
Richtig ist: Die Ausgaben für die patentgeschützten, weil neu entwickelten Arzneimittel steigen. Auch Professor Josef Hecken, Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses, stört sich an ihnen, ergänzt aber: „Das darf man nicht gleichsetzen mit Geldausgeben ohne Sinn. Wir sehen in den vergangenen Jahren ganz enorme Therapiefortschritte bei den seltenen Erkrankungen und in der Onkologie. Wir haben eine ganze Reihe von neuen Arzneien, die den Patienten mit seltenen Erkrankungen auch wirklich einen Nutzen bringen.“ Das gilt laut Hecken auch für Menschen mit einer Tumorerkrankung, „wo einige Wirkstoffe Gamechanger sind“. In vielen Therapiebereichen sei die Situation so, „dass früher Totgeweihte heute vier, fünf oder sechs Jahre bei einigermaßen guter Lebensqualität überleben können“. Das erklärte er bei der Vorstellung des „AMNOG-Reports 2025“ der DAK-Gesundheit, der in diesem Jahr den Titel tragt: „Innovationsförderung und Kostendämpfung: Ein Widerspruch?“
Neue Arzneimittel – neue Perspektiven
Orphan Drugs und Onkologika – die beiden Bereiche zeigen, was in der Forschung gerade los ist; hier machen sich die Früchte des Fortschritts besonders eindrücklich bemerkbar. Nachdem vor 25 Jahren beschlossen wurde, dass die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene und sehr seltene Erkrankungen besonderer Anreize bedarf, wächst die Zahl der Krankheiten, die kausal behandelt werden können, stetig an – und damit gibt es natürlich auch bei den Ausgaben einen Anstieg. Immer mehr Menschen haben Zugang zu neu eingeführten Orphan Drugs; allein im vergangenen Jahr waren es 18 neue Wirkstoffe oder 42 Prozent der neu verfügbaren Präparate. Das ist politisch gewollt. Nur: Arzneimittel, die es bisher nicht gab, kosten auch etwas, wofür bisher kein Geld ausgegeben wurde.
Auch in der Onkologie findet eine Revolution statt: Seit 1995 hat die EU-Zulassungsbehörde fast 200 neuen Krebstherapien grünes Licht gegeben. Dass trotz steigender Krebsfallzahlen die Sterblichkeit sinkt, ist unter anderem „der Einführung neuer, effektiverer Krebsmedikamente“ zu verdanken, wie das Swedish Institute for Health Economics in einem Report schreibt.
Das zeigt: Der Fokus auf die Erstattungspreise, die in Deutschland in aller Regel ein Verhandlungsergebnis von den Vertreter:innen der Krankenkassen und dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen sind, ist einseitig. Zumal der Arzneimittelanteil an den GKV-Gesamtausgaben seit Jahrzehnten sehr stabil ist (s. Grafik). Wie wäre es, der Diskussion ein wenig die Dramatik zu nehmen? Das würde zumindest mit den Fakten übereinstimmen.
Hinzu kommt: „Ausgaben für Gesundheit sind Investitionen in die Gesundheit“ – mit diesen Worten hatte der Hauptgeschäftsführer des Pharmaverbandes BPI, Dr. Kai Joachimsen, auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel einen Perspektivwechsel gefordert. Denn gute Gesundheit setze volkswirtschaftliche Impulse. „Jeder Euro, den wir in die Gesundheitswirtschaft investieren, bringt 86 Cent Wachstum.“
Dynamisierter Herstellerrabatt: Der Griff in die Mottenkiste

Auf diesen Effekt möchte die neue Bundesregierung setzen: CDU/CSU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, die im Jahr 2023 initiierte Nationale Pharmastrategie fortzuschreiben; schließlich will man das Land „zum weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort machen.“ Gesundheit ist nicht nur der Schlüssel zu einer leistungsfähigen Gesellschaft. Ohne Investitionen in Gesundheit wird sich ein Land mit einer rapide alternden Bevölkerung in Sachen Wirtschaftswachstum sehr schwertun. Deshalb müssen die Ausgaben für Arzneimittel im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet werden – und nicht nur vor dem Horizont eines reformbedürftigen Gesundheitssystems.
Ob Innovationsförderung und Kostendämpfung ein Widerspruch sind, hängt also von der Perspektive ab. Wenn ich Arzneimittelpreise senken will, um Kosten zu sparen, dann ist es ein Widerspruch (Arzneimittel: Der Preis der Preisregulierung – Pharma Fakten). Wenn ich den Blick weite auf das gesamte Gesundheitswesen, die gesamte Gesellschaft, dann ist es kein Widerspruch. Denn eine modernere Medizin entlastet das Gesamtsystem in anderen Sektoren.
Arzneimittelinnovationen können Werte, Nutzen und Lebensperspektiven schaffen, die sich einer rein auf Krankenkassenbudgets gerichteten Controller-Brille entziehen.
Der Vorschlag eines dynamisierten Herstellerrabatts „nach Kassenlage“ klingt „dynamisch“ – das ist er aber nicht. Es ist vielmehr der Rückgriff in die Mottenkiste von Preisregulierung. Planbare Rahmenbedingungen für forschende Pharmaunternehmen werden unmöglich gemacht. Zahlreiche Studien aus den Wirtschaftswissenschaften belegen: Preisregulierung hat negative Auswirkungen auf die Innovationen von Morgen und kostet Wertschöpfung und damit Wohlstand. Eine einseitig auf Arzneimittelinnovationen fokussierende Sparpolitik ist kurzsichtig. Eine Gesundheitspolitik, die auf Innovationen setzt, um die Medizin von Morgen zu fördern, sähe anders aus.
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