Gesucht: Ein „Goldenes Zeitalter“ der Antibiotika-Entwicklung

Antibiotika haben die Medizin revolutioniert, aber die „Golden Age“ der Antibiotika-Entwicklung ist längst vorbei: Zwischen den 1940er- und den 1970er-Jahren wurden gut zwei Drittel der heute bekannten Wirkstoffklassen entwickelt. Dabei wäre ein weiteres goldenes Zeitalter dringend notwendig. Denn viele der Präparate wirken nicht mehr. Der Grund: Resistenzen, die durch Über- und Fehlnutzung befeuert werden. Immerhin: Die Nutzung von Antibiotika in der Nutztierhaltung geht in einigen Ländern massiv zurück.

In genaue Zahlen zu fassen ist es nicht – die vielen Menschen, die nicht an einer Infektion gestorben sind, weil sie mit wirksamen Antibiotika behandelt werden konnten. Es müssen viele, sehr viele Millionen sein. Denn bevor diese Medikamente entwickelt wurden, konnten selbst kleine Verletzungen tödliche Folgen haben; war jede Operation ein deutlich höheres Risiko als heute. Seit Jahren schon warnt die Wissenschaft davor, dass dieser „Gamechanger“ in der Medizin zunehmend seine Wirkung verliert. Denn Bakterien lassen sich nicht alles gefallen – und finden Wege, um Wirkstoffe unschädlich zu machen.

Antibiotische Resistenzen gelten deshalb mittlerweile als eine der großen Herausforderungen für die Medizin. Schon heute sterben Menschen, weil bei ihnen Arzneimittel nicht mehr anschlagen. Im Jahr 2022 waren es weltweit fast fünf Millionen Menschen, die direkt oder indirekt an einer antimikrobiellen Resistenz (AMR) zu Tode kamen – die benötigten Medikamente wie beispielsweise Antibiotika, Virostatika oder Antimykotika wirkten bei ihnen also nicht mehr. Die Zahlen werden in den kommenden Jahren stark steigen, unter anderem wegen der demografischen Entwicklung. Es sei denn, es gelingt, die Entwicklung neuer Klassen anzuschieben.

Antibiotika: Übermäßiger Einsatz

Antibiotika: Übermäßiger Einsatz
Antibiotika: In der Tierhaltung deutlich häufiger als in der Humanmedizin. Foto: ©iStock.com/Fahroni

Bei den zunehmenden Resistenzen gegen Antibiotika kommen zwei Dinge zusammen: Der übermäßige oder falsche Einsatz der Präparate in der Humanmedizin und der Nutztierhaltung – und die Tatsache, dass die Entwicklung neuer Wirkstoffklassen eine echte Herausforderung ist. Unter anderem mithilfe von Genom-Sequenzierung hofft die Forschung auf neue Erkenntnisse, um ein neues goldenes Zeitalter einläuten zu können.

Immerhin: Es gibt auch gute Nachrichten. In einigen Ländern Europas ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung massiv zurückgeschraubt worden (s. Grafik); allein in Deutschland um mehr als 70 Prozent in den Jahren zwischen 2010 und 2022. Die Bakterienkiller werden in der Tierhaltung deutlich häufiger eingesetzt als in der Humanmedizin – ein Hinweis darauf, dass die Art unserer Nutztierhaltung wenig mit tiergerechter Haltung zu tun hat. Für Menschen ist das nicht ungefährlich: Eine Übernutzung der Mittel fördert die Entstehung resistenter Bakterienstämme, die sich auch auf Menschen übertragen können – was es immer schwieriger macht, Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen zu behandeln. Auf diese Weise werden Brutstätten für Supererreger geschaffen.

Antibiotika-Entwicklung: Es fehlen Anreize

Antibiotika-Entwicklung: Es fehlen Anreize
Antibiotika-Entwicklung: Es braucht Anreize. Foto: ©iStock.com/SeventyFour

Doch es gibt noch ein Problem, auf das der Daten-Dienst „Our World in Data“ hinweist: Es fehlen „wirtschaftliche Anreize, die für die Förderung von Innovation und Fertigung von entscheidender Bedeutung sind.“ Die neue Generation dieser Präparate gilt als „Reserveantibiotika“; soll heißen: Sie sollen nur im Falle von lebensgefährlichen Resistenzen eingesetzt werden, ansonsten aber für schlechtere Zeiten im Schrank liegen bleiben. Die Refinanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten ist so kaum möglich. Seit Jahren bemühen sich politische Entscheidungsträger:innen und Arzneimittelentwickler:innen deshalb um neue Geschäftsmodelle, um die monetären Bremsen zu lösen. Fakt ist: Die Antibiotika-Entwicklung braucht ein neues Anreiz-Ökosystem.

Das würde sich sogar finanziell lohnen. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass EU-weit angelegte Programme zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen rentabel wären. Auf zehn Jahre gesehen, rechnen die Forschenden damit, dass für jeden investierten Euro ein wirtschaftlicher Nutzen von mehr als drei Euro entsteht. Auf 30 Jahre projiziert wären es sogar 15 Euro. Denn mehr Behandlungsmöglichkeiten bedeuten weniger Todes- und Krankheitsfälle, weniger schwere Verläufe mit weniger Krankheitstagen.

Weiterführender Link:

Our World in Data: Antibiotics and Antibiotic Resistance

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