Auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel diskutierte ein Expertenpanel über den „Innovationsfaktor Gesundheit“. Mit neuen Technologien und Innovationen könnte der „Patient Gesundheitssystem“ in absehbarer Zeit als geheilt entlassen werden. Foto: L. Erhard-Gipfel
Auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel diskutierte ein Expertenpanel über den „Innovationsfaktor Gesundheit“. Mit neuen Technologien und Innovationen könnte der „Patient Gesundheitssystem“ in absehbarer Zeit als geheilt entlassen werden. Foto: L. Erhard-Gipfel

Gesucht: Ein wettbewerbsfähiges Ökosystem für Gesundheit

Der Ludwig-Erhard-Gipfel gilt als das „deutsche Davos“ – ein Treffen von führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, das jährlich am Tegernsee stattfindet. Dort diskutierte ein Expertenpanel über den „Innovationsfaktor Gesundheit: Wie schaffen wir ein wettbewerbsfähiges Ökosystem am Standort Deutschland?“ Dabei wurde deutlich: Mit neuen Technologien und dem konsequenten Nutzen von Innovationen könnte der „Patient Gesundheitssystem“ in absehbarer Zeit als geheilt entlassen werden.
Dr. Remo Gujer, Deutschlandchef des forschenden Unternehmens Bristol Myers Squibb (BMS)
Dr. Remo Gujer, BMS. Foto: L. Erhard-Gipfel

Wo steht das Gesundheitssystem heute? Zu Beginn waren die Panelteilnehmer gefordert, eine Diagnose zu stellen: „Wir haben nicht genug Vorsorge betrieben“, konstatierte Dr. Jan Esser, Vorsitzender der Allianz Private Krankenversicherung. „Wir haben ein fortgeschrittenes Demografie-Syndrom. Wenn wir das nicht ändern, werden wir perspektivisch den Burn-out sehen.“ Eine Therapie hatte der Manager auch am Start: „Wir brauchen generationengerechte und nachhaltige Finanzierungsansätze.“ Dr. Remo Gujer, Deutschlandchef des forschenden Unternehmens Bristol Myers Squibb (BMS), griff auf die Kardiologie zurück: „Das Herz des deutschen Gesundheitssystems schlägt sehr stark, aber es ist auch etwas verdickt und insofern ineffizient geworden.“ Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer beim Pharmaverband BPI und Mediziner, erklärte: „Ich würde auf Herzinsuffizienz gehen – mit einem fortgeschrittenen metabolischen Syndrom aufgrund von falscher Ernährung und Bewegungsmangel.“ Und schließlich Sebastian Hilke, Leiter Digitale Gesundheit bei Bayern Innovativ, ein Netzwerk für Innovation im Freistaat: „Das Gesundheitssystem ist im fortgeschrittenen Alter, ist multimorbid.“ Er bemängelte das Klein-Klein von Reformansätzen: „Es fehlt der Gesamtblick.“

Das Gesundheitssystem: Die Demografie treibt den Reformbedarf

Ludwig-Erhard-Gipfel
Ludwig-Erhard-Gipfel: Treffen von führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Foto: LEG

Wie also kann der „Patient Gesundheitssystem“ gesunden? An der Menge des ausgegebenen Geldes liegt es bekanntlich nicht – kaum ein Land steckt in diesen Bereich mehr Geld – sondern eher daran, wie es ausgegeben wird. Allianz-Mann Esser sieht Effizienzprobleme und macht das an der Lebenserwartung der Menschen im Land fest: „Da ist Deutschland im weltweiten Vergleich auf Platz 38; die meisten der vergleichbaren europäischen Nachbarn liegen vor uns.“ Er sieht großen Reformbedarf, weil die alternde Gesellschaft nicht nur mehr gesundheitsrelevante Leistungen abfragen, sondern perspektivisch weniger in das Umlagesystem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einzahlen wird. „Wir haben zu wenig Vorsorge betrieben. Die GKV hat momentan Rücklagen für ungefähr sieben Tage.“ Soll heißen: Sie lebt von der Hand in den Mund.

Dr. Remo Gujer von BMS hat schon viele Gesundheitssysteme erlebt; in seinem Lebenslauf stehen neben verschiedenen europäischen Ländern auch Indien, die Türkei oder Israel. „Wir haben hier ein sehr gutes System – sowohl was die Verfügbarkeit von Arzneimittelinnovationen also auch die Schnelligkeit angeht, mit der die Menschen Zugang haben. Da liegen wir im europäischen Vergleich an erster Stelle.“ Aber er sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Digitalisierung und der Nutzung von Gesundheitsdaten. Das sei entscheidend, um Prozesse effizienter zu gestalten. Auch für die klinische Forschung sieht er unglaubliche Möglichkeiten: „Stellen Sie sich vor, wir hätten ein qualitativ hochwertiges Datensystem. Dann könnten wir mit einem Knopfdruck deutschlandweit sehen, welcher Patient zu welcher Studie passt.“ Kranke Menschen würden schneller rekrutiert und die Frage, ob sie die Chance auf einen neuen Behandlungsansatz haben, wäre weniger vom Zufall abhängig. Sein Unternehmen setzt auch in Deutschland auf den Faktor Klinische Forschung. „Aktuell laufen bei uns rund 200 klinische Studien mit 32 Wirkstoffen in 29 Indikationen.“ Sie sind ein gewaltiger Innovationsmotor der Medizin: Hier muss der Beleg erbracht werden, ob aus einer neuen Idee eine Behandlungsmöglichkeit werden kann, die Menschen Lebensqualität und -zeit schenkt.

Was Arzneimittelpreise mit Kaugummi zu tun haben

Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer beim Pharmaverband BPI und Mediziner
Dr. Kai Joachimsen, BPI. Foto: LEG

Reizthema Arzneimittelpreise: „Sind Medikamente in Deutschland zu teuer?“, fragte Moderator Thorsten Giersch den BPI-Geschäftsführer Joachimsen. „Medikamente sind nicht gleich Medikamente. Wir sprechen einerseits über Gen- oder Zelltherapien, also Therapien, die vor wenigen Jahren noch Science-Fiction waren und die heute in der Versorgung angekommen sind und Menschen heilen können. Die kosten natürlich Geld.“ In der Basisversorgung sehe das ganz anders aus: „Für rund 82 Prozent der Medikamente, die in der Apotheke erhältlich sind, haben wir durchschnittliche Tagestherapiekosten von rund 6 Cent. Da sind wir preislich beim Kaugummi“, so Joachimsen.

Nein, Medikamente in Deutschland seien nicht zu teuer. Der BPI-Mann plädiert für einen Perspektivwechsel: „Ausgaben für Gesundheit sind Investitionen in die Gesundheit.“ Und: Gute Gesundheit setze volkswirtschaftliche Impulse. „Jeder Euro, den wir in die Gesundheitswirtschaft investieren, bringt 86 Cent Wachstum.“ Remo Gujer sekundiert: „Der Beitrag der Arzneimittel an den Gesamtkosten der GKV hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht verändert“ (s. „Arzneimittelausgaben: Real gesunken“).

Ein noch leistungsfähiges System besser und wirtschaftlicher machen: Das kann gelingen, wenn Fehlanreize beseitigt werden und auf neue Technologien und Innovationen gesetzt wird. Zum Beispiel hat Deutschland eine besonders hohe Dichte an Krankenhausbetten, wie der internationale Vergleich zeigt. Es gibt viele Behandlungen, die hierzulande im Krankenhaus, in anderen Ländern aber ambulant und dadurch günstiger durchgeführt werden – und Erkrankungen, die höhere Operationsraten vorweisen als anderswo: „Ist das wirtschaftlich sinnvoll? Ist das auch für die Patientinnen und Patienten sinnvoll?“, fragt sich Jan Esser. Remo Gujer bleibt trotz der Herausforderungen optimistisch: „Wenn wir konsequent auf die neuen Technologien setzen, auf die Digitalisierung, die Künstliche Intelligenz, das intelligente Verarbeiten von Gesundheitsdaten, dann werden wir die Herausforderungen meistern.“

Koalitionsvertrag: Der „weltweit innovativste Pharmastandort“

Die politischen Weichen stehen zumindest erstmal auf Go; im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir werden Deutschland zum weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort machen. Gemeinsam mit Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften werden wir eine Chemieagenda 2045 erarbeiten.“ Und weiter: „Wir machen Deutschland zu einem Spitzenstandort für die Gesundheitsforschung und klinische Studien. In der klinischen Forschung bauen wir Hürden ab und harmonisieren Regelungen mit anderen EU-Staaten, zum Beispiel in der CAR-T-Zelltherapie.“

Remo Gujer und Kai Joachimsen werden das gerne gelesen haben.

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