Antimikrobielle Resistenzen sind eine zunehmende, globale Bedrohung. Foto: iStock.com / wildpixel
Antimikrobielle Resistenzen sind eine zunehmende, globale Bedrohung. Foto: iStock.com / wildpixel

Resistente Keime: Jährlich über 10 Millionen Todesfälle bis 2050?

Was tun, wenn etablierte Arzneimittel bei einem Patienten nicht mehr wirken? Diese Frage müssen sich Mediziner:innen weltweit und in Deutschland immer häufiger stellen. Denn antimikrobielle Resistenzen nehmen zu. Darüber diskutierten Fachleute bei einem Online-Event des forschenden Biopharma-Unternehmens GSK. „Die Zeit drängt“, machte Dr. Georg Kippels (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages und des Gesundheitsausschusses, deutlich.
Science to Go: GSK Breakfast zum Thema AMR.
Science to Go: GSK Breakfast zum Thema AMR.

Wenn sich Krankheitserreger wie Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten an die verfügbaren Medikamente anpassen, Resistenzen entwickeln und sich zunehmend ausbreiten, dann hat die Medizin ein Problem: Arzneimittel – darunter Antibiotika – werden im schlimmsten Fall wirkungslos.

„Mehr als eine Million Menschen sterben jährlich in direkter Folge von antimikrobiellen Resistenzen, AMR“, erklärte László Kiss von GSK. Rechnet man die Infektionen hinzu, bei denen resistente Keime indirekt eine Rolle gespielt haben, sind es sogar rund 5 Millionen. „Das entspricht der Bevölkerungszahl Irlands oder der Slowakei“, so Kiss.

Die Tendenz ist steigend: Bis 2050 könnten es 10 Millionen Todesfälle pro Jahr sein – wenn nicht gegengesteuert wird.

Prof. Dr. Christoph Spinner, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie am Klinikum rechts der Isar
Prof. Dr. Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar.

Laut Prof. Dr. Christoph Spinner, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie am Klinikum rechts der Isar in München, sind vor allem „Ältere, also Personen über 70 Jahre“ mit Komorbiditäten gefährdet. Zudem sei – unter anderem – „der zurückliegende Gebrauch von Antibiotika in den letzten Tagen und Wochen“ mit einem „deutlich erhöhten Risiko“ für multiresistente Erreger verbunden. „Insbesondere auch das fehlende klinische Ansprechen – das heißt: nach Verabreichung einer Antibiotika-Therapie tritt binnen 24 bis 48 Stunden keine Besserung ein – ist mit schweren Verläufen assoziiert.“ Eine relevante Rolle spielen vor allem „Ausbruchssituationen in Einrichtungen des Gesundheitswesens oder Reisen in Endemiegebiete“. Der Experte resümierte: „Je mehr Risikofaktoren zusammenkommen, desto höher ist die Gefahr an diesen multiresistenten Erregern zu versterben.“ Die Verbreitung der Keime sei regional sehr unterschiedlich. „Das liegt im Wesentlichen daran, wie häufig Reserve- und sogenannte Breitspektrumantibiotika benutzt werden.“ Länder in Süd- und Osteuropa sind vergleichsweise stark betroffen.

Arzneimittel-Resistenzen: Die ambulante Perspektive

„In Deutschland erfolgen mehr als 80 Prozent der Verordnungen von Antibiotika im ambulanten Bereich“, weiß Dr. Axel Baumgarten, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Infektiologie. Somit stellt die medizinische Versorgung außerhalb des Krankenhauses eine wichtige Stellschraube dar, will man die Gefahr von Keimen, gegen die keine Präparate mehr helfen, besser in den Griff kriegen. Denn es gilt: Jeder Einsatz von Antibiotika fördert die Bildung von Resistenzen (s. RKI).

Bessere Impfraten könnten dazu beitragen, mehr Infektionskrankheiten zu verhindern, sodass es gar nicht erst zu einer Therapie kommen muss. Bei Erkrankung gilt es, dass Antibiotika nur wenn wirklich notwendig verschrieben und korrekt eingenommen werden. Die World AMR Awareness Week (18.-24.11.2024) als globale Kampagne setzt daher auf mehr Aufklärung. Viele Menschen wissen zum Beispiel nicht, dass Antibiotika nur bei bakteriellen Infektionen wirken können. „Lieferengpässe waren“, so Dr. Baumgarten, in den vergangenen Jahren auch ein Grund dafür, dass „unnötig breitwirksame Substanzen“ verwendet wurden anstatt Schmalspektrumantibiotika, die gezielter gegen bestimmte Bakteriengruppen wirken. Außerdem braucht es, sagte der Experte, Anreize und Kapazitäten für die Diagnostik, um mehr Erreger- und Resistenztestungen durchführen zu können.

Ein Facharzt für Infektiologie

Dr. Axel Baumgarten, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Infektiologie.
Dr. Axel Baumgarten, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Infektiologie.

Eine weitere Herausforderung für die ambulante Versorgung ist, wenn Antibiotika intravenös gegeben werden müssen. Im vergangenen Sommer sei dazu eine S1-Leitlinie „Ambulante parenterale Antiinfektivatherapie (APAT)“ mit Handlungsempfehlungen verabschiedet worden. „Da geht es darum, dass man die Substanzen über bestimmte Katheter-Systeme außerhalb der Klinik im häuslichen Umfeld, in Praxen oder in Einrichtungen der stationären Pflege verabreichen kann.“ International sei das „ein sehr etabliertes Verfahren“. Und in Deutschland? „Es gibt keine strukturelle Etablierung und eine sehr seltene Durchführung“, kritisierte Dr. Baumgarten. „Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Es führt zur Entlastung der Kliniken, für die Patienten erfolgt die Versorgung in einer bekannten, häuslichen Umgebung.“ Aber von der S1-Leitlinie abgesehen sei die Durchführung dieser Maßnahme in unserem Gesundheitswesen nicht klar definiert und es gebe keine Finanzierung der Leistung im GKV-System.

Zur Implementierung der APAT gehört in den Augen des Mediziners die Implementierung des Facharztes für Infektiologie. Mediziner:innen mit einer solchen Weiterbildung könnten die APAT verantworten; gleichzeitig ließe sich über sie der Einsatz von Reserveantibiotika besser steuern. Und auch die Entwicklung von Strategien für eine rationale, verantwortungsvolle Therapie – sogenannte Antibiotic Stewardship Programme – könnten sie übernehmen. „Doch es gibt bisher keine Bedarfsplanung, geschweige denn fachärztliche Sitze, die man erwerben kann. Ein ambulantes Curriculum ist in der Weiterbildung gar nicht als obligat erforderlich vorgesehen. Und es gibt keinerlei Honorierung für die Tätigkeit“, so Dr. Baumgarten.

Neue Antibiotika? Der Markt versagt

Selbst wenn es gelingt, dass Antibiotika künftig ausschließlich sachgerecht zum Einsatz kommen, lässt sich die Resistenzbildung nicht gänzlich stoppen – sie ist Teil der Evolution. „Die Welt braucht dringend neue Antibiotika, um dem Kampf gegen resistente Keime zuvorzukommen“, sagte Johanna Wegenaer von GSK. Das Problem: Die Präparate „sollen so selten wie möglich verordnet werden. Das, zusammen mit ganz speziellen wissenschaftlichen Entwicklungshürden, führt dazu, dass wir seit Jahren eine schrumpfende Antibiotika-Pipeline haben. Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es noch immer eine Handvoll Akteure, die sich weiterhin an der Forschung und Entwicklung neuer Substanzen beteiligen, darunter GSK.“

Die Branche benötige „dringend ein neues Geschäftsmodell, unter Mitwirkung privater und öffentlicher Akteure“, so Kiss, GSK.

Dr. Georg Kippels, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied im Gesundheitsausschuss und Unterausschuss Globale Gesundheit, Gründer und Sprecher des Parlamentarischen Arbeitskreises Antimikrobielle Resistenzen. Foto: Deutscher Bundestag/ Inga Haar
Dr. Georg Kippels, CDU. Foto: Deutscher Bundestag/ Inga Haar

CDU-Politiker Dr. Georg Kippels machte deutlich: „Mit der Corona-Pandemie haben wir erlebt, wie dramatisch eine Gesundheitsbedrohung weltweit sein kann und wie hilflos man dem anfangs teilweise gegenübersteht. Mit den sehr zielgerichteten Forschungs- und Entwicklungsbemühungen, insbesondere auch mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung, ist es erfreulicherweise sehr schnell gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln.“ Mit Blick auf die AMR-Krise erklärte er: „Mir geht es darum, dass wir mit staatlicher Unterstützung – aber nicht nur – ein Modell entwickeln, bei dem es gelingt, die notwendigen Forschungsaktivitäten und das Manko des Geschäftsmodells – hohe Entwicklungskosten bei minimaler Vertriebsmöglichkeit – in Einklang zu bringen.“ Die Politik arbeite an dem AMR-Thema „auf allen Ebenen“, versprach er. „Die Zeit drängt.“

AMR eindämmen

Infektiologe Prof. Dr. Spinner: „Glücklicherweise gibt es noch einige antibakterielle Wirkstoffe, die in der frühen klinischen Erprobung sind. Meine Hoffnung bleibt, dass wir auch in Zukunft neue Antiinfektiva sehen werden. Gleichzeitig wird es darauf ankommen, wie wir in den nächsten Jahren antimikrobielle Substanzen nutzen. Je mehr Breispektrumantibiotika verwendet werden, desto mehr Resistenzkeime werden selektiert.“

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