Jeder zweite Mensch wird in seinem Leben mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sein, jeder vierte wird daran sterben. Das will „Vision Zero in der Onkologie“ ändern. Auf ihrem Jahresgipfel diskutieren führende Gesundheitsexpert:innen, wie das gelingen kann. Foto: Ralf Günther/BILD
Jeder zweite Mensch wird in seinem Leben mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sein, jeder vierte wird daran sterben. Das will „Vision Zero in der Onkologie“ ändern. Auf ihrem Jahresgipfel diskutieren führende Gesundheitsexpert:innen, wie das gelingen kann. Foto: Ralf Günther/BILD

Vision Zero in der Onkologie: Den Tod nicht akzeptieren

Jeder zweite Mensch wird in seinem Leben mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sein, jeder vierte wird daran sterben. Das zu ändern – dafür ist „Vision Zero in der Onkologie“ angetreten, eine Initiative aus Forschung und Wissenschaft, Vertreter:innen aus dem Gesundheitssystem und von forschenden Pharmaunternehmen. Auf ihrem Jahresgipfel diskutieren führende Gesundheitsexpert:innen, wie das gelingen kann. Denn auch das ist ein Fakt: Mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten – Prävention, Früherkennung, Behandlung und Nachsorge – könnte jeder zweite Todesfall vermieden werden.
Krebsmediziner Professor Dr. Christof von Kalle von der Berliner Charité
Professor Dr. Christof von Kalle, Berliner Charité. Foto: Ralf Günther/BILD

„Das wären 125.000 Tote im Jahr weniger“, rechnete Krebsmediziner Professor Dr. Christof von Kalle von der Berliner Charité zum Auftakt des jährlichen Gipfels der Initiative vor. Rund 500.000 Neudiagnosen, das ist die jährliche Bilanz in unserem Land. Das bedeutet, dass 60 Menschen pro Stunde in Deutschland hören müssen: „Sie haben Krebs.“ Von Kalle plädiert deshalb schon lange dafür, auch in der Onkologie Sicherheitsstrategien zu denken, „wie wir sie zum Beispiel in der Fliegerei vom ersten Tag an oder im Straßenverkehr umgesetzt haben.“ Hinter der Vision mit Null steht der Anspruch, jeden vermeidbaren Fall zu vermeiden; es sind Strategien, die die Entwicklung neuer Technologien – Gurt, ABS oder Kreisverkehre – erst getriggert haben. „In all diesen Bereichen sehen wir Prävention nicht als Kostenfaktor, sondern als Investition, die volkswirtschaftlich enorm lohnend ist“, so der Onkologe. Im Bereich der Gesundheit ist das nicht so.

Von Kalle findet deshalb, „dass wir lernen müssen, anders damit umzugehen.“ Das gilt für ihn vor allem für den Bereich der Digitalisierung: „Die Digitalisierung ist für Menschen mit Krebs ein Life-Saver. Aber wir vernachlässigen das, wir haben sehr viele datenblinde Systeme.“ Deshalb will der Wissenschaftler darüber reden, „wie wir Daten als Schlüssel für eine korrekte Diagnose, die Therapie und generell eines besseren Managements unseres Lebens nutzen können.“ Für ihn ist die Digitalisierung der „Generalschlüssel für eine Vision Zero bei Krebs.“ Ein Generalschlüssel, an dem noch viel Arbeit nötig ist, bis er passt.

Forschung: Generalschlüssel für eine bessere Medizin

Daniel Bahr,
Bundesgesundheitsminister a. D. & Dr. Georg Kippels
Daniel Bahr,
Bundesgesundheitsminister a. D. & Dr. Georg Kippels. Foto: Ralf Günther/BILD

Forschung ist der andere wichtige Generalschlüssel. Ohne die Innovationen der vergangenen Jahre wäre die Krebsbekämpfung nicht da, wo sie heute steht. Obwohl die Fallzahlen weltweit steigen, sinken die – altersadjustierten – Sterberaten; ein Beleg dafür, dass bessere Prävention, gezieltere Therapien und optimierte Nachsorge bereits heute schon vielen Menschen Lebensperspektiven eröffnen, die vor rund zwanzig Jahren undenkbar waren. Die Ampelregierung hat diese Erkenntnis in eine Nationale Pharmastrategie gepackt und auch entsprechende Gesetze erlassen; die Merz-Regierung hat sich zu dieser Politik ausdrücklich bekannt und erklärt, den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland weiter voran bringen zu wollen. Staatssekretär Dr. Georg Kippels, Bundesministerium für Gesundheit, brachte den Anspruch auf die Formel: „Mit der Forschung beginnt der Wohlstand – für die Wirtschaft und für die Patienten.“ Doch Forschung braucht innovationsfreundliche Rahmenbedingungen.

Der Präsident des Pharmaverbandes vfa, Han Steutel („Ich kann mich vor Enthusiasmus kaum retten“), machte keinen Hehl daraus, dass er das für den einzig gangbaren Weg hält; in seiner 40-jährigen Karriere hat er noch nicht erlebt, dass eine Regierung eine Pharmastrategie entwickelt hat und umsetzen will. Doch nun müsse nachgeschärft werden, schließlich hat Deutschland in Sachen klinische Studien in den vergangenen Jahren international an Boden verloren. „Die Probleme sind hausgemacht.“ Das sieht auch Dr. Matthias Wernicke vom Unternehmen Merck Healthcare so; den Weichenstellungen müssten nun weitere Konkretisierungen folgen. Im Blick hat der Manager dabei vor allem den Bürokratieabbau. „Und wir nutzen zu wenig Gesundheitsdaten: Jeder Yoghurtbecher in Deutschland ist besser verwaltet als ein Krebspatient.“

Präsident des Pharmaverbandes vfa, Han Steutel
Präsident des Pharmaverbandes vfa, Han Steutel. Foto: Ralf Günther/BILD

Sorgen macht in der öffentlichen Debatte die Frage, wie die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung – also zum Beispiel innovative Arzneimittel – bezahlt werden können; kein Tag, an dem ein Krankenkassenchef nicht auf die prekäre Lage der GKV hinweist – und zum Beispiel höhere Herstellerrabatte fordert. Dabei ist klar – auch das war Thema auf dem Podium – dass es vor allem die Ineffizienzen sind, die das System GKV viel Geld ausgeben lässt. Eine andere als nur eine auf Preisschilder von Medikamenten fokussierte Betrachtung von Kosten steuerte Staatssekretär Kippels bei: „Innovation kostet Geld. Aber Innovation stiftet auch volkswirtschaftlichen Nutzen. Das ist etwas, das mit dem einen oder anderen Akteur im Gesundheitsbereich noch mal thematisiert werden sollte.“ Er spielte damit darauf an, was es bringt, wenn krebskranke Menschen „nicht frühzeitig versterben, wenn sie nicht aus dem Beruf ausscheiden und wenn sie nicht höchstaufwändig behandelt werden müssen.“

Prävention kommunizieren: Neue Strategien gesucht

Auch in der Prävention hat Deutschland ganz viel Luft nach oben. Dahinter steckt der kluge Gedanke, Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen. Doch die allgemeinen Impfraten gehen tendenziell nach unten und in dem Land, wo die wissenschaftlichen Grundlagen erschaffen wurden, um die HPV-Impfung zu entwickeln, liegen die Impfraten gegen Gebärmutterhalskrebs und Co. im europäischen Mittelfeld. Moderator und Mediziner Eckart von Hirschhausen sagte: „Wir haben verdammt noch mal die Möglichkeit gegen Krebs zu impfen und wir tun es nicht.“

Andere Länder machen das anders: In Australien wurde um den Impfstoff herum eine Strategie entwickelt und umgesetzt, deren Ziel es ist, Gebärmutterhalskrebs als Problem der öffentlichen Gesundheit in den kommenden Jahren zu eliminieren. Impfquoten von bis zu 90 Prozent werden unter anderem mit flächendeckenden Schulimpfprogrammen erreicht. Deutschland erreicht mit Mühe die Hälfte der möglichen Impflinge. Dabei gibt es auch in Deutschland Schulimpfprogramme. Es sind Pilotprojekte, die man mit der Lupe suchen muss und offenbar nur dort funktionieren, wo in den Kommunen die Sektoren Gesundheit und Bildung beschlossen haben, zum Wohl der Menschen zusammenzuarbeiten. Nochmal von Hirschhausen: „Wir investieren Milliardensummen in Forschung und medizinische Evidenz. Und dann sind wir miserabel darin, dass sie eingesetzt werden.“

Alexandra von Korff & Eckart von Hirschhausen
Alexandra von Korff & Eckart von Hirschhausen. Foto: Ralf Günther/BILD

Die Prävention hat außerdem einen starken Gegner: Das sind die Kräfte, die etwa die Sozialen Medien mit Informationen fluten, die schon den Begriff Information nicht verdient haben. Alexandra von Korff, Kommunikationsexpertin und selbst Betroffene, plädiert deshalb für einen Strategiewechsel: „Die Menschen, die wir erreichen wollen, gehen nicht auf irgendwelche Seiten, sie googlen ja nicht mal mehr. Sie suchen sich ihre Informationen auf TikTok oder greifen auf die KI zu, die die Informationen bereits vorsortiert hat. Da müssen wir reinkommen und laut sein.“

Deutschland muss Gesundheit anders denken. Weil die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung sonst nicht bei den Menschen ankommen. Und das kann niemand wollen.

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