Pharmazeutisch tätige Unternehmen haben zwischen 2017 und 2021 4.341 Patentanmeldungen in Deutschland getätigt. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov
Pharmazeutisch tätige Unternehmen haben zwischen 2017 und 2021 4.341 Patentanmeldungen in Deutschland getätigt. Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

Patente: Arzneimittelinnovationen made in Germany?

Pharmazeutisch tätige Unternehmen haben zwischen 2017 und 2021 4.341 Patentanmeldungen in Deutschland getätigt. Das zeigt eine Auswertung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). „Erfolgreiche Patentanmeldungen spielen für die Zukunftsfähigkeit der heimischen Industrie im globalen Wettbewerb eine entscheidende Rolle“, so die Autor:innen. Doch unter anderem „in der Translation von der Grundlagenforschung bis zur Durchführung klinischer Studien zeigen sich Schwächen am Standort.“

Patente sind der Motor für Fortschritt. Denn: Sie schützen geistiges Eigentum. Sie sorgen dafür, dass Erfinder:innen für eine gewisse Zeit keine Nachahmung befürchten müssen und letztlich einen entsprechenden „Erfinderlohn“ erwirtschaften können. Das ist Voraussetzung, damit Menschen und Unternehmen in Ideen für Innovationen investieren, deren Ausgang und Erfolg ungewiss ist (s. Pharma Fakten). Das gilt besonders für die Pharmabranche, die sich komplexen, langwierigen Herausforderungen wie Krebserkrankungen stellt. Laut eines Berichts des IQVIA-Institute vergehen Median 14 Jahre, bis ein neuer Krebs-Wirkstoff nach der ersten Patentanmeldung in der Versorgung kranker Menschen verfügbar ist (s. Pharma Fakten). In all dieser Zeit stecken Firmen ihr Geld und ihre Ressourcen in die Forschung und Entwicklung – das geht nur, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sind und Aussicht darauf haben, dass sich ihre Arbeit finanziell lohnt. Denn wenn das nicht der Fall ist, können diese Firmen auf lange Sicht nicht mehr an weiteren Innovationen arbeiten – etwa im Kampf gegen Morbus Alzheimer.

Innovationszentren der Pharmaindustrie in Deutschland

Innovationszentren der Pharmaindustrie in Deutschland
Deutschland 2017 – 2021: Rund 4.300 Patentanmeldungen. ©iStock.com/Lilkin

Wie eine Auswertung des IW in Köln zeigt, haben pharmazeutisch tätige Unternehmen hierzulande zwischen 2017 und 2021 rund 4.300 Patentanmeldungen getätigt – sie sind „für 1,8 Prozent aller Anmeldungen am Forschungsstandort Deutschland verantwortlich“, schreiben Maike Haag und Simon Schumacher vom IW in einem Bericht. „Bei mehr als 90 Prozent dieser Patentanmeldungen liegt der Wohnsitz des Erfindenden in einem der sechs Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz oder Berlin“:

  • Spitzenreiter ist Hessen: 1.093 kumulierte Patentanmeldungen registriert das IW für 2017 bis 2021. „Pharmazeutisch tätige Unternehmen tragen am Standort über 8 Prozent aller Patentanmeldungen im Betrachtungszeitraum, was die Bedeutung der Pharmaindustrie für den Innovationsstandort Hessen unterstreicht“, heißt es. Besonders Frankfurt und Darmstadt stechen hervor.
  • Nordrhein-Westfalen „ist in Absolutwerten ein Top-Player in Bezug auf die pharmazeutische Patentaktivität und belegt den zweiten Platz“ (748). Die patentaktivsten Kreise Köln und Mettmann „befinden sich in Pendeldistanz zu den pharmazeutisch tätigen Unternehmen in der Region.“
  • Mit 732 Patentanmeldungen zählt auch Baden-Württemberg zu den im Pharmasegment aktivsten Bundesländern. Die meisten Erfinder:innen wohnen in Mannheim und Tübingen. Trotzdem tragen pharmazeutisch tätige Unternehmen dort nur mit einem Anteil von rund 1 Prozent zum gesamten Patentgeschehen bei. „Das ist aber weniger auf eine Schwäche des Pharmastandorts zurückzuführen“. Vielmehr sei Baden-Württemberg „insgesamt aufgrund seiner gut aufgestellten und diversifizierten Branchenstruktur besonders patentaktiv“, erklären die IW-Autor:innen.
  • „Mit 626 pharmazeutischen Patentanmeldungen im Betrachtungszeitraum belegt Bayern Platz 4 im Bundesländerranking.“ Vor allem das Biotechnologie Cluster in und um München habe „sich in den vergangenen Jahren zu einem der führenden in Europa entwickelt. In enger räumlicher Nähe sind universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen mit interdisziplinärem Fokus auf Life Sciences und Biotechnologie angesiedelt“, heißt es.
  • Auf Rheinland-Pfalz entfallen 513 Patentanmeldungen. Pharmazeutische Unternehmen verantworten hier 7 Prozent aller im Bundesland angemeldeten Patente. Besonders stark ist der Landkreis Mainz-Bingen. „Dabei ist zu vermuten, dass der Standort zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen wird. Auch, weil die hier angesiedelte Pharmaindustrie eine bedeutende Rolle in der Impfstoffentwicklung eingenommen hat“, so die Autor:innen.
  • Berlin „verzeichnet 248 pharmazeutische Patentanmeldungen im Betrachtungszeitraum.“

International: Innovationsstandort Deutschland schwächelt

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Patentanmeldungen: Europa fällt seit Mitte der 2000-er Jahre zurück. Foto: ©iStock.com/gorodenkoff

„Erfolgreiche Patentanmeldungen“ seien „für die Zukunftsfähigkeit der heimischen Industrie im globalen Wettbewerb“ von entscheidender Bedeutung, betonen Haag und Schumacher. Doch im internationalen Vergleich habe Deutschland als Innovationsstandort „an Boden verloren“. Vor allem China verzeichnet einen rasanten Aufstieg, wie eine Auswertung des Pharmaverbands vfa zeigt: Die Patentanmeldungen aus der Volksrepublik haben sich im Pharmabereich seit der Jahrtausendwende fast um das dreißigfache erhöht. Nur die USA sind stärker. Europa fällt seit Mitte der 2000-er Jahre zurück, ebenso gilt das für Deutschland.

Hinzu kommt: „Vor allem in der Translation von der Grundlagenforschung bis zur Durchführung klinischer Studien zeigen sich Schwächen“ in der Bundesrepublik, erklärt das IW. Wie das Ärzteblatt berichtete, gibt es aus Sicht von Prof. Dr. Eicke Latz, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ), „gute Anfütterungsmechanismen“ für die Grundlagenforschung, aber keine für den Aufbau von Unternehmen. Er sieht zu wenige Venture-Capital-Investoren und eine zu große Risikoaversität bei deutschen Geldgeber:innen. Auch die Rahmenbedingungen für die Vergabe von Risikokapital seien nicht attraktiv genug. Die Folge: Grundlagenforschung aus Deutschland wird – über Ausgründungen mit innovativen Produkten – zu Geschäftsmodellen in den USA gemacht.

Haag und Schumacher denken, dass die im vergangenen Dezember beschlossene Nationale Pharmastrategie dazu beitragen kann, „die Translationsschwäche entlang der gesamten Innovationspipeline zu überwinden“. Sie halten die „Beschleunigung klinischer Studien am Standort“, den „Abbau bürokratischer Hürden“ sowie den geplanten „Zugang zu Gesundheitsdaten des Forschungsdatenzentraums auch für private Akteure“ für „gute Ansätze“. Nun bedarf es „einer schnellen Umsetzung und konsequenten Weiterverfolgung des von der Politik eingeschlagenen Weges.“ Das Potenzial ist groß: „Die Pharmaindustrie gilt als eine der innovativsten Spitzentechnologiebranchen in Deutschland“, betonen die IW-Fachleute. „Im Jahr 2021 reinvestierten die Unternehmen durchschnittlich 11,6 Prozent ihres Umsatzes in interne Forschungsprojekte und Auftragsforschungen an Dritte“. Der Schwerpunkt liege dabei auf der „Forschung, Entwicklung und der Produktion technologisch komplexer, hochinnovativer Wirkstoffe und Arzneimittel“.

Weiterführende Links:
IW-Kurzbericht 50/2024, „Pharmazeutische Forschungszentren: Patentaktivität braucht räumliche Nähe“

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