Post für die künftige Bundesregierung: In einem „Handlungsaufruf“ fordert ein Autor:innen-Kollektiv von Gesundheitsprofis die Politik auf, Gesundheit in das Zentrum politischen Handelns zu stellen. Denn: „Durch die Vermeidung von Krankheiten und die Förderung der Gesundheit wird die Produktivität direkt gesteigert – ein unverzichtbarer Faktor für die Zukunftsfähigkeit des Landes.“ Das ist eigentlich ein Low-Brainer. Aber in der öffentlichen Diskussion werde häufig ausgeklammert, welche Bedeutung Gesundheit, Gesundheitsversorgung und Gesundheitswirtschaft als zentrale „Säule für Stabilität und Wachstum“ zukommen. In dem Positionspapier mit dem Titel „Mit Gesundheit aus der Wachstumskrise“, das vom WifOR-Institut veröffentlicht wurde, haben die Expert:innen vier Handlungsfelder herausgearbeitet (s. Grafik).
Gesundheit als Fundament einer zukunftsfähigen Gesellschaft

Schon heute ist die Gesundheitswirtschaft ein ökonomisches Schwergewicht: „Mit einem Anteil von rund 12 Prozent am BIP und mehr als 8 Millionen Beschäftigten hat die Gesundheitswirtschaft im Jahr 2023 wesentlich dazu beigetragen, die Auswirkungen der Rezession abzufedern“, heißt es in dem Bericht. Das müsste Musik in den Ohren des zukünftigen Wirtschaftsministers oder der künftigen Wirtschaftsministerin sein – auch, weil das noch nicht alles ist: Denn durch die „Ausstrahlungswirkungen“ kommen indirekt 210,3 Milliarden Euro Wertschöpfung obendrauf und werden 2,7 Millionen zusätzliche Arbeitsstellen geschaffen. Jeder Euro, den die Gesundheitswirtschaft generiert, schafft zusätzlich 0,81 Euro in der gesamten Volkswirtschaft. Noch besser fällt die Bilanz der Gesundheitswirtschaft für die Menschen im Land aus, denn Studien belegen, dass Innovationen in der Gesundheitsversorgung die Krankheitslast verringern – und dadurch wiederum die Teilhabe am Leben erheblich steigern können.
Die Gesundheitswirtschaft zu fördern hätte noch weitere Folgen: Weil das Land in Forschung und Entwicklung „gut aufgestellt“ ist und die Politik wichtige Weichen gestellt hat, „um die nächste Welle der medizinischen Innovationen – der prädiktiven, präventiven, personalisierten und partizipativen Medizin“ – voranzutreiben, könnte sich Deutschland als „führend in der globalen Gesundheitswirtschaft“ positionieren. Durch Lösungen „made in Germany“.
Das WifOR-Papier fordert deshalb, dass Gesundheit als zentraler Bestandteil der Wachstumspolitik gefördert und – neben Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Bildung – als vierter Bereich bei der Priorisierung öffentlicher Ausgaben etabliert wird. Nur so könnten die Herausforderungen des demografischen Wandels abgefedert und die Versorgungs- und Lebensqualität der Bevölkerung gesichert und verbessert werden.
Prävention: Schlüssel zu nachhaltigen Finanzierung der GKV
Deutschlands Gesundheitssystem ist in erster Linie ein Reparaturbetrieb. Das kostet sehr viel Geld und verursacht, weil Potenziale zur Krankheitsvermeidung zu wenig genutzt werden, unnötiges Leid (s. Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Nur weniger ist mehr). Menschen verbringen hierzulande im Schnitt 10,82 Jahre ihres Lebens in Krankheit oder Gebrechen, zitiert das WifOR aus einer Studie. „Dabei ist inzwischen gut belegt, dass Maßnahmen wie mehr körperliche Aktivität, Training der Muskelkraft, Gewichtsreduktion, Verminderung von Nikotin- und Alkoholkonsum, sowie stärkere soziale Kontakte erheblich zur Gesundheit im Alter beitragen können“, so der Aufruf.

Gezielte Maßnahmen zur Krankheitsvermeidung würden auch eine Gerechtigkeitslücke schließen, da die Krankheitslast sozial schwächere Menschen ungleich stärker trifft: „So haben Frauen in der höchsten Einkommensgruppe eine um mehr als vier Jahre höhere Lebenserwartung als Frauen in der niedrigsten Gruppe.“ Bei Männern sind es sogar acht Jahre. Höhere Impfquoten würden einen Betrag leisten, genauso wie gezielte Früherkennungsmaßnahmen oder steuerliche Anreize für gesündere Produkte und Lebensstile. „Gesunde Menschen sind länger im Berufsleben aktiv“. Eine „proaktive Gesundheitswirtschaft“ entlastet nicht nur Sozialsysteme, sondern wirkt auch der Arbeitskräfteknappheit entgegen, fördert außerdem Wirtschaftswachstum und Innovation. Merksatz: Mehr Gesundheit passt wie die Faust aufs Auge der Probleme des deutschen Wirtschaftsstandortes.
Digitalisierung: Mehr Effizienz, mehr Innovation
In der Digitalisierung – das ist in dem Aufruf Handlungsfeld Nummer 3 – sehen die Autor:innen eine Wegbereiterin für ein effizienteres und innovativeres Gesundheitssystem.
Die sei „noch immer zu träge“. Dabei könnte allein die Telemedizin „als erste Anlaufstelle für Patienten zu einer deutlichen Effizienzsteigerung und Kostenersparnis beitragen.“ Ein effektiver Austausch von Gesundheitsdaten könnte die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur:innen verbessern und eine personalisierte Versorgung möglich machen. Ein sicherer und interoperabler Datenraum könnte der Forschung wichtige neue Impulse geben; mithilfe von Künstlicher Intelligenz ließen sich Diagnosen optimieren und personalisierte Therapieansätze entwickeln.
Gesundheitsfachberufe als Schlüsselressource

Ohne Menschen geht es nicht. Doch bis zum Jahr 2049 könnten laut Statistischem Bundesamt bis zu 690.000 Pflegekräfte fehlen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an das System: Eine alternde Gesellschaft und die „zunehmende Individualisierung“ erhöhen die Nachfrage nach gesundheitsbezogenen Dienstleistungen.
„Diese Entwicklung gefährdet nicht nur die Gesundheitsversorgung, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft“, stellt das WifOR fest. Angeregt wird deshalb eine neue Aufgabenverteilung wie „eine stärkere Einbindung der Heilberufe in therapeutische Prozesse“, allein um die Ärzteschaft zu entlasten. Neben einer klaren und planbaren Arbeitszeitgestaltung sehen die Autor:innen auch „eine gezielte und faire Anwerbung von Pflegekräften und Heilfachkräften aus dem Ausland“ als entscheidend an.
Gesundheit in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik stellen
Die Botschaft an die politisch Handelnden ist eindeutig: Die Förderung der Gesundheit ist nicht nur für die Menschen wichtig, sie liefert wertvolle Impulse für mehr Innovation, Wirtschaftswachstum und Wohlstand. „Wenn wir Gesundheit in den Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik stellen und entsprechende Investitionen tätigen, sichern wir nicht nur die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, sondern stärken auch die wirtschaftliche Resilienz unseres Landes – heute und in der Zukunft.“
Abgesehen davon, dass ein effizientes und funktionierendes Gesundheitssystem auch das Vertrauen in eine der wichtigsten Säulen unseres Sozialsystems stärken würde.
Weiterführender Link: Mit Gesundheit aus der Wachstumskrise. Ein Handlungsaufruf, WifOR-Institut
Weitere News:

Nischenthema Gesundheit
Während das Land in den Wahlkampf schlittert und sich die Parteien für die Wahl im Herbst 2025 positionieren, bleibt ein Thema weiter in der politischen Nische: Die Gesundheit. Das ist aus medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gründen eine Katastrophe. Ein Kommentar von Florian Martius.

Unbezahlbar: Das Gesundheitssystem als Reparaturbetrieb
Gesundheits- und Sozialsysteme weltweit stehen unter Druck – und den Menschen werden entweder immer höhere Abgaben zugemutet oder sie werden schlicht nicht nach den Möglichkeiten behandelt, welche die moderne Medizin zur Verfügung hat. Oder beides. Die Begründung: Es fehle an Geld. Aber das stimmt nicht wirklich. Wir müssen nur weg vom Gesundheitssystem als reinem Reparaturbetrieb.

Bluthochdruck: Gefährlich und gefährlich unterschätzt
Dass Bluthochdruck gefährlich ist, ist bekannt. Trotzdem ist weltweit die Hälfte der Betroffenen nicht diagnostiziert. Viele weitere haben zwar eine Diagnose, aber sind nicht in Behandlung oder sind nicht richtig eingestellt. Die Folgen: Herzinfarkte, Schlaganfälle, frühzeitiger Tod. 1,3 Milliarden Menschen leiden weltweit unter Hypertonie – eine Verdopplung innerhalb von 30 Jahren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will gegensteuern: „Prävention und Therapie von Bluthochdruck sind machbar, kostengünstig und sicher“, heißt es im „Global Report on Hypertension.“