In genaue Zahlen zu fassen ist es nicht – die vielen Menschen, die nicht an einer Infektion gestorben sind, weil sie mit wirksamen Antibiotika behandelt werden konnten. Es müssen viele, sehr viele Millionen sein. Denn bevor diese Medikamente entwickelt wurden, konnten selbst kleine Verletzungen tödliche Folgen haben; war jede Operation ein deutlich höheres Risiko als heute. Seit Jahren schon warnt die Wissenschaft davor, dass dieser „Gamechanger“ in der Medizin zunehmend seine Wirkung verliert. Denn Bakterien lassen sich nicht alles gefallen – und finden Wege, um Wirkstoffe unschädlich zu machen.
Antibiotische Resistenzen gelten deshalb mittlerweile als eine der großen Herausforderungen für die Medizin. Schon heute sterben Menschen, weil bei ihnen Arzneimittel nicht mehr anschlagen. Im Jahr 2022 waren es weltweit fast fünf Millionen Menschen, die direkt oder indirekt an einer antimikrobiellen Resistenz (AMR) zu Tode kamen – die benötigten Medikamente wie beispielsweise Antibiotika, Virostatika oder Antimykotika wirkten bei ihnen also nicht mehr. Die Zahlen werden in den kommenden Jahren stark steigen, unter anderem wegen der demografischen Entwicklung. Es sei denn, es gelingt, die Entwicklung neuer Klassen anzuschieben.
Antibiotika: Übermäßiger Einsatz

Bei den zunehmenden Resistenzen gegen Antibiotika kommen zwei Dinge zusammen: Der übermäßige oder falsche Einsatz der Präparate in der Humanmedizin und der Nutztierhaltung – und die Tatsache, dass die Entwicklung neuer Wirkstoffklassen eine echte Herausforderung ist. Unter anderem mithilfe von Genom-Sequenzierung hofft die Forschung auf neue Erkenntnisse, um ein neues goldenes Zeitalter einläuten zu können.
Immerhin: Es gibt auch gute Nachrichten. In einigen Ländern Europas ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung massiv zurückgeschraubt worden (s. Grafik); allein in Deutschland um mehr als 70 Prozent in den Jahren zwischen 2010 und 2022. Die Bakterienkiller werden in der Tierhaltung deutlich häufiger eingesetzt als in der Humanmedizin – ein Hinweis darauf, dass die Art unserer Nutztierhaltung wenig mit tiergerechter Haltung zu tun hat. Für Menschen ist das nicht ungefährlich: Eine Übernutzung der Mittel fördert die Entstehung resistenter Bakterienstämme, die sich auch auf Menschen übertragen können – was es immer schwieriger macht, Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen zu behandeln. Auf diese Weise werden Brutstätten für Supererreger geschaffen.
Antibiotika-Entwicklung: Es fehlen Anreize

Doch es gibt noch ein Problem, auf das der Daten-Dienst „Our World in Data“ hinweist: Es fehlen „wirtschaftliche Anreize, die für die Förderung von Innovation und Fertigung von entscheidender Bedeutung sind.“ Die neue Generation dieser Präparate gilt als „Reserveantibiotika“; soll heißen: Sie sollen nur im Falle von lebensgefährlichen Resistenzen eingesetzt werden, ansonsten aber für schlechtere Zeiten im Schrank liegen bleiben. Die Refinanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten ist so kaum möglich. Seit Jahren bemühen sich politische Entscheidungsträger:innen und Arzneimittelentwickler:innen deshalb um neue Geschäftsmodelle, um die monetären Bremsen zu lösen. Fakt ist: Die Antibiotika-Entwicklung braucht ein neues Anreiz-Ökosystem.
Das würde sich sogar finanziell lohnen. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass EU-weit angelegte Programme zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen rentabel wären. Auf zehn Jahre gesehen, rechnen die Forschenden damit, dass für jeden investierten Euro ein wirtschaftlicher Nutzen von mehr als drei Euro entsteht. Auf 30 Jahre projiziert wären es sogar 15 Euro. Denn mehr Behandlungsmöglichkeiten bedeuten weniger Todes- und Krankheitsfälle, weniger schwere Verläufe mit weniger Krankheitstagen.
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Arzneimittel-Resistenzen: Dringend Handlungsbedarf
Wenn immer mehr antimikrobielle Medikamente ihre Wirkung verlieren, ist das gefährlich. Lebensgefährlich: Von der Behandlung einer Wundinfektion bis hin zur Organtransplantation – moderne Medizin ist ohne Mittel wie Antibiotika unvorstellbar. Es braucht entschlossenes Handeln, um diese Krise der zunehmenden Arzneimittel-Resistenzen unter Kontrolle zu kriegen. Doch bislang tut die Politik zu wenig. Ändert sich das 2023?

Arzneimittel verlieren Wirkung: Lösungen für Antibiotikakrise gesucht
2019 starben nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation 1,3 Millionen Menschen weltweit, weil Antibiotika bei ihren Infektionen nicht wirkten. Immer mehr Bakterien werden resistent gegenüber verfügbaren Arzneimitteln. Eine Lösungsstrategie? Neue Wirkstoffe. Pharmazeutische Forschung ist gefragt. Doch die hat es nicht leicht. Ein Ökonom und eine Wissenschaftlerin führen das auf ein „Marktversagen“ zurück. Sie haben ein „Netflix“-Modell entworfen, womit die Politik die Forschung ankurbeln und zahlreiche Todesfälle verhindern könnte.

Vier Anreize und ein Problem
Die Welt braucht dringend neue Antibiotika. Sie dürfen aber nur beschränkt und gezielt eingesetzt werden, damit es Bakterien schwerer haben, Resistenzen zu entwickeln. Das Projekt DRIVE-AB hat mehr als drei Jahre lang nach Möglichkeiten gesucht, wie die Entwicklung neuer Antibiotika stimuliert werden könnte. Am Ende schlugen die Autoren vier vielversprechende Anreize vor. Aber der Projektleiter benennt auch ein Problem.