Mit einem Masterplan Pharma hat der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik nach der Bundestagswahl vorgelegt. Foto: © BPI / Peter Steinheisser
Mit einem Masterplan Pharma hat der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik nach der Bundestagswahl vorgelegt. Foto: © BPI / Peter Steinheisser

Mehr Gesundheit, mehr Wohlstand: Pharma als neue Leitindustrie

Mit einem Masterplan Pharma hat der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik nach der Bundestagswahl vorgelegt. Das Ziel: eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle und eine gestärkte Wirtschaft. Im Pharma Fakten-Interview sprechen der Vorsitzende Oliver Kirst und Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen darüber, was sich ändern muss.

Wie beurteilen Sie, dass das Thema Gesundheit im Wahlkampf gar keine Rolle gespielt hat?

Oliver Kirst. Foto: © BPI/Rafalzyk
Oliver Kirst. Foto: © BPI/Rafalzyk

Oliver Kirst: Das ist tragisch, denn eine hochwertige Gesundheitsversorgung ist ein hohes Gut und es ist offensichtlich, dass es Handlungsbedarf gibt. Andererseits, wenn man den Fokus auf Wirtschaft und Wachstum setzt, heißt das, dass ich die industrielle Gesundheitswirtschaft (iGW) mitdenken muss. Die industrielle Gesundheitsindustrie ist eine Leitindustrie in unserem Land mit einem sehr hohen Innovationsgrad und großem Wachstumspotenzial. Damit sorgt die iGW für Beschäftigung sowie Wirtschaftswachstum und ist ein Garant für eine hochwertige Gesundheitsversorgung. Bisher ist das Thema aber im Prozess der Regierungsbildung sehr wenig präsent.

Gesundheit vernachlässigen – ist das nicht auch verantwortungslos?

Dr. Kai Joachimsen: Wahrscheinlich auch das. Es gibt nicht so viele Branchen, auf die man als Zukunftsbranche setzen kann. Die Lebenswissenschaft ist so eine Zukunftsbranche – noch haben wir hierzulande eine führende Wissenschaftslandschaft, tolle Universitätskliniken und viele Patente, die aus diesen Strukturen entstehen. Und dann haben wie eine Industrie, die das in Leistung und Produkte übersetzt. Der volkswirtschaftliche Aspekt unserer Industrie ist enorm: 130.000 direkte Arbeits- und Ausbildungsplätze allein in den Pharmaunternehmen. Mit jedem Euro, der investiert wird, entsteht zusätzliche Wertschöpfung in Höhe von 86 Cent. All das lässt nur einen Schluss zu: Wir sind Teil der Lösung. Und jetzt haben wir noch gar nicht von den gesundheitlichen Aspekten gesprochen.

Dr. Kai Joachimsen. Foto: © BPI / Kruppa
Dr. Kai Joachimsen. Foto: © BPI / Kruppa

Was muss sich ändern?

Joachimsen: Wir haben dringenden Handlungsbedarf. Die Folgen des demografischen Wandels lösen sich nicht von allein – weder, was die steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, noch was den Fachkräftemangel angeht. Unser Gesundheitssystem ist hochgradig komplex und ineffizient, wir haben eine teilweise desolate Infrastruktur. Es fehlt an Wertschätzung für all die Menschen, die trotz dieser Bedingungen Tag für Tag versuchen, ihr Leben in den Dienst von Patientinnen und Patienten zu stellen. Das alles hat Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung kranker Menschen.

Die Ampel hat die Nationale Pharmastrategie erarbeitet und auch teils mit der Umsetzung begonnen. Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung?

Kirst: Das ist definitiv der Schritt in die richtige Richtung. Mit dem Medizinforschungsgesetz haben wir nun ein Gesetz, um Forschung und Entwicklung in Deutschland zu stärken. Aber: Man muss diesen Schritt auch bis zum Ende gehen. Das bedeutet, dass es nicht ausreicht, Forschung und Entwicklung (F&E) zu stärken, man muss auch das entsprechend honorieren, was als Ergebnis dieser Bemühungen entsteht – in unserem Fall sind das Arzneimittelinnovationen. Wenn ich aber sehe, dass wir in Deutschland noch immer rund 30 Preis- und Mengenregulierungen haben, dann ist das eine Politik der Regulierungen, der Restriktionen. Die Folge davon ist: Forschungsinvestitionen werden nicht entsprechend honoriert – und daran muss gearbeitet werden. Das sind die Zwangsrabatte, Kombinationsrabatte, das ist aber auch ein Preismoratorium, das die Preise von Arzneimitteln auf dem Stand von 2009 einfriert und das im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bis 2026 verlängert wurde. Wir haben die Abschläge auf Kombinationspräparate, die so kompliziert sind, dass sie gar nicht umsetzbar sind, und die bereits im System rabattierte Innovationen mit zusätzlichen Abschlägen belasten. Da muss korrigiert werden. Und das gilt auch für das AMNOG – das System zur Bewertung des Zusatznutzens von neuen Therapien als Basis für die Preisbildung – dessen Reform wir schon länger fordern gerade im Hinblick auf neuartige Therapien wie bei Gen- und Zelltherapien.

Forschung fördern. Foto: ©iStock.com/metamorworks
Forschung fördern. Foto: ©iStock.com/metamorworks

Joachimsen: Statt auf Restriktionen zu setzen, sollte man gerade bei der Preisbildung die Dinge weiterentwickeln. Und damit dem Fortschritt Rechnung tragen, der – Stichwort Gen- und Zelltherapien – klar in Richtung personalisierte Medizin geht. Ich denke dabei an Pay-for-Performance-Modelle , die wir als Industrie seit Jahren vorschlagen, die aber in Deutschland an den komplexen Strukturen der Krankenkassenlandschaft scheitern. Um das nochmal zu unterstreichen: Komplett ist die Pharmastrategie erst, wenn wir nicht nur F&E fördern, sondern auch dafür sorgen, dass die Marktbedingungen besser werden. Und dann haben wir noch den Aspekt der Grundversorgung der Menschen mit chronischen Erkrankungen – das sind die Medikamente, für die das System nur noch Cent-Beträge zur Verfügung stellt. Da haben wir schon lange Bedingungen, bei denen sich ein Unternehmer, eine Unternehmerin fragen muss, ob er oder sie solche Produkte überhaupt noch in Deutschland herstellen kann. Eine direkte Konsequenz sind die immer noch rund 500 Lieferengpässe – das ist inakzeptabel.

Die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) am Limit, die Versicherungsbeiträge historisch hoch. Befürchten Sie in der neuen Legislaturperiode neue Spargesetze á la GKV-FinStG?

Foto: iStock.com / JARAMA
Foto: iStock.com / JARAMA

Kirst: Wenn wir jetzt eine Regierung bekommen, die einen klaren Wirtschaftskurs fährt, dann gehe ich davon aus, dass man schnell realisieren wird, dass das komplett kontraproduktiv wäre. Denn solche Gesetze drehen einer Wachstumsbranche den Hahn ab; sie wird dann zur Konsolidierung der Wirtschaft wenig beitragen können. Meines Erachtens haben wir kein Einnahmeproblem in der GKV, sondern ein enormes Effizienzproblem: Das zeigt schon die Tatsache, dass wir zwar eines der teuersten Gesundheitssysteme haben, wir aber zum Beispiel bei der Lebenserwartung nur europäisches Mittelmaß sind. Wir müssen unser Gesundheitssystem neu denken: Wir müssen signifikant entbürokratisieren, wir müssen bei der Digitalisierung Tempo machen. Die Kosten, die durch Arzneimittel in der GKV verursacht werden, sind seit Jahren stabil und liegen bei rund elf Prozent der Gesamtausgaben. Spargesetze auf Arzneimittel suggerieren, dass sie für die GKV ein Kostentreiber sind. Das stimmt nicht.

Joachimsen: Ganz nebenbei wären Spargesetze der Lackmustest, dass die Pharmastrategie dann doch nicht zu Ende gedacht worden ist. Und noch einmal: Wir reden hier von elf Prozent der GKV-Ausgaben und diese Zitrone ist wirklich ausgepresst.

Kirst: Weitere Spargesetze hätten vor allem massive Folgen für die Gesundheitsversorgung. Die Unternehmen kämpfen ja nicht nur mit seit 16 Jahren eingefrorenen Preisen, sie bekommen auch ständig neue Rechnungen präsentiert, wie etwa die EU-Kommunalabwasser-Richtlinie. Der Bau und Betrieb der 4. Reinigungsstufe wird die Pharma- und Kosmetikindustrie in den nächsten 20 Jahren mit hohen Kosten in Milliardenhöhe belasten. Das trifft vor allem mittelständische Unternehmen, wo, bedingt durch die Ausschreibungen, die Margen sowieso schon marginal sind. Diese Unternehmen müssen sich überlegen, ob sie Produkte aus der Grundversorgung überhaupt noch produzieren. Diese Art zu sparen, ist sehr teuer: Sie wird die Versorgung der Menschen mit relevanten Medikamenten verschlechtern.

Mit Blick auf die Regierungsbildung: Was muss aus Ihrer Sicht unbedingt in den nächsten Koalitionsvertrag?

Hochwertige Gesundheitsversorgung für Deutschland? Foto: ©iStock.com/jotily
Hochwertige Gesundheitsversorgung für Deutschland? Foto: ©iStock.com/jotily

Kirst: Um eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, haben wir den Masterplan Pharma ausgearbeitet, der sechs Punkte enthält. Ganz oben steht das Thema Innovation: Es muss ein schneller Zugang für die Patientinnen und Patienten zu Innovationen auch in Zukunft gewährleistet sein und wir müssen die Förderung von Forschung weiter forcieren. Wir fordern, dass die Entwicklung von Therapien gegen seltene Erkrankungen weiterhin gefördert wird; diese Patientinnen und Patienten haben das gleiche Recht auf bestmögliche Versorgung. Instrumente wie Herstellerrabatte und das Preismoratorium müssen abgeschafft werden. Außerdem braucht die Industrie einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten, einfach, weil wir damit die Chance haben, viele der heute noch ungelösten medizinischen Fragestellungen zu lösen und somit die Versorgung verbessern können.

Joachimsen: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Produktion. Um die sicherzustellen – und damit eine verlässliche Versorgung der Menschen mit Medikamenten – braucht die Industrie stabile Produktionsbedingungen. Die werden wir so lange nicht haben, wie die Preise so herunterreguliert werden wie bisher. Erratisch erhöhte Herstellerrabatte nach Kassenlagen sind Gift für die Unternehmen, von denen die allermeisten in Deutschland Mittelständler sind. Wir brauchen dringend eine Reform der Rabattverträge. Es kann nicht sein, dass sowieso schon knappe Arzneimittel ausgeschrieben werden, es kann nicht sein, dass der Preis das einzige Kriterium ist und wichtige Dinge wie Liefersicherheit keine ausreichende Berücksichtigung finden. Dazu haben wir sehr konkrete Vorschläge gemacht.

Pharma als neue Leitindustrie. Foto: © BPI / Peter Steinheisser
Pharma als neue Leitindustrie. Foto: © BPI / Peter Steinheisser

Kirst: Diese Rotstift-Politik hat unmittelbare Folgen für den Standort, denn sie verdrängt Unternehmen ins Ausland. Das ist gerade angesichts der angespannten geopolitischen Situation eine Katastrophe, weil wir so langfristig keine eigene Produktion mehr haben werden, wenn das so weiter geht. Und wir sind sowieso schon hochgradig abhängig, gerade bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln wie Antibiotika, die zu rund 90 Prozent in China hergestellt werden. Zugleich ist es aber extrem schwierig, Produktion wieder zurückzuholen; ein neues Werk hier in Deutschland zu eröffnen, ist eine Frage von Jahren. Nur zur Erinnerung: Wir haben in Europa nur noch eine einzige Produktionsstätte für Antibiotika. Das ist fatal. Deshalb muss es das Ziel sein, die Unternehmen, die hier noch produzieren, zu halten – und dafür brauchen sie Planungssicherheit und Verlässlichkeit.

Was ist Ihr Angebot an die Politik? Was kann die Industrie anbieten?

Joachimsen: Unser Angebot ist: eine noch bessere Gesundheitsversorgung, eine passgenaue Versorgung. Gleichzeitig können wir Wachstumsmotor für unser Land sein – wenn man uns lässt. Dafür brauchen wir gar nicht viel: Mehr Beinfreiheit, viel mehr Planungssicherheit und weniger Bürokratie.

Kirst: Unsere iGW ist die neue Leitindustrie. Als Innovations- und Wachstumsmotor, als Garant für eine hochwertige Gesundheitsversorgung. Das bringen wir mit und leisten als BPI unseren Anteil daran. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern, die alle Bereiche der Branche vertreten, machen wir uns seit Jahren für stabile Produktions- und Lieferbedingungen in der Versorgung sowie für faire und investitionsfreudige Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung stark. Mit unserem breit aufgestellten Netzwerk auf Landes-, Bundes- und Europaebene bleiben wir weiter im Austausch mit allen politischen Entscheidungsträgern, die ebenso wie wir das Ziel verfolgen, gemeinsam den Pharmastandort Deutschland – von der Forschung bis zur Produktion von Arzneimitteln – voranzubringen und zugleich bestehende bürokratische Hürden für Unternehmen abzubauen. Wir sorgen dafür, dass es Deutschland wieder gut geht.

Weiterführender Link: BPI: Masterplan Pharma

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