Insgesamt beteiligten sich 35 Expert:innen an der Studie, bei der es um das komplizierte Zusammenspiel von IT-Systemen, digitalen Angeboten zur Gesundheitsversorgung und eben jenen Plattformen ging, die entscheidend für eine erfolgreiche Digitalisierung sind. „Wir laufen gerade in eine Krise hinein, die viel mit der demografischen Situation in Deutschland zu tun hat“, erklärte Karsten Knöppler, der die Studienergebnisse präsentierte. Der Geschäftsführer einer Berliner Beratungsgesellschaft stellte gleich zu Beginn klar: „Digitalisierung kann dem Auseinanderdriften von Versorgungsbedarf und Versorgungsrealität entgegenwirken.“ Voraussetzung dafür sei allerdings „kooperierendes Denken“. Die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen müssten also zusammenarbeiten statt sich abzugrenzen, denn: „Abgrenzung führt zu Ineffizienz im System.“
Bei den digitalen Plattformen gibt es drei verschiedene Typen:
- Entwicklungs- und Produktplattformen: Sie stellen Komponenten bereit – von der Software bis zur Dienstleistung – auf deren Basis ein Produkt entsteht, das die Plattform-Nutzer:innen ihren Kund:innen zur Verfügung stellen.
- Integrationsplattformen: Sie verknüpfen verschiedene Systeme, zum Beispiel ein Arzt-Informationssystem mit einem Klinik-System.
- Vernetzungsplattformen: Sie verbinden keine Systeme, sondern Akteure – also Menschen, die eine solche Plattform nutzen. Typisches und zugleich bekanntestes Beispiel ist „Facebook“.
Offenheit als Erfolgsfaktor
All diese Plattformen haben eines gemeinsam: Sie bilden so genannte „Ökosysteme“ ab – diese haben nichts mit Umwelt und Naturschutz zu tun, sondern benennen die beteiligten „Akteure und Zielgruppen“. Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren einer Plattform zählt Knöppler ihre Offenheit. Denn eine offene und leicht zugängliche Plattform zieht mehr Nutzer:innen an. Diese bestehen im Gesundheitswesen allerdings nicht wie sonst so häufig aus Anbieter:innen und Verbraucher:innen, sondern sie sind, so die Studie, „dreigeteilt in Bürger, Leistungserbringer und Kostenträger.“ Integrations- und Vernetzungsplattformen umfassen dabei vor allem „die Bereiche Verwaltung, Versorgung, Kommunikation, Daten und Tarife“. Bei den Entwicklungs- und Produktplattformen geht es dagegen eher um IT-Komponenten.
Knöppler sprach sich für eine „vernetzte und koordinierte Versorgung“ aus, bei der „mehrere Sektoren zusammenarbeiten.“ Das Problem: Die dafür notwendigen Systeme seien bislang erst wenig etabliert – und wenn, dann bilden sie „überwiegend Verwaltungssysteme ab.“ So ist es heute zum Beispiel zumeist relativ einfach möglich, Arzttermine online zu vereinbaren. Das sei durchaus erfreulich, so Knöppler, aber: „Wir bräuchten vor allem Systeme, um die Versorgung effizienter zu machen.“
Mehrwert muss erkennbar sein
Damit solche Systeme etabliert werden können, müssen die Akteure nach Knöpplers Überzeugung dazu motiviert werden, auch mitzumachen. Wie das gehen könnte? „Wenn der Mehrwert erkennbar wird“, so Knöppler. „Wir brauchen Wertschöpfung für Patienten, Leistungserbringer, Krankenversicherungen.“
Die Studie identifizierte 7 Handlungsfelder „zur Förderung des Plattformwettbewerbs im Gesundheitswesen“:
- Es müssen Versorgungsziele definiert werden, etwa zur Prävention, zur Notfall- und Akutversorgung, zu den Bereichen „Pflege“ und „chronische Erkrankungen“.
- Es braucht ein „organisatorisches Zielbild für vernetzte Versorgung“: Dabei geht es insbesondere darum, analoge und digitale Versorgung miteinander zu verbinden.
- Ebenso wichtig ist ein „technisches Zielbild für vernetzte Versorgung“: Dazu müssten laut Studie „organisatorische, fachliche und technische Ebene in Einklang“ gebracht werden.
- Es sollten „Versorgungsangebote“ entwickelt werden – je stärker dabei die digitale Vernetzung ausgeprägt ist, desto eher können „Produktivitäts- und Innovationsreserven“ genutzt werden.
- Es kommt entscheidend darauf an, „medizinische Daten und Funktionen des Versorgungsmanagements“ auf den Plattformen bereit zu stellen – dazu sei eine „gemeinsame Anstrengung aller Akteure essenziell“.
- Die „digitale Reife bei allen beteiligten Leistungserbringern, Kostenträgern und Bürgern als Basis für ein Versorgungsmanagement“ sollte gefördert und verbessert werden.
- Das Synergiepotenzial zwischen „nationaler E-Health-Infrastruktur und privaten Plattformen“ sollte genutzt werden.
Der wirklich entscheidende Punkt bei all diesen Handlungsfeldern ist, so Karsten Knöppler, die Frage: „Wo kooperieren wir?“ Denn nur, wenn alle Beteiligten miteinander und nicht gegeneinander arbeiten, kann die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen vorankommen. Digitale Plattformen sind dabei wichtige Werkzeuge – aber es sind Menschen, die diese Werkzeuge in die Hand nehmen müssen.
Die Online-Veranstaltung „Studienergebnisse: Steigerung von Innovation und Produktivität durch Einsatz digitaler Plattformen“ (30. September 2022) wurde von Siemens Healthineers organisiert – die Studie selbst wurde von der Beratungsgesellschaft _fbeta in Zusammenarbeit mit dem Berliner Innovationsnetzwerk „Flying Health“ durchgeführt.
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