
HSK – das ist, wenn sich rund 5.000 Menschen auf ca. 90 Paneldiskussionen und anderen Events treffen, um über die Trends und Perspektiven des deutschen Gesundheitswesens zu diskutieren. Den HSK gibt es schon lange; in den vergangenen Jahren hat aber ein Thema immer mehr Raum gewonnen: Die Finanzkrise der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Vielleicht hatten die Veranstalter deshalb auf Riesenplakaten die Botschaft anbringen lassen: „Unser Gesundheitswesen braucht alle Intelligenz. Jetzt.“ Schaut man sich allerdings das an, was zur finanziell aus dem letzten Loch pfeifenden GKV im aktuellen Haushaltsentwurf nachzulesen ist, ist zweifelhaft, ob zumindest das „Jetzt“ auf der politischen Bühne angekommen ist.
Seit Jahren klagen Kassenmanager:innen, dass sie für milliardenschwere Sozialleistungen aufkommen müssen, deren Begleichung eigentlich die Aufgabe des Bundes wäre – das sind die sogenannten versicherungsfremden Leistungen. Zwar gibt es einen Bundeszuschuss, der die Belastungen abfedern soll; in diesem Jahr beträgt er 14,5 Milliarden Euro. Der aber deckt die realen Kosten nicht ab; allein bei den Krankheitskosten der Bürgergeldempfänger:innen zahlt die GKV zehn Milliarden Euro drauf. Dies zu korrigieren haben sich schon die Autor:innen der vergangenen zwei Koalitionsverträge vorgenommen. Passiert ist nichts.
Stattdessen nun die Idee aus dem Bundesfinanzministerium, dass die Gesundheits- und Pflegekassen zusätzlich einen Überbrückungskredit bekommen sollen, der – glaubt man den Vertretern der GKV – unter dem liegt was nötig wäre, um weitere Beitragserhöhungen zu vermeiden, und das Problem nur fortschreibt, statt es endlich zu lösen. Dabei wäre diese Korrektur dringend nötig, schon aus Gründen der Steuergerechtigkeit. Schließlich sollte man sich als GKV-Mitglied darauf verlassen können, dass die gezahlten Beiträge auch für die GKV und ihre Versorgungsleistungen ausgegeben werden und nicht für Sozialleistungen, die der Bund bezahlen muss. Es ist wohl kein Geheimnis, dass Bundesgesundheitsministerin Nina Warken sich eine andere, eine nachhaltigere Lösung gewünscht hätte. Wann, wenn nicht jetzt, wo dem Bund gefühlt so viel Geld zur Verfügung steht wie niemals zuvor, will der Gesetzgeber diese Hypothek der GKV lösen, damit eine zentrale Säule des Sozialstaates finanzielle Luft zum Atmen bekommt? Mit einem Überbrückungskredit könne man „den Finanzdruck kurzfristig etwas mildern, aber nicht lösen. Es ist eine Übergangsfinanzierung, die eine Brücke baut, bis wirksame Strukturreformen greifen“, sagte Warken auf dem HSK.
Neue Arzneimittelspargesetze?

Aus der GKV kommt an dieser Stelle immer die Forderung, bei den Arzneimittelausgaben zu sparen – und hier insbesondere bei den neuen, den patentgeschützten Medikamenten. Die forschenden Unternehmen sehen das naturgemäß anders. Martin Völkl, Deutschlandgeschäftsführer bei der auf Krebsforschung spezialisierten Firma BeiGene, betonte: „Die medizinische Forschung bringt uns enorme Fortschritte, die Krebsüberlebensraten konnten in den vergangenen Jahren verbessert werden, die Patienten profitieren von längeren Lebenszeiten und besserer Lebensqualität – und das bei seit Jahrzehnten anteilig konstanten Ausgaben für die GKV.“ Seine Sorge ist, dass die Stabilisierung der GKV-Finanzen letztlich auf Kosten von Forschung und Innovation erfolgt, wenn die Preise für Arzneimittelinnovationen weiter unter Druck kommen. „Es braucht Anreize“, so Völkl. „Anreize für Forschung und Innovationen.“
Auch Dr. Robert Welte von Gilead Sciences fehlt in der ganzen Diskussion der holistische Ansatz: „Wir schauen uns einen Block an, die Ausgaben der GKV für Arzneimittel, aber betrachten nicht, was das für Folgen in einem anderen Bereich des Gesundheitswesens hat“ – etwa, wenn neue Arzneimittel dafür sorgen, dass Menschen kürzer oder gar nicht mehr ins Krankenhaus müssen oder wieder früher ein gesellschaftlich aktives Leben führen können und dadurch Sozialkassen entlasten. Preisbetrachtungen, die den Nutzen, den ein Arzneimittel stiftet, nicht berücksichtigen, machen keinen Sinn. Weil aber in der GKV dringend benötigte strukturelle Reformen auf die lange Bank geschoben werden, ist in der Industrie die Sorge vor kurzfristigen Spareingriffen groß, wie es im Jahr 2023 mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) passiert ist. Zur Stabilisierung des Systems hat es wenig beigetragen. „Für die Industrie war es eine Katastrophe. Warum? Weil die Rahmenbedingungen für die Preisbildung von Innovationen kaputt gegangen sind.“ Welte erklärte: „Wenn ihr Produkt gleich gut ist, oder ein bisschen besser, bekommen sie unter bestimmten Voraussetzungen weniger dafür.“ Die etablierte Regel im deutschen Preisfindungssystem, dass ein besseres Arzneimittel mehr kosten darf als das Vergleichspräparat, wurde damit ausgehebelt.
Anreize sehen anders aus: Der „dynamisierte Herstellerrabatt“

Um kurzfristig sein Budget zu retten, schlägt Andreas Storm, Chef der DAK-Gesundheit, vor, einen dynamisierten Herstellerrabatt auf Arzneimittel einzuführen. Das wäre de facto ein Rabatt nach Kassenlage, ein Rabatt, der am Ende eines Jahres nach oben angepasst wird, damit das vorher verabredete Arzneimittelbudget auch eingehalten wird. Für die Hersteller und Entwickler neuartiger Arzneimittel wäre das wohl das Ende der Planbarkeit – die Unternehmen müssten sich von einer seriösen Budgetplanung verabschieden.
Die Hoffnungen, dass die neue Regierung sich um die Großbaustelle Gesundheit kümmert, haben sich bisher nicht erfüllt – Überbrückungskredite ersetzen kein Konzept. Unter den großen Themen, die sich die Merz-Regierung auf die Fahnen geschrieben hat, bleibt Gesundheit ein B-Promi. Das ist weder eine gute Nachricht für die fast 75 Millionen Versicherten, noch für die Menschen, die diese in diesem System versorgen. Sollten sich die Krankenkassen mit ihren Sparplänen zulasten von Arzneimittelinnovationen durchsetzen, wird das die Forschungslandschaft Deutschland zurückwerfen. Anreize zur Entwicklung von wirksamen und sicheren Arzneimitteln gegen Krebs, Alzheimer und Co. sehen definitiv anders aus.
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