
Pflege- und Gesetzliche Krankenversicherung haben massive strukturell bedingte Finanzprobleme. Was sind die Pläne, um das in der nächsten Legislaturperiode in den Griff zu bekommen?
Dr. Christos Pantazis: Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung zwar mittelfristig stabilisiert und das prognostizierte Defizit von 17 Milliarden Euro durch gezielte Maßnahmen ausgeglichen, doch die finanzielle Lage der GKV hat sich in den Folgejahren weiter verschlechtert. Hauptursachen sind hohe Ausgaben und das Ausbleiben notwendiger struktureller Reformen – trotz der finanziellen Spielräume vergangener Wahlperioden. Diese ungenutzten Effizienzpotenziale müssen dringend ausgeschöpft werden.
Um eine finanzielle Überforderung in der Pflegeversicherung zu verhindern, ist es essenziell, hohe Eigenanteile – insbesondere in der Langzeitpflege – auf maximal 1.000 Euro zu begrenzen. Gleichzeitig muss eine umfassende, qualitativ hochwertige Versorgung sowohl in der häuslichen Pflege als auch in Pflegeheimen gewährleistet sein. Dies gelingt nur mit einem gemeinsamen, solidarisch finanzierten Pflegesystem, das die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung überwindet.
Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung sind Reformen notwendig. Ein zentraler Hebel ist die Auflösung der starren Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Nicht jede Behandlung muss stationär erfolgen – dies bindet wertvolle personelle und materielle Ressourcen und treibt die Kosten in die Höhe.
Darüber hinaus setze ich mich dafür ein, dass versicherungsfremde Leistungen, insbesondere die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge für Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger, nicht aus Beiträgen, sondern aus Steuermitteln finanziert werden. Schließlich ist die Daseinsvorsorge eine staatliche Aufgabe. Gleichzeitig sollte der Kreis der Beitragszahler erweitert werden. Die Einbeziehung weiterer Gruppen wie Beamter und Selbstständiger in die gesetzliche Krankenversicherung würde die Einnahmenseite erheblich stärken und langfristig zur Stabilisierung der Finanzsituation beitragen.

Sind Spargesetze mit dem Fokus auf Arzneimittel geplant?
Pantazis: Nein. Ziel muss es sein neben der Sicherung des Zugangs zu Arzneimitteln auch die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherungen zu stabilisieren.
Wollen Sie die Umsetzung der Nationalen Pharmastrategie, welche die Ampel-Regierung auf den Weg gebracht hat, weiterführen?
Pantazis: Ja, die Fortführung ist selbstverständlich gewünscht. Das Medizinforschungsgesetz war ein wichtiger Schritt, um die Abhängigkeit von fragilen Lieferketten zu reduzieren. Unsere Unabhängigkeit von globalen Lieferketten muss weiter gestärkt werden. Entscheidend ist dabei die Förderung Deutschlands als Forschungs- und Produktionsstandort. Ebenso trägt der Abbau bürokratischer Hürden zur Stärkung der Arzneimittelforschung und -produktion bei. In diesem Zusammenhang sollte auch die EU-Pharmastrategie weiterhin im Fokus bleiben.
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