Was hat die nationale Diabetes Strategie gebracht – auf Fragen dazu antworten der Präsident und die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Was hat die nationale Diabetes Strategie gebracht – auf Fragen dazu antworten der Präsident und die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Nationale Diabetes-Strategie: Enttäuschte Hoffnungen

Als der Bundestag vor mehr als vier Jahren eine nationale Diabetes Strategie auf den Weg gebracht hat, waren die Erwartungen groß. Doch erfüllt haben sie sich nicht. Was aus dieser Strategie wurde und was jetzt geschehen muss, darüber haben wir mit Prof. Dr. med. Andreas Fritsche und mit Barbara Bitzer gesprochen – dem Präsidenten und der Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).
Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG. Foto: © Dirk Michael Deckbar

Worum geht es in der Nationalen Diabetesstrategie (NDS) und wie ist sie entstanden?

Barbara Bitzer: Im Juli 2020 hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, die Prävention und Versorgungsforschung zu Diabetes und Adipositas maßgeblich voranzubringen und auch den Ausbau der entsprechenden Lehrstühle zu fördern, um die Versorgung zu sichern. Das war für uns ein Meilenstein. Der Antrag wurde von der CDU/CSU in den Bundestag eingebracht. Erstmals hat sich die Politik intensiv mit Diabetes als Volkskrankheit beschäftigt und konkrete Ziele formuliert, damit die Diabetes-Bekämpfung als ressortübergreifende Aufgabe wahrgenommen werden kann. Allerdings: Passiert ist bisher wenig bis gar nichts. Entgegen den dort – in Abstimmung mit der SPD – festgelegten Zielen ist die „sprechende Medizin“ weiterhin unterfinanziert, Lehrstühle fehlen und die Weiterbildung droht zu verkümmern. In den Präventionsfragen verzettelt sich die Bundesregierung in einzelnen Strategien zu Ernährung und Bewegung. Ein sinnvoller „health-in-all-policies“-Ansatz fehlt – und zu oft wird auf Freiwilligkeit gesetzt, statt auf Verbindlichkeit. Das ist sehr frustrierend.

Seit nunmehr 4 Jahren liegt die NDS vor – umgesetzt wurde sie bislang nicht. Woran liegt das?

Prof. Dr. med. Andreas Fritsche: Diabetes ist als gesamtgesellschaftliche gesundheitspolitische Herausforderung noch immer nicht richtig in der Politik angekommen und wird zu wenig ernst genommen. Das spiegelt sich in der NDS wider, die als Papiertiger ein Dasein in der Schublade des Bundesgesundheitsministers fristet – obwohl hier wichtige Ansätze für die Prävention und Versorgung der Stoffwechselerkrankung festgeschrieben wurden. Allerdings fehlen der Strategie von Anfang an konkrete Maßnahmen, um die Ziele der NDS zu erreichen. Das ist sehr bedenklich, denn wir brauchen eine wegweisende Gesundheits- und Diabetespolitik, um die steigenden Erkrankungszahlen und die damit verbundenen Folgeerkrankungen und auch Gesundheitskosten zu reduzieren und wenn möglich zu verhindern.

Was müsste geschehen, damit die NDS doch noch umgesetzt wird? Und weshalb ist das wichtig?

Bitzer: Kurz gesagt: Mehr politischen Mut und Weitsicht für die Herausforderung Diabetes. Bereits heute leben rund 9 Millionen Menschen in Deutschland mit Diabetes. Jedes Jahr erkranken hier mehr als eine halbe Million Erwachsene neu. Neben viel persönlichem Leid belaufen sich die jährlichen Gesamtkosten des Diabetes auf etwa 21 Milliarden Euro Exzesskosten, also inklusive der Kosten für Folge- und Begleiterkrankungen. Das sind 11 Prozent aller direkten Krankenversicherungsausgaben. Die Lebenserwartung eines 40-jährigen Menschen mit Diabetes Typ 2 ist durchschnittlich um etwa vier (Frauen) bis sechs Jahre (Männer) kürzer als bei gleichaltrigen Personen ohne Diabeteserkrankung. Umgerechnet bedeutet das: Die deutsche Gesamtbevölkerung verliert aufgrund dieser verkürzten Lebenserwartung rund 19 Millionen Lebensjahre. Das kann und darf nicht im Interesse der Politik sein.

Prof. Dr. med. Andreas Fritsche, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
Prof. Dr. med. Andreas Fritsche, Präsident der DDG. Foto: © Dirk Michael Deckbar

Was würde sich bei einer Umsetzung der NDS für die Diabetes-Patient*innen verbessern?

Fritsche: Die NDS kann bei einer differenzierten und weitsichtigen Ausgestaltung auf allen gesundheitsrelevanten Ebenen wirken. Von der Stärkung der translationalen Forschung über die Sicherung der Versorgung von Menschen mit Diabetes bis hin zur Prävention mit Maßnahmen für eine gesunde Ernährung, mehr Bewegung und mehr Aufklärung. Seit mehr als 12 Jahren engagiert sich das von der DDG gegründete Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) für mehr Maßnahmen der Verhältnisprävention, die alle Menschen im Alltag erreichen: Vom verbindlichen Nutri-Score über eine Herstellerabgabe für Softdrinks nach britischem Vorbild bis hin zu mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung. Bei letzterem warten wir noch immer auf den Gesetzesentwurf aus dem Bundesernährungsministerium – nicht zuletzt, weil das Thema innerhalb der Koalition zum Zankapfel geworden ist.

Welche Folgen hat die aktuelle Krankenhausreform für Behandelnde und Diabetes-Patient*innen?

Fritsche: Wir beobachten die aktuelle Debatte und Ausgestaltung der Reform mit Sorge, denn die Volkskrankheit Diabetes findet hier kaum Gehör. Jeder 5. Klinikpatient hat einen Diabetes mellitus – das sind rund 3 Millionen Behandlungen pro Jahr. Aber nur rund 20 Prozent der Kliniken halten eine ausreichend qualifizierte Diabetesexpertise gemäß DDG Zertifizierung vor. Dadurch wird der Aufenthalt in Krankenhäusern für Menschen mit Diabetes zunehmend gefährlich. Befeuert wird diese Entwicklung zusätzlich noch durch den Innovationsschub in der Diabetestechnologie und dem damit einhergehenden Erfordernis an technischer Expertise. Die Diabetologie als „sprechende Medizin“ ist im DRG-System (DRG) im Vergleich zu den prozedurenreicheren Disziplinen nicht adäquat abgebildet. Deshalb kann das DRG-System keine ausreichende Grundlage einer Leistungsgruppendefinition sein. Wir brauchen Reformen, aber Menschen mit Diabetes dürfen dabei nicht unter die Räder kommen.

Nationale Diabetes-Strategie: Enttäuschte Hoffnungen
Diabetesschwerpunktpraxen stärken. Foto: ©iStock.com/nambitomo

Was fordern Sie von der Politik – und von wem genau?

Bitzer: Wir sind überzeugt: Medizin gehört in die Hände von Ärzt*innen und Mitarbeitenden von Gesundheitsfachberufen. Die „Sprechende Medizin“ muss endlich gegenüber Apparate-, Prozeduren- und Fallpauschalen-Medizin aufgewertet werden. Eine kompetente und leitliniengerechte Versorgung von Menschen mit Diabetes in der ambulanten und stationären Medizin muss zwingend sichergestellt sein.

Fritsche: Außerdem müssen Diabetesschwerpunktpraxen und deren Kooperationen mit Kliniken gestärkt werden. Wir haben dafür einen 3-Punkte-Plan erarbeitet und sind mit allen politischen Ebenen auf Bundes- und Landesebene im intensiven Austausch. In erster Linie ist hier der Bundesgesundheitsminister gefragt, einen tragfähigen Kompromiss zu erwirken, der allerdings nicht auf Kosten der Menschen mit Diabetes gehen darf.

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