Atome sind so etwas wie winzige Bausteine der Natur – sie sind die kleinsten Bestandteile aller Stoffe. In ihrem Inneren befindet sich der Atomkern – er kann instabil sein, also spontan zerfallen und dabei radioaktive Strahlung freisetzen. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, der in der Natur permanent vonstatten geht – und den sich die Medizin zunutze macht. In der Onkologie wird radioaktive Strahlung in speziellen Geräten erzeugt, um den Tumor von außen Schachmatt zu setzen. „Die Strahlung schädigt die Erbsubstanz der Zellen, sodass die Zellteilung aufhört und die Zellen untergehen. Die Tumoren werden kleiner oder verschwinden sogar“, erklärt die Deutsche Krebsgesellschaft.
„Allerdings wirkt diese Therapie nicht spezifisch, auch gesundes Gewebe um den Krebs herum wird bestrahlt“, so Dirk Holler, Geschäftsführer des forschenden Pharmaunternehmens Novartis Radiopharmaceuticals in Deutschland. „Aber was wäre, wenn man die Strahlung direkt in die Krebszellen bringen könnte, damit sie möglichst nur dort wirkt, wo sie wirken soll – am Tumor?“
Radioligandentherapie: Eine Form der Präzisionsonkologie
Radioaktive Bestrahlung nicht von außen, sondern von innen – direkt am Ort des Geschehens: Diese Idee verfolgt die sogenannte Radioligandentherapie. Sie besteht aus 2 Bauteilen. Da ist der sogenannte „Ligand“: Er ist ein Biomolekül, das ganz spezifisch an eine bestimmte Zielstruktur auf der Oberfläche der Tumorzellen andocken kann – denn er hat eine Form, die wie ein Puzzlestück dazu passt. Kommt der Ligand in die Nähe der Krebszellen, schnappen die beiden Teile wie zwei magnetische Puzzlestücke zusammen. Das Gute daran ist: Gesunde Körperzellen haben meist keine passenden Puzzlestücke – die Therapie setzt hier also nicht an.
Der Ligand allein kann jedoch nicht viel ausrichten. Daher wird er mit einem Radionuklid kombiniert – so bezeichnet man eine instabile Atomsorte, die beim spontanen Zerfall radioaktive Strahlung aussendet. Dirk Holler von Novartis fasst zusammen: „Die Radioliganden werden per Injektion in den Körper gegeben. Dort erkennt der Ligand die Zielstruktur auf den Krebszellen, dockt an – und hat huckepack das Radionuklid mit dabei. Die Radioliganden werden in die Zielzellen aufgenommen. Durch die radioaktive Strahlung werden diese geschädigt und in ihrer Fähigkeit sich zu replizieren beeinträchtigt – was letztlich zum Zelltod führt.“
Radioligandentherapie: Großes Potenzial für die Onkologie
Durch die präzise Funktionsweise des Liganden kann die Strahlung zielgerichtet bei Krebszellen funktionieren, auch wenn sich diese schon weit im Körper ausgebreitet haben. Es braucht „nur“ das passende Puzzlestück – dann findet die Therapie ihren Weg. „Das klingt einfacher als es ist: Bislang haben wir nur für wenige Krebserkrankungen passende Liganden zur Hand. Deutsche Forscher:innen sind weltweit Vorreiter in der Entwicklung von Radioligandentherapeutika. In enger Zusammenarbeit arbeiten wir daran, weitere Tumor-spezifische Liganden zu identifizieren und das Potenzial dieses Behandlungsansatzes auf mehr Tumorarten zu übertragen“, so Holler. Zum Einsatz kann die Radioligandentherapie heute beispielsweise bei einer bestimmten Form von fortgeschrittenem Prostatakrebs kommen. „Das Medikament kann die Überlebenschancen der Betroffenen erheblich verbessern“, schreibt das Deutsche Krebsforschungszentrum, das die maßgebliche Grundlagenforschung zu diesem heute verfügbaren Medikament geleistet hat.
Grundsätzlich könnte die Radioligandentherapie auf ganz unterschiedliche Erkrankungen zugeschnitten werden, weil sich sowohl der Ligand als auch das Radionuklid wie Bausteine anpassen und miteinander kombinieren lassen. Auch eine präzisere Diagnostik ist mittels dieser Technologie denkbar: „Spezielle radioaktiv markierte Liganden können zur Bildgebung verwendet werden – indem sie Krebszellen für die Geräte sichtbar machen, ganz egal, wo sich diese im Körper befinden – aufgrund ihrer Strahlungsenergie jedoch keine Zell-schädigende Wirkung haben“, erklärt Holler. Letztlich kann das Mediziner:innen bei Therapieentscheidungen unterstützen. Das Fazit: „Radioliganden haben das Potenzial, ein wichtiger Bestandteil der modernen Krebsmedizin zu werden. Unsere Forschung setzt daher auf diese neuartige Technologie.“
Weiterführende Links:
https://www.novartis.com/de-de/geschichten/strahlentherapie-gegen-krebszellen
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Diagnostik und Therapie bei Krebs: Immer personalisierter
„Innovative Therapiekonzepte zielen darauf ab, die Krebserkrankung des einzelnen Patienten individuell zu behandeln“, so das Beratungsunternehmen IQVIA in einem Bericht. Die Voraussetzung: eine präzise Diagnostik. Daten zeigen nun: Immer mehr Menschen erhalten eine Testung auf sogenannte Biomarker, die wichtige Hinweise auf spezifische Tumor-Eigenschaften liefern können.
Krebssterblichkeit sinkt weiter – wegen Therapiefortschritten
Das Risiko, an einer Krebserkrankung zu sterben, ist in den USA zwischen 1991 und 2020 um 33 Prozent zurückgegangen. Insgesamt konnten dadurch geschätzte 3,8 Millionen Todesfälle verhindert werden. Das geht aus Daten der „American Cancer Society“ hervor. „Dieser Fortschritt spiegelt zunehmend die Fortschritte in der Behandlung wider“, so die Expert:innen. Das gelte insbesondere für Leukämie, schwarzen Haut-, Nieren- und Lungenkrebs.
Radioaktive Arzneimittel: Gezielte Strahlung gegen Krankheiten
„Strahlenangst oder Radiophobie ist die Angst vor negativen Folgen bestimmter Strahlungsarten.“ So lautet ein Eintrag in der freien Enzyklopädie Wikipedia. Dabei kann Radioaktivität, d.h. die Eigenschaft instabiler Atomkerne sich von selbst unter Abgabe von Strahlung umzuwandeln, sinnvoll genutzt werden – etwa in der Medizin. Zielgerichtet und schonend: So kommen sogenannte Radiopharmaka gegen Krankheiten wie Prostatakrebs zum Einsatz. Ein Interview mit Dr. Franz Böhme, Leiter Medical Affairs Onkologie/Hämatologie bei Bayer Vital.