Prof. Dr. Thomas Hammerschmidt erklärt im Interview anhand konkreter Beispiele den Wert innovativer Arzneimittel – für die Patient:innen, aber auch für die Wirtschaft.
Prof. Dr. Thomas Hammerschmidt erklärt im Interview anhand konkreter Beispiele den Wert innovativer Arzneimittel – für die Patient:innen, aber auch für die Wirtschaft.

Studie zeigt: Innovation bei Arzneimitteln zieht weite Kreise

Wie sehr nützen innovative Arzneimittel den Patient:innen? Und welchen Beitrag leisten sie für die Wirtschaftskraft unseres Landes? Um solche Fragen ging es bei der Studie „InnovationsRadar“, die von dem Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos im Auftrag des Pharmaverbands vfa erstellt wurde. Wir haben mit Prof. Dr. Thomas Hammerschmidt, der die Studie als Wissenschaftlicher Beirat begleitet hat, über die Ergebnisse gesprochen – und darüber, was ihn am meisten daran überrascht hat.
Prof. Dr. Thomas Hammerschmidt
Prof. Dr. Thomas Hammerschmidt. Foto: privat

Worum ging es bei der Studie InnovationsRadar“?

Prof. Dr. Thomas Hammerschmidt: In erster Linie ging es darum, herauszufinden, welchen Einfluss die Entwicklung innovativer Arzneimittel auf die Gesundheit betroffener Patientinnen und Patienten hat – und welche Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Volkswirtschaft. Wir wollten also den Blick ein wenig weiten und auch die Bedeutung der forschenden pharmazeutischen Industrie für die deutsche Wirtschaft beleuchten.

Welches sind die zentralen Ergebnisse?

Hammerschmidt: Da möchte ich zwei Ergebnisse hervorheben: Zum einen ist Pharmaforschung ein sehr komplexer und risikobehafteter Prozess. Pro Medikament fallen im Durchschnitt über eine Milliarde Dollar an Entwicklungskosten an – und von acht Wirkstoffen, die in klinischen Studien getestet werden, schafft nur einer den Marktzugang. Trotzdem kommen jedes Jahr 30 bis 40 neue innovative Arzneimittel auf den Markt, bei steigender Tendenz. Das hat auch damit zu tun, dass für die Pharmaforschung Spitzentechnologien aus den Bereichen Biotech, Gentechnik und künstliche Intelligenz eingesetzt werden. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet das: Ihre Gesundheit wird verbessert – manchmal bekommen sie zum ersten Mal überhaupt die Möglichkeit, ihre Krankheit erfolgreich behandeln zu lassen.

Und das zweite Ergebnis?

Hammerschmidt: Pharmaforschung stärkt die Volkswirtschaft und entlastet das Gesundheitswesen – und zwar weitaus stärker als wir vermutet hätten. Die pharmazeutische Industrie hat also eine immense Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Und sie erweist sich als Stabilitätsanker in schwierigen Phasen, wie wir sie derzeit haben. Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen belegt im Branchenvergleich einen Spitzenplatz. Zudem schafft die pharmazeutische Industrie überdurchschnittlich viele hochqualifizierte Arbeitsplätze – das trifft auf ein Drittel der Stellen zu, das gibt es sonst in keiner Branche in Deutschland. Und: Die Pharmabranche gehört zu den fünf größten Exportbranchen in unserem Land. Ich finde es wichtig, dass diese Fakten in der Studie transparent dargestellt und belegt wurden.

Weshalb?

Hammerschmidt: Weil sich die Gesundheitspolitik häufig nur auf die Kosten fixiert, die den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) entstehen. Wir müssen Gesundheitspolitik aber weiterdenken – insbesondere sollte immer auch industriepolitisch mitgedacht werden.

Gab es bei der Studie Ergebnisse, die Sie überrascht haben?

Hammerschmidt: Mich hat tatsächlich überrascht, wie viel Nutzen innovative Arzneimittel in Bereichen stiften, die wir in Deutschland im Rahmen der AMNOG-Nutzenbewertung gar nicht betrachten. In der Nutzenbewertung schauen wir auf die patientenrelevanten Effekte aus klinischen Studien. Und das ist, das wurde in der Studie noch einmal deutlich, eine durchaus kurzsichtige und eingeschränkte Bewertung.

Das müssen Sie genauer erklären?

Hammerschmidt: Der „InnovationsRadar“ zeigt zum Beispiel, dass innovative Arzneimittel den Eintritt einer Erwerbsminderungsrente hinauszögern können und die Erwerbstätigkeit erhöhen. So hat sich etwa der Anteil der Erwerbstätigen mit rheumatoider Arthritis von 1997 bis heute von 42 auf 68 Prozent erhöht. Menschen mit Krebserkrankungen nahmen im Jahr 2020 durchschnittlich mehr als vier Jahre länger am Erwerbsleben teil als noch im Jahr 2005. Auch durch eine verbesserte Migräneprophylaxe und neue Therapien bei Multipler Sklerose werden Patienten seltener arbeitsunfähig. Das sind nur einige Beispiele. Verbesserte und neue Therapien führen dazu, dass mehrere Milliarden Euro an Wertschöpfung erhalten werden. Vor allem aber führen sie dazu, dass Patienten nicht nur länger arbeiten, sondern auch länger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und in ihrem sozialen Umfeld aktiv sein können. Solche Aspekte kommen in der frühen Nutzenbewertung etwas zu kurz. Das ist auch keine Aufgabe der Nutzenbewertung, aber wir müssen diese Aspekte, wenn wir Arzneimittel betrachten, im Blick behalten.

Leider ist nicht nur der Nutzen neuer Arzneimittel hoch, sondern auch die Kosten, oder?

GKV-Arzneimittelausgaben
Arzneimittelausgaben: GKV-Anteil seit Jahren stabil. Foto: ©iStock.com/ismagilov

Hammerschmidt: Auch hier kam die Studie zu überraschenden Ergebnissen. Zwar sind neue Arzneimittel tatsächlich sehr hochpreisig. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass es immer mehr Medikamente für spezialisierte, sehr kleine Patientengruppen gibt, etwa im Bereich der Seltenen Erkrankungen und auch bei bestimmten Krebserkrankungen. Auf der anderen Seite verlieren jedes Jahr viele Medikamente ihren Patentschutz, wodurch sich ein starker Preisdruck auf diese Medikamente ergibt und Kosten sinken. In der Summe zeigte sich: Die GKV-Arzneimittelausgaben wachsen zwar jedes Jahr um durchschnittlich 4,5 Prozent. Aber davon ist das meiste, nämlich 2,5 Prozent, auf erhöhten Arzneimittelverbrauch zurückzuführen, der wiederum mit unserer älter werdenden Gesellschaft zu tun hat. Die Preise je verordneter Dosis haben sich mit zwei Prozent im Bereich der Inflation bewegt, sie sind also inflationsbereinigt stabil. Aber das ist noch nicht alles.

Will heißen?

Hammerschmidt: Moderne Medikamente senken sogar bestimmte Gesundheitskosten. So hat sich zum Beispiel zwischen 2005 und 2020 die Zahl der Krankenhausaufenthalte bei vielen Erkrankungen in etwa halbiert – etwa bei Multipler Sklerose, Arthritis, Krebs oder HIV. Auch die Lebenserwartung steigt, nicht nur für Krebs- oder HIV-Patienten. Bei Mukoviszidose etwa hat sich die Lebenserwartung von 37 Jahren im Jahr 2000 auf 67 Jahre in 2023 nahezu verdoppelt. Bei Hämophilie A, der so genannten Bluterkrankheit, lag die Lebenserwartung 1960 noch bei rund 20 Jahren – heute entspricht sie dem Bevölkerungsdurchschnitt.

In Zukunft werden neue Arzneimittel auch zunehmend mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erforscht und entwickelt – wird das die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen, die Kosten senken und den Erfolg erhöhen?

Künstliche Intelligenz in der Forschung
Künstliche Intelligenz in der Forschung: Schneller und kostengünstiger? Foto: iStock.com / ipopba

Hammerschmidt: Künstliche Intelligenz wird definitiv einen deutlichen Effekt auf die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel haben – angefangen von der Identifikation potenziell wirksamer Moleküle bis hin zu den klinischen Studien. Es gibt verschiedene Analysen, die zu dem Ergebnis kommen: Die Einsparungen können sowohl zeitlich als auch finanziell 25 bis 50 Prozent betragen. Das ist noch eine sehr grobe Schätzung. Es wird auf jeden Fall schneller und günstiger gehen, aber wie stark dieser Effekt genau ist, lässt sich heute noch nicht valide abschätzen. Allerdings gibt es Studien im präklinischen Bereich, wo es um das Verständnis der Erkrankung, die Identifikation von Wirkstoffkandidaten und die Optimierung von Wirkstoffen geht – da werden Kosteneinsparungen von rund 40 Prozent genannt. Der größte Teil der Forschung entfällt aber auf die klinische Forschung, bei der Menschen an Studien teilnehmen und über eine gewisse Zeit therapiert und beobachtet werden – da kann man durch KI nicht so viel Zeit gewinnen. Grundsätzlich denke ich aber: In fünf Jahren können wir rückschauend analysieren, wie viele Medikamente, bei denen KI eingesetzt worden ist, schneller und kostengünstiger entwickelt wurden als in der Vergangenheit.

Welche politischen Forderungen ergeben sich aus den Ergebnissen der Studie?

Hammerschmidt: Ich glaube, das Wichtigste ist, anzuerkennen, dass die pharmazeutische Industrie eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung hat. Einsparungen lassen sich auch durch Innovationskraft erzielen, die erhalten und gestärkt werden muss – denn sie hat positive Folgen für die Patientinnen und Patienten, aber sie schafft auch Arbeitsplätze und stärkt unsere Wirtschaft. Es geht also auch darum, eine Balance zu erreichen zwischen den Zielen der Gesundheitspolitik und den Zielen einer sinnvollen Industriepolitik in der Spitzentechnologie.

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