Es waren prophetische Worte, mit denen Stephan Grävinghoff die Teilnehmenden begrüßte. Der Senior Direktor Key Account Management beim forschenden Pharmaunternehmen Lilly Deutschland erklärte, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei ein „gallisches Dorf der Themen, das sich hartnäckig allen Einflüssen gegenüber behauptet.“
Wie wichtig es wäre, dies zu ändern, zeigte der Vortrag von Dr. Sylvia Demme, Abteilungsleiterin Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung beim Bundesamt für Soziale Sicherung: Demnach wurde die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den Gesundheitskosten seit Beginn der 1990er-Jahre immer größer. Allein in diesem Jahr liegt das Defizit nach dem 3. Quartal bei 3,6 Milliarden Euro, bis zum Jahresende werden es rund 5 Milliarden Euro sein. Für 2025 erwartet der GKV-Schätzerkreis eine Finanzierungslücke von 13,8 Milliarden Euro. Was also tun?
Gesundheitssystem: Mehr Effizienz
Abwarten, das wurde schnell klar, ist keine Lösung. Prof. Dr. Jürgen Wasem, Lehrstuhl-Inhaber für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen, erklärte: „Die Schere wird in den kommenden Jahren tendenziell größer werden.“ Grund dafür sei die demografische Entwicklung mit einem deutlichen Anstieg der über 65-Jährigen und auch der Hochbetagten, die 85 Jahre und älter sind. Das bedeutet: „Von der Ausgabenseite wird der Druck eher zunehmen“ – die Einnahmen hingegen werden eher sinken, auch, weil Menschen in Rente geringere Krankenkassenbeiträge zahlen. Die Lösung des Problems klingt einfacher als sie ist: „Wir müssen Kostensenkungen durch Effizienzsteigerungen bewirken, ohne die Versorgung dabei zu verschlechtern.“
Doch wie genau bringt man die Wollmilchsau dazu, Eier zu legen? Eine Möglichkeit fällt unter das Stichwort „Digitalisierung“: Sie könnte teure Doppel-Befunde reduzieren und dabei helfen, dass in Krankenhäusern und Arztpraxen effizienter gearbeitet werden kann. Allerdings gehen solche Effizienzsteigerungen nach Wasems Worten „kurzfristig mit Mehrausgaben einher.“ Der Nutzen zeige sich erst längerfristig, doch unabhängig davon erklärt Wasem: „Ich bin skeptisch geworden, dass wir das Erweitern der Schere durch Rationalisierungshebungen werden schließen können.“
Gesundheit: Eigenverantwortung stärken
Auch Beitragsanstiege seien kein Allheilmittel, zumal von ihnen „auch negative gesamtwirtschaftliche Effekte ausgehen“ und der Gesetzgeber den „Grundsatz der Beitragsstabilität“ festgelegt habe. Wasem plädierte dafür, bei den Krankenkassenbeiträgen eine „Art Stabilisierungsfaktor“ ähnlich wie bei den Rentenbeiträgen festzulegen. Doch das ändert nichts an der Höhe der Ausgaben, weshalb Wasem auch eine „Diskussion über leistungsbegrenzende Elemente“ empfiehlt: „Mehr Selbstmedikation: Man könnte ansetzen bei Leistungen mit ungünstigen Kosten-Effektivitätsrelationen, da wären Bagatellerkrankungen ein Thema, man könnte die Selbstbeteiligung dynamisieren. Das sind Stichworte, bei denen wir eine gesellschaftliche Diskussion brauchen, was wir machen wollen.“
Dr. Florian Reuther, Direktor beim Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV), empfahl „versicherungsfremde Leistungen“ zu streichen, vor allem wenn es „um Versorgungsstrukturen“ gehe, die „Sache anderer Kostenträger wären, insbesondere der Länder.“ Vor allem aber müssten Eigenverantwortung und Eigenvorsorge gestärkt werden. Wörtlich sagte Reuther: „Wir haben in der privaten Krankenversicherung schon lange die Beitragsrückerstattungssystematik bei Leistungsfreiheit mit einer ausgeprägten Selbstbehaltskultur. Das funktioniert. Und das wäre vielleicht auch etwas, das nicht nur eine Entlastung bringt auf der finanziellen Seite, sondern auch eine Veränderung in der Inanspruchnahme-Kultur von medizinischen Dienstleistungen.“ Will heißen: Wer Geld von der Krankenkasse zurückbekommt, geht vielleicht nur noch zum Arzt, wenn es unbedingt sein muss. Zum Thema Eigenverantwortung gehört für Reuther „auch eine Prävention, die wirksam ist“ – beim Zahnersatz funktioniere das bereits.
Mehrwertsteuer-Senkung für Arzneimittel?
In die abschließende Diskussion brachte Moderator Prof. Dr. Volker Ulrich, Finanzwissenschaftler an der Universität Bayreuth, einige Vorschläge ein – etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel. „Da sind sich alle Kostenträger einig, das wäre etwas. Dafür spricht auch der internationale Vergleich“, so PKV-Vertreter Florian Reuther – denn in keinem anderen europäischen Land sei die Umsatzsteuer für Arzneimittel ebenso hoch wie für andere Konsumgüter. Das Problem sei jedoch die politische Umsetzbarkeit, denn: „Das geht unmittelbar zu Lasten der Landeshaushalte.“ Eine Zuckersteuer oder eine Extrasteuer für Rauchende lehnte Reuther ab: „Da hätte ich eine gewisse Skepsis. Das Gesundheitswesen ist in den letzten Jahren sehr gut damit gefahren, dass es unabhängig von Steuereinnahmen war.“
Und wie wäre es damit, die Zahl der Krankenkassen zu reduzieren? „Das würde Verwaltungskosten sparen“, so Jürgen Wasem, „aber den Effekt darf man nicht überschätzen.“ Käme vielleicht eine Zuzahlung für jeden Arztbesuch in Frage, wie es sie auch für jeden Tag im Krankenhaus gibt? „Dazu muss man wissen“, so Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, „dass im Krankenhaus die Eigenbeteiligung für die Verpflegung gedacht ist, da geht es nicht um die ärztliche Leistung.“ Stattdessen solle man nach anderen Wegen suchen, etwa „über einen Wahltarif.“
Gastgeber Stephan Grävinghoff zeigte sich abschließend sehr angetan davon, „dass es keine Denkverbote gegeben hat bei der Suche nach Lösungen: Eigenbeteiligung, Eigenverantwortung, Wahltarife in der GKV, Mehrwertsteuer-Senkung für Arzneimittel, Reduzierung der Anzahl der Krankenkassen, mehr tun für Prävention und Gesundheitskompetenz“. Allein: „Der Zaubertrank, mit dem die Gallier so erfolgreich geworden sind, fehlt uns noch.“
Veranstalter: Universität Bayreuth in Zusammenarbeit mit Lilly Deutschland GmbH
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