
Das Motto lautet: „Exploring the secrets of life“. Das European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg, kurz: EMBL, steht für nichts weniger als bahnbrechende Forschung; es ist eines der wichtigsten biomedizinischen Institute weltweit. Insofern war der Ort richtig gewählt, um den Transforming Science Day zu veranstalten, gut 2.000 vor allem junge Wissenschaftler:innen hatten sich angemeldet. Boehringer Ingelheim investierte allein 2023 fast sechs Milliarden Euro in die Entwicklung neuer Arzneimittel – das ist eine sechs mit neun Nullen. Bei dem, wie die Medizin von morgen aussieht, will das Unternehmen ein gewaltiges Wort mitreden.
Dass Geld aber allein nicht ausreicht – das wurde schnell klar auf dem EMBL-Campus. Der Job von Dr. Paola Casarosa, die beim Unternehmen die „Innovation Unit“ leitet, klingt einfach, ist es aber nicht: „Wir müssen unsere Pipeline mit Innovationen füllen, mit wirklichen Innovationen. Das bedeutet für uns: Wir gehen neue Wege.“ Und damit steigt das Risiko, was so etwas wie der große Bruder der Pharmaforschung ist. Das Scheitern von neuen, zunächst vielversprechenden Molekülen gehört zum Geschäft. „Unsere Mission ist es, das Leben von Patient:innen mit unseren Innovationen zu verändern.“ Dafür brauche es zwei Dinge, so Casarosa. „Das sind unsere Mitarbeiter:innen – wir sind wirklich stolz, auf unsere Diversität.“ Und das zweite: „Das ist unsere Pipeline. 75 Prozent davon sind so genannte First-in-Class-Kandidaten.“ Das bedeutet: Schaffen sie die Zulassungshürden, sind die die ersten Medikamente ihrer Art – medizinisches Neuland also. „Dafür stehen wir jeden Morgen auf“, so Casarosa.
11.000 Menschen arbeiten weltweit bei dem Unternehmen in der Forschung. Doch um den Anschluss an die Weltspitze zu halten, geht Boehringer auch andere Wege. Dr. Michael Mark ist so etwas wie ein Urgestein der Unternehmensforschung; 35 Jahre war er dort, viele Jahre hat er die Herzkreislauf-Forschung geleitet. Ideen entstehen überall, sagt er, in der Wissenschaft, in Start-ups. Und deshalb beschäftigt das Unternehmen Scouts, die weltweit nach den Ideen suchen, die bei der Entwicklung der Arzneimittelneuheit der Zukunft vielleicht den Durchbruch bringen könnten. Jeder zweite der Wirkstoffkandidaten der aktuellen Pipeline resultiert aus Kooperationen. „Das ist aufwändig, das kostet Ressourcen, ist aber eine wichtige Säule, damit wir Forschung im Sinne der Patient:innen voranbringen“, sagt Mark. An die jungen Forscher:innen gerichtet, sagt er: „Vertrauen und Offenheit – darum geht es, wenn wir über erfolgreiche Forschung reden.“ Und er rät ihnen zu einer hohen „Toleranz für Frustrationen“ – einfach, weil viele Projekte in der Sackgasse landen. Das sagt der Mann, der vor einigen Jahren auf einer großen Konferenz Daten präsentieren konnte, bei dem das erste Mal gezeigt wurde, dass eine Diabetes-Therapie die Herzkreislauf-bedingte Sterberate reduziert. „Das war ein echter Durchbruch. Wir waren erstmals in der Lage, das Leben der Patienten zu verlängern.“ Tausende Mediziner:innen reagierten mit standing ovations – für den Forscher ein echter Gänsehaut-Moment.
opnMe: Moleküle zum verschicken

Was Offenheit und Vertrauen auch bedeuten kann, zeigt das Boehringer-Projekt opnMe. Es ist eine Plattform, bei der Wissenschaftler:innen Moleküle ordern können, wenn sie eine Chance sehen, dass sie zu ihren Projekten passen könnten. Über 8.500-mal ist das schon geschehen; zur Auswahl stehen Moleküle zur Bestellung oder zur Zusammenarbeit. So will man die biomedizinische Forschung auch außerhalb des Unternehmens fördern. Und auch der Innovation Prize zielt auf direkte Förderung von Forschung außerhalb des Unternehmens. Dieses Jahr gewann ihn Emuno Therapeutics. Das kleine Unternehmen aus Freiburg hat sich auf Ansätze spezialisiert, um die Immunantwort zum Beispiel bei Krebserkrankungen zu verbessern. Das Preisgeld ermöglicht es, Zugang zu Laboren zu erhalten. Geschäftsführerin Dr. Emilia Neuwirt: „Ich bin Pharmazeutin. Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, Unternehmerin zu werden. Jetzt bin ich es.“ Darüber ist sie froh; es ist diese Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft und Unternehmen, die Translation möglich macht – also der Prozess, dass Ideen die Chance bekommen, eines Tages das Leben von Krebspatient:innen tiefgreifend zu verändern.
Und auch das war eine klare Botschaft des Transforming Science Day: Mit Patient:innen wird nicht nur geredet, sondern sie werden über den gesamten Entwicklungsprozess mit einbezogen. „Du bist ein besserer Wissenschaftler, wenn Du die Erfahrung der Patienten mit in Deine Forschung integrierst“, sagt Joe Nadglowski, der der Obesity Action Coalition vorsteht, die sich in den USA für Menschen mit Adipositas einsetzt. Und für Steven Brunette von Boehringer ist klar, dass man wirklich lebensverändernde Arzneimittelinnovationen nur entwickeln kann, wenn man die Betroffenen früh und über den gesamten Entwicklungsprozess mit einbindet. „Das ist die Erfolgsformel.“
Transforming science oder transforming science?
Es gibt zwei Möglichkeiten, „transforming science“ zu übersetzen. Es enthält einmal die Aussage, dass man Wissenschaft betreiben will, die (lebens-)verändernd wirken soll; die also für kranke Menschen einen wirklichen Unterschied macht. Es kann aber auch den Anspruch transportieren, dass man die Wissenschaft als solche verändern, vielleicht sogar revolutionieren will. Hört man den Forscher:innen bei Boehringer zu, dann ist wohl beides gemeint.
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