
Für Dr. Remo Gujer, Geschäftsführer von BMS-Deutschland, hat die CAR-T-Zelltherapie „das Potenzial, das Leben von Patientinnen und Patienten maßgeblich zu verändern, zu verbessern und in einigen Fällen sogar eine grundsätzliche Heilung herbeizuführen. Dieses Potenzial gilt es voll auszuschöpfen.“ Derzeit wird diese Therapieform vor allem bei Blutkrebserkrankungen, also bei Leukämien und Lymphomen, eingesetzt, aber, so Gujer: „Ich sehe gute Chancen, dass wir uns bald auch im Bereich der soliden Tumoren wie Brust-, Darm- oder Lungenkrebs bewegen – und dass wir durch diese Technologie die Möglichkeit haben werden, schwere immunologische Erkrankungen anzugehen.“ Bedingung dafür sei aber nicht nur eine intensive und erfolgreiche Forschung, sondern auch der „Zugang für die Patientinnen und Patienten“ zu dieser vergleichsweise neuartigen Immuntherapie. „Der Patientenzugang ist das Wichtigste“, so Gujer, doch dafür gebe es Voraussetzungen – neben einer angemessenen Erstattung und Vergütung sei das vor allem ein Abbau von Bürokratie.
Komplex und aufwändig
Um es gleich zu sagen: Das Bürokratiemonster treibt sich an vielen Orten herum – nicht nur in Behörden, sondern etwa auch in Krankenhäusern, wo es zudem oft von einem bedrohlich herumschwebenden Pleitegeier begleitet wird. Im Klartext: Bevor die Patient:innen ihre Zelltherapie per einmaliger Infusion erhalten können, muss ein extrem komplexer und aufwändiger Weg beschritten werden, sowohl auf medizinischer als auch auf behördlicher Ebene.
Den medizinischen Weg beschrieb Prof. Dr. Christoph Scheid, Leitender Oberarzt an der Klinik I für Innere Medizin der Universitätsklinik Köln. Er schilderte, wie zunächst so genannte T-Zellen aus dem Blutkreislauf der Patient:innen gesammelt und an große Labore geschickt werden, wie sie dort gentechnisch verändert und vermehrt werden, wie die fertigen CAR-T-Zellen dann eingefroren und zurückgeschickt werden, wie sie schließlich dem Patienten als Infusion verabreicht werden – und wie sie anschließend gezielt Jagd auf Krebszellen machen und sie zerstören. „Von der Zellsammlung bis zur Infusion vergehen vier bis acht Wochen“, erklärte Scheid, „für die betroffenen Patienten ist das oft eine sehr lange Zeit.“ Dazu muss man wissen: Eine CAR-T-Zelltherapie ist grundsätzlich für Patient:innen gedacht, bei denen andere Therapien nicht oder nicht mehr wirken – je länger die Wartezeit dauert, desto größer ist das Risiko einer Verschlechterung des Zustandes.
Anträge, Gutachten, Stellungnahmen

Verlängert wird diese Wartezeit nicht selten durch bürokratische Prozeduren, auf die Johanna Scherf einging, Leiterin Ökonomie Klinik I der Universitätsklinik Köln. „Wir haben allein in unserem Haus drei CAR-T-Zell-Koordinator:innen, die viele Anträge stellen und zahlreiche administrative Prozesse begleiten, von den Tumorboard-Konferenzen bis hin zur Dokumentation für die Abrechnung.“ Das allein wäre schon Arbeit genug, doch nicht selten kommen Aktionen hinzu, wie bei einem Patienten, der im August 2023 seine Zelltherapie erhalten hatte. „Im Oktober haben wir die Rechnung an die Krankenkasse gestellt und im selben Monat die Rechnung des Herstellers beglichen“, so Scherf, „wir sind also in Vorleistung gegangen. 7 Monate später kam dann ein Gutachten des Medizinischen Dienstes – angeblich war die Aufklärung des Patienten unvollständig, zudem gebe es laut Leitlinie eine alternative Behandlung.“ Was folgte, war eine ausführliche Stellungnahme der Klinik, „in der wir alle Punkte widerlegen konnten“ – zumal die Leitlinie aus dem Jahr 2018 stammte und wissenschaftlich längst überholt war. Johanna Scherf weiter: „Im Oktober 2024, ein Jahr nach Vorleistung, wurde die Therapie vom Kostenträger anerkannt und die Rechnung beglichen – und das ist leider kein Ausnahmefall.“ Die CAR-T-Zelltherapie ist nach Scherfs Überzeugung „ein Meilenstein“, der allerdings auch zum Mühlstein werden kann, wenn er zu stark „durch Bürokratie belastet wird“. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: „Ich wünsche mir einfachere und einheitliche Abrechnungswege und eine Vertrauenskultur.“
Fehlendes Vertrauen in den Sachverstand

Weil es aber am Vertrauen derzeit noch fehlt, sind einige Krankenhäuser – anders als die Kölner Uniklinik – dazu übergegangen, vor einer CAR-T-Zelltherapie einen so genannten Einzelfallantrag zu stellen. „Sie kämpfen mit der Sorge, dass ihre Therapie nachträglich in Frage gestellt werden kann“, berichtete Dr. Constanze Püschel, Rechtsanwältin aus Berlin. Der Antrag diene zur Absicherung, „dass man die Therapie tatsächlich erstattet bekommt.“ Da eine CAR-T-Zelltherapie zwischen 250.000 und 400.000 Euro kostet, können nachträgliche Ablehnungen der Kostenübernahme ruinöse Folgen für die Behandlungszentren haben. Auch Püschel schlug deshalb eine „Vertrauenskultur“ vor, die „in der CAR-T-Zelltherapie beginnen sollte. Wir haben dort ein interdisziplinäres Tumorboard mit vielen Expert:innen, da könnte man sagen: Dieses Gremium hat sachverständig über die Behandlung entschieden, da brauchen wir keine nachträgliche Überprüfung.“
Das sieht auch Prof. Dr. Michael Hallek so, Direktor Klinik I für Innere Medizin und Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Universitätsklinik Köln. Er schlug vor, CAR-T-Zelltherapien systematisch an spezialisierte Zentren zu vergeben, die ihre Arbeit dokumentieren und auch dauerhafte Erfolge vorweisen können. Er plädierte dafür, sich an der Leistung dieser Zentren zu orientieren, ihnen aber zugleich freie Hand bei den Behandlungs-Entscheidungen zu lassen. „Dann kann man sich den Prüfungssachverhalt schenken“, so Hallek, „denn wer außer uns soll denn beurteilen, ob eine Behandlung richtig ist oder nicht.“
Vorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Dr. Georg Kippels, schlug als Maßnahme zum Bürokratieabbau für die CAR-T-Behandlungszentren vor: „Wir müssen versuchen, gemeinschaftlich eine möglichst hohe Vorabstandardisierung herbeizuführen.“ So würde ein „einmaliger Zertifizierungsprozess unter Festlegung der Strukturqualität“ die bürokratischen Prozeduren „massiv verkürzen“ und man könnte sich auf „stichprobenartige Kontrollen bei Auffälligkeiten“ beschränken.
Zusammengefasst: Alle Expert:innen plädierten dafür, eine Vertrauenskultur zu schaffen, die es möglich macht, den bürokratischen Aufwand auf ein Minimum zu beschränken. Oder, um es mit den Worten von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken zu sagen, zitiert von BMS-Geschäftsführer Remo Gujer: „Wir müssen das Gesundheitswesen von unnötigen bürokratischen Lasten befreien und eine neue Vertrauenskultur etablieren.“
Das lässt hoffen. Für die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, vor allem aber für Patient:innen wie Veronika Gorka. Sie erkrankte 2011 an einem Multiplen Myelom und sagte jetzt bei der Veranstaltung in Köln: „Ich freue mich einfach nur, dass ich die CAR-T-Zelltherapie bekommen habe. Sonst wäre ich nicht hier.“
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