsere Verantwortung, von dieser guten Erfahrung zu erzählen, die wir damit gemacht haben und immer noch machen. Bei mir in der Abteilung sitzen ungefähr 25 Nationalitäten. Und das funktioniert hervorragend.

Frank Winkler: Langfristig sehen wir uns nicht als außerparlamentarische Opposition, sondern wir möchten im bestehenden System mitarbeiten. Gut möglich, dass wir nach der Wahl aktiv in der einen oder anderen Partei mitmachen und dort versuchen, eine gute, resiliente und zukunftsgerichtete Wissenschaftspolitik zu entwickeln.

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