Die Coronakrise hat das Auftreten und die Verbreitung der Masern in Deutschland „deutlich verändert“, erklärt das Robert Koch-Institut (RKI) im „Epidemiologischen Bulletin 34/2022“. Demnach wurden im Jahr 2020 „gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) nur 76 Masernfälle übermittelt“. 2021 waren es lediglich 10 Fälle. „Dies ist die niedrigste jährliche Fallzahl seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001.“ Zum Vergleich: 2015 erlebte Deutschland einen großen Ausbruch mit fast registrierten 2.500 Erkrankungen.
Das RKI geht davon aus, dass die „nicht-pharmakologischen Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie, wie Abstand halten, Masken tragen, Schul- und Kitaschließungen sowie Grenzschließungen mit dem daraus resultierenden Rückgang des Reiseverkehrs“ in der Bundesrepublik „und darüber hinaus“ zu der aktuellen Entwicklung geführt haben.
Masern: Bald Eliminationsstatus für Deutschland?
Ob nun endlich die Elimination der Masern erreicht werden kann? „Der Status der Elimination ist in der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erreicht, wenn über 3 Jahre hinweg nachgewiesen werden kann, dass eine Virusvariante der Masern nicht länger als 12 Monate in einer geografischen Region zirkuliert“. Das bedeutet: Im Fokus steht nicht die Anzahl der Fälle, sondern die Frage, ob es gelingt, Infektionsketten durch meist importierte Masernviren jeweils schnell zu unterbrechen. „Die WHO gibt eine Impfquote von 95% bei den Routineimpfungen als eine von vier Schlüsselstrategien […] vor.“
Deutschlandweit hatten laut RKI 75,6 Prozent der 24 Monate alten Kinder des Geburtsjahrgangs 2018 die zweite empfohlene Impfstoffdosis zeitgerecht erhalten. „Eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr konnte höchstwahrscheinlich durch das Masernschutzgesetz erzielt werden. Dieses trat im März 2020 in Kraft und sieht eine Nachweispflicht der Masernimpfung oder -immunität unter anderem von Kindern in Gemeinschaftseinrichtungen vor.“ Trotzdem gilt: Viele verfügen „zu lange“ über „einen ungenügenden Impfschutz“. Und auch bei Einschulung erreichen in Bezug auf die zweite Dosis nur Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern eine Quote von mindestens 95 Prozent.
Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre ging die Nationale Verifizierungskommission Masern/Röteln (NAVKO), die an die WHO berichterstattet, für 2020 und 2021 nichtsdestotrotz von einer Unterbrechung der endemischen Masernvirus-Übertragung aus. Wenn es 2022 auch so läuft, könnte Deutschland also theoretisch schon bald den Status der Elimination erreichen. Es sei „allerdings fraglich“, so das RKI, ob die WHO während der Pandemie „die gleichen Kriterien und Maßstäbe hinsichtlich der Beurteilung der Daten ansetzen wird.“
Masernfälle werden wohl wieder zunehmen
Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Fallzahlen „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf dem derzeitig niedrigen Niveau bleiben“ werden. Das lässt auch ein Blick auf die internationale Lage vermuten: 2019 betrug die globale Quote für die erste Impfung 86 Prozent – 2021 nur noch 81 Prozent. Allein im vergangenen Jahr erhielten weltweit rund 25 Millionen Kinder keine erste Dosis im Rahmen von Routineimpfungen. Dieser Rückgang ist auch – aber nicht nur – Folge der pandemiebedingten Einschränkungen.
Über den Globus verteilt sind „mehr Menschen ungeschützt gegen Masern als in den Jahren davor“, resümiert das RKI. Das bietet Potenzial für neue Ausbrüche. Nachdem die Maßnahmen gegen die Pandemie gelockert wurden, „steigen gegenwärtig die Masernfallzahlen wieder an. Damit sind auch erneute Masernvirus-Importe nach Deutschland zu erwarten.“
Masern: Unterschätzte Krankheit
Die RKI-Fachleute befürchten allerdings, dass die Gefahr neuer Ausbrüche unterschätzt wird. Tatsächlich gehören die Masern zu den ansteckendsten Infektionen des Menschen. Die Folgen können weitreichend sein: Denn das Virus schränkt die Funktionsfähigkeit des Immunsystems ein – was etwa Pneumonien, Durchfälle oder Mittelohrentzündungen begünstigen kann. Und: „Eine tödlich verlaufende Spätfolge der Masern ist die Subakute Sklerosierende Panenzephalitits (SSPE)“. Laut WHO wird diese Hirnerkrankung „bei 4 – 11/100.000 Masernfällen beobachtet und tritt durchschnittlich etwa 10 Jahre nach einer akuten Masernvirus-Infektion auf“, heißt es im Epidemiologischen Bulletin.
Vakzine können davor schützen. Daten aus Deutschland zeigen, dass die Mehrheit der Erkrankten bei Erkrankungsbeginn „gar nicht oder nicht ausreichend“ geimpft war: „Der Anteil der Ungeimpften lag in den letzten 10 Jahren bei 83%“, so das RKI. „Etwa zwei Drittel der geimpften Erkrankten hatte bisher nur eine Impfung erhalten.“ Das Fazit: „Hauptsächlich gefährden […] Ungeimpfte das Masernelimationsziel deutlich mehr als Geimpfte.“ Und sie gefährden ihre Gesundheit bzw. die ihrer Kinder.
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